1. Juli 2006

Dr. Peter Motzan

Ein Meister der Formulierungskunst
Es war nicht leicht, in einer Diktatur Schriftsteller zu sein, doch unvergleichlich schwieriger war es, literarische Texte analytisch zu kommentieren, musste der Kritiker doch verdammt darauf achten, durch seine Interpretationen und entschlüsselnden Exegesen den Schriftsteller nicht an die politisch scharf geschliffenen Messer zu liefern. Wenn Literatur in Diktaturen ganz eigenartige und sonderbare Wege und Mittel finden muss, um die Botschaft an allen politischen Instanzen vorbeizuschleusen, so bleibt dem Kritiker letztinstanzlich nichts anderes übrig, als eine Art Schmuggler zu sein, der die Ware unbeschädigt an den Leser heranbringt. Es bedarf einer doppelten Scharfsinnigkeit, zum einen, um die mitunter fast hermetisch verschlüsselte Botschaft richtig zu entziffern, zum anderen, um diese Botschaft dem Leser, lies Komplizen, so zu präsentieren, dass dieser sie auch begreift, sein Kommentar den Autor aber vor den wachsamen Instanzen nicht entlarvt und gefährdet. Es ist dies ein Balanceakt, der viel Klugheit, Besonnenheit, Einfallsreichtum, Umsicht, Ausgewogenheit, vor allem aber Rücksicht erfordert, und der Literaturkritiker Peter Motzan brachte all diese Voraussetzungen mit, um ein brillanter Vertreter solcher Balanceakte zu werden. Sprachlich hoch begabt, ein seltener Formulierungskünstler, stets locker, nie verkrampft, wurde er bald zum Mentor, Förderer und Wegbegleiter der damals jüngeren rumäniendeutschen Literatur, die sich gegen Bevormundung, Verwaltung und Verplanung des Individuums zur Wehr setzte. Nicht umsonst heißt es in einem streng geheimen Stasidokument (sic!, nicht Securitatedokument) vom 15. Februar 1972: "Peter Motzan wird als das gefährlichste und aggressivste Mitglied dieser Gruppe charakterisiert. Er spiele die Rolle eines Organisationssekretärs. Motzan ist ein antikommunistischer Hetzer." Nun, so gefährlich war Peter Motzan wiederum auch nicht. Motzan war und ist ein Vollblutliterat. In der Diktatur verteidigte er bloß das Recht des Schriftstellers auf subjektive Befindlichkeit gegenüber den verordneten Parolen der Schönfärberei einer Gesellschaft, in der nicht nur die soziale Kälte das Blut in den Adern gefrieren ließ, sondern auch die geistige Finsternis die Angst unsichtbar machte. Und selbst als alle Rechte in den gesellschaftlichen Strukturen und Umgangsformen Schritt für Schritt und immer per Dekret abgeschafft worden waren und es so gut wie nichts mehr zu verteidigen gab, ein Recht ließ sich Peter Motzan niemals nehmen, nämlich das, leidenschaftslos und immer ein wenig bilanzierend zu schimpfen und zu fluchen. Als ihm auch die letzten Illusionen ausgetrieben worden waren, gab er trotzdem nie wirklich auf. Die oberen Schneidezähne auf die Unterlippe gepresst, die Augen leicht zusammengekniffen, den Blick dorthin gerichtet, woher kluge Einsichten kommen, hatte er immer noch eine letzte Vorstellung davon, wie es weitergehen könnte.

Geboren wurde Peter Motzan am 7. Juli 1946 in Hermannstadt, wo er auch das Gymnasium besuchte. Das Studium der Germanistik und Rumänistik an der Klausenburger Universität beendete er 1970 mit brio mit einer Diplomarbeit über Rainer Maria Rilke und wurde anschließend Assistent am Germanist-Lehrstuhl. Seinem Vater, der vermutlich ein versierter Kenner balkanischer Praktiken und Gepflogenheiten war, gelang es, den Sohn vom Militärdienst zu befreien, so dass es Peter Motzan erspart blieb, vorerst und schon in sehr jungen Jahren mit dem grenzenlos Absurden und Perversen konfrontiert zu werden. Sein Studium fiel in die relativ liberalen Jahre, so dass es tatsächlich Freude machte und man auch Spaß hatte an Konzerten, Kneipen, Theatervorstellungen, Kommilitoninnen, der Hauptstadt oder selbst Handballspielen. Der sozialistische Realismus war vom Sockel gestoßen worden, Ceausescu weigerte sich, gemeinsam mit dem Warschauer Pakt den "Prager Frühling" niederzuwalzen, das Land öffnete sich westlichen Einflüssen und als Dankeschön kamen günstige Kredite und mit ihnen gleich die gesamte deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts, einschließlich der Neuerscheinungen. Die Euphorie war groß, und das machte es auch möglich, dass wider allen Erwartens die dreisprachige Studentenzeitschrift "Echinox" ins Leben gerufen werden konnte, zu deren Mitbegründern Peter Motzan zählte. Diese Literaturzeitschrift, die bald bis über die Landesgrenzen hinaus hoch geschätzt wurde, war nicht nur eine Werkstatt der Toleranz, des Respekts und Verständnisses gegenüber andersartigen Kulturkreisen, Traditionen, Gepflogenheiten, Mentalitäten und Denkweisen, sondern auch eine Schule des ästhetischen Umgangs mit Literatur und der Abwendung von jeglichen Parolen, selbst der gut gemeinten, und bot zudem auch noch die Möglichkeit, früh selbst in die Literatur einzusteigen, was Peter Motzan mit bravourösen Rezensionen nutzte. Bisher als eminenter Student und skeptischer Witzbold bekannt, machte er sich bald auch als Literaturkritiker einen Namen, der es wie kaum ein anderer verstand, den literarischen Text bis in seine letzte Bedeutungsebene hinein zu interpretieren, eine Fähigkeit, die von der jungen Klausenburger Germanistikschule an der Spitze mit Michael Markel gezielt gefördert wurde. Stets gekrümmt von der Last, aber auch von den Freuden der Literatur, führte Peter Motzan jedoch keinesfalls ein asketisches Leben, sieht man von seinem obligatorischen täglichen Nachmittagsschlaf ab, der ihm genau so heilig war wie die Bibliothek. Im Gegenteil, er war zu allen verrückten Eskapaden bereit, die den Eindruck erweckten, sie könnten den geistigen Spielraum und den persönlichen Freiraum erweitern, was ihm von vornherein den Elfenbeinturm ersparte und seine literarischen Maßstäbe so ausrichtete, dass er den Text stets auch in seine Entstehungszusammenhänge stellte und die Tauglichkeit der literarischen Wirklichkeit an der gesellschaftlichen Realität zu messen versuchte, was ja in einer Diktatur immer von besonderer Brisanz ist.

Was scheinbar so normal begonnen hatte, erwies sich bald als Achterbahn, die Motzans Leben mit voller Wucht durcheinander wirbelte. Nach dem Studium folgten die Jahre seiner Lehrtätigkeit als einfühlsamer, gewitzter und bei den Studenten äußerst beliebter Lektor an der Germanistik in Klausenburg, kurz darauf die Wandlung Ceausescus und sein Hang zu immer exzessiveren Machtgelüsten, die daraus entstandenen Konflikte mit den zunehmenden Auswüchsen des Grotesken, schließlich der Entschluss, aus dem Reich der ewigen Zukunft, die nicht mehr kam, auszuwandern, sein Hinausschmiss von der Uni, die Revolution, die kurz darauf erfolgte Einladung der Uni, an seine langjährige Lehrstätte zurückzukehren, seine Ankunft in Deutschland, eine Vertretungsprofessur im Fachbereich Neuere Deutsche Literatur an der Universität Marburg, die deutsche Einheit, schließlich seine Einstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas in München, wo er auch zur Zeit tätig ist, mit gleichzeitigen Lehraufträgen an den Universitäten München und Klausenburg.

Enge Kontakte zu Rumänien hat Peter Motzan auch nach seinem Weggang gepflegt. Er verließ das Land nicht mit einem Gefühl der Wut, des Zorns oder gar der Überheblichkeit, es war eher ein Selbstschutz, die Unsicherheit vor den sich anbahnenden historischen Abläufen ließ ihn diese Entscheidung treffen, der Alptraum, es könnte für Jahre oder Jahrzehnte das Rad der Geschichte zurückgedreht werden und der Sturz Ceausecus sei definitiv bloß illusorische Episode gewesen, eine gar nicht so abwegige, unbegründete Angst, erinnert man sich nur an die Gefangennahme Gorbatschows im Urlaub auf der Krim und den Putschversuch unverbesserlicher Gestriger. Und die Demagogie patriotischer Aufgaben ist Peter Motzan genau so fremd wie jedes Maß an Übertreibung. Er ist eher mit Wehmut gegangen, mit leisem Schmerz, mit einer nüchternen Nostalgie, die weder verklärt noch verzerrt, und bis heute freut er sich, wenn er nach jedem seiner häufigen Besuche, die mit Lehraufträgen und Kongressen verbunden sind, feststellen kann, daß es trotzdem, wenn auch nur mühselig, aufwärts geht, denn ein Staatsfeind, wie in dem schon genannten Stasidokument erwähnt wird, war er nie, im Gegenteil, er war bloß ein unerbittlicher Feind des Diktators und seiner Kamarilla, was ja allemal ein Unterschied ist, und zwar ein erheblicher. Und letztlich ist er in die lebendige Sprache eingewandert, aus der seine Vorfahren vor fast neunhundert Jahren ausgewandert waren.

Die Zahl seiner Veröffentlichungen ist beträchtlich und reicht von Rezensionen, Aufsätzen, Gedichtinterpretationen, literarhistorischen Studien, Herausgaben, Vorwörtern, Essays bis zu kulturgeschichtlichen Beiträgen, eigenen Buchpublikationen, Mitarbeit an einschlägigen Literaturgeschichten und Lexika sowie Übersetzungen aus dem Rumänischen. Sein besonderes Interesse galt schon immer und gilt auch heute noch der rumäniendeutschen Literatur, im besonderen der Lyrik, über die er auch 1980 promovierte. Seine Dissertation "Die rumäniendeutsche Lyrik nach 1944. Problemaufriß und historischer Überblick" erschien 1980 im Dacia Verlag und hat bis heute nichts an ihrer Brisanz und Gültigkeit verloren, obwohl sie unter äußerst widrigen Umständen geschrieben wurde. Hinzu kam die Beschäftigung mit der Sozialgeschichte der deutschen Regionalliteraturen Südosteuropas, mit deutsch-rumänischen Literaturbeziehungen, der deutsch-jüdischen Literatur in der Bukowina, mit Erscheinungsformen der Mehrsprachigkeit und mit einzelnen Autoren wie Paul Celan, Gottfried Benn, Oscar Walter Cisek, Alfred Margul-Sperber, Adolf Meschendörfer, Karl Kurt Klein, Alfred Kittner, Werner Söllner, Richard Wagner, Hans Liebhardt, Irene Mokka, Hans Bergel, Matthias Buth, Rainer Maria Rilke, Emil Cioran, Ana Blandiana, Mihail Sebastian, György Dalos u.v.a.

Die Stärke als Literaturkritiker liegt zweifellos in Peter Motzans komplexem Literaturverständnis, das ihn befähigt, das Werk eines Schriftstellers immer auch aus den konkreten historischen Bedingtheiten und den sozio-kulturellen Determiniertheiten heraus zu erklären, die jeden Autor in gewissem Maße ja mitprägen, so dass er zu seinen Analysen und zum Verständnis des Werkes stets auch ein genaues Bild der Zeitumstände und der ortspezifischen Gegebenheiten mitliefert, in denen der Autor gelebt und gewirkt hat. Das wiederum schützt ihn davor, an Mythen und Legen weiterzustricken, die im Laufe der Zeit um viele Autoren und Kulturräume gerankt wurden, meist aus Unkenntnis der wirklichen Tatsachen, und in diesem Sinne sei bloß das Beispiel der Czernowitzer Literaturszene erwähnt. Sein nüchterner und geschärfter Blick bewahrt ihn auch vor der Einseitigkeit, sich von irgendwelchen Programmen vereinnahmen zu lassen, selbst wenn er sie mit viel Sachverstand befürwortend kommentiert. Die souveräne Distanz, die ja zur Grundbedingung der Seriosität jedes Literaturkritikers gehört, hat er immer bewahrt.

Diese Fähigkeit, sich aus der Euphorie, so er denn hin und wieder in eine verfallen war, am eigenen blonden, nun schon graumelierten Schopf wieder selbst herauszuziehen, hat ihn auch vor vielen Abstürzen bewahrt. Unter den Freunden und Weggefährten war immer er es, der liebevoll die auswuchernden Illusionen zurückpfiff und auf den Boden der Tatsachen zurückrief. Ich erinnere mich an eine Szene, die mir dazumal einen enormen Schrecken eingejagt hatte. Ich ließ mich einmal kopflos zu der Behauptung hinreißen, der glücklichste Tag in meinem Leben würde der sein, an dem der Diktator von der Bühne der Historie verschwände. Mit seinem trockenen, etwas bitteren Realitätsverständnis replizierte Motzan: Und wenn du diesen Tag gar nicht erlebst? Mit dieser Angst, in der er selbst lebte, hatte auch ich nun fortan zu leben. Übrigens sind Umkehrschlüsse und zu Ende geführte Gedanken, die auch vor dem Abgrund nicht halt machen, die schlagendsten Argumente im Arsenal seiner scharfen Überlegungen, die seltsamerweise nicht tragisch, sondern eher provozierend bis sachlich vorgetragen werden.
Die Geschichte ist, Gott sei Dank, anders verlaufen, was Peter Motzan keinesfalls nicht mehr recht gibt, wenn er bei seinem verschmitzten Lächeln hin und wieder die Mundwinkel etwas skeptisch nach unten hängen lässt, mit der Hand stets kurz abwinkend, als wolle er damit andeuten, seine Einsicht käme endgültig nicht von ungefähr. Und Peter Motzan ist alles andere als ein besserwisserischer Zeitgenosse oder gar kleinkariert, man kann mit ihm wunderbar streiten, auch aufs heftigste, egal worüber, ohne dass man gleich befürchten müsste, es könnte der Freundschaft Abbruch tun, wenn man von einer Sache eine grundverschiedene Meinung hat, nie muss man sich aus einer falsch verstandenen Rücksicht zurückhalten und man hat auch nie den Eindruck, man führe beim Streit Grabenkämpfe, sondern es entsteht stets die Gewissheit, man säße eng beieinander im gleichen Graben, ein selten gewordener Zug von Streitkultur und eine noch seltenere Eigenschaft, Freundschaften zu bewahren und zu pflegen, alles wunderbare Vorzüge, die ihn als Freund und Gesprächspartner unersetzbar machen. Und außerdem ist er ein wandelndes Lexikon, immer noch, obwohl auch sein Gedächtnis nicht mehr ganz das ist, was es einmal war.

Da Peter Motzan ein geborener und, fast möchte ich sagen, begnadeter Hochschullehrer ist, sei es ihm voll gegönnt, neben seiner literarischen Forschungsarbeit wieder an Unis unterrichten zu können, das ist sicher auch ein unschätzbarer Gewinn für seine Studenten, die er hilfsbereit ebenso bei Diplomarbeiten wie später bei Dissertationen sachkundig betreut. Vom Literaten wünscht man sich noch viele lange Jahre fruchtbarer Forschungstätigkeit, was ja, Peterleben, implizite den Wunsch auf ein langes, gesundes, einfallsreiches Leben voraussetzt und gleichzeitig einschließt.

Schlagwörter: Porträt, Kultur

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