15. Januar 2008

Hellmut Seiler: Schriftsteller der "Problemzonen"

Ende letzten Jahres machte der aus Siebenbürgen stammende und in Deutschland lebende Schriftsteller Hellmut Seiler eine Lesereise durch Rumänien. Hellmut Seiler ist 1953 in Reps geboren. Er studierte Germanistik und Anglistik und ist als Gymnasiallehrer tätig. Von 1985 bis 1988 hatte er Berufs- und Publikationsverbot in Rumänien, seit 1988 lebt er in der Bundes­republik. Zu seinen Veröffentlichungen gehören unter anderem „Die Einsamkeit der Stühle. Gedichte.“, Klausenburg 1982, „Glück hat viele Namen. Satiren.“, Esslingen 2004, „An Verse geheftet. 77 Gedichte und Intermezzi samt einem Epilog.“, Ludwigsburg 2007. 1984 erhielt Seiler den Adam-Müller-Guttenbrunn-Preis, 1998 den Literaturpreis der Künstlergilde Esslin­gen, und 2000 den Würth-Literaturpreis der Tübinger Poetik-Dozentur. Dr. Mariana Lăzărescu von der Bukarester Germanistik-Fakultät führte mit dem Schriftsteller ein Gespräch für die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien, das wir mit freundlicher Genehmigung des Verlages wiedergeben.
Welches waren die Stationen Ihrer Lesereise?

Die Reise führte mich dieses Mal nach Her­mannstadt in die Bibliothek des Deutschen Kul­turzentrums im Bischofspalais und nach Buka­rest ins Kulturhaus „Friedrich Schiller“, wobei ich bereits im Mai bis Juni dieses Jahres über das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) unter dem Motto „Abschied und kein Ende“ in Klau­senburg, Neumarkt, Schäßburg, Kronstadt und Hermannstadt gelesen habe. Damals haben mich meine Frau fotografisch und die beiden Söhne musikalisch begleitet.

Mit welchen Gedanken kommen Sie heute wie­der nach Rumänien zurück?

Mit durchweg versöhnlichen. In den ersten Jahren nach dem unfreiwilligen Weggang war das durchaus anders, zu viel wähnte ich damals verloren. Mittlerweile glaube ich mich meiner Herkunft nicht mehr vergewissern zu müssen, sie ist selbstverständlich und gewiss kein Grund, sich ihrer zu schämen, im Gegenteil.

Hellmut Seiler während einer Lesung in Freiburg ...
Hellmut Seiler während einer Lesung in Freiburg im Breisgau, 2007.
Welches sind Ihre Eindrücke von Ihrem Hei­matland 17 Jahre nach der Wende?

Aus einigen Gesprächen und Beobachtungen kann ich zu keiner schlüssigen Bewertung kommen. Die Dinge sind in Fluss geraten, das ist nach jahrzehntelanger Starre schon einmal positiv. Der Kommerz hat auch das Herz des Einzelnen erfasst und das sämtlicher Lebensbereiche. Da­mit war zu rechnen gewesen. Rumänien scheint sich allerdings auf sehr dünnem Eis zu bewegen, wenn es heißt, die Gewinne aus diesem kommerziellen Fortschritt auf eine breite Basis zu stellen. Das – moralische – Profil der Transit­gewinnler ist auch nicht unbedingt dazu angetan, das Vertrauen der Mehrheit in die Recht­mäßigkeit dieser Entwicklung zu bekommen. Die meisten Menschen werden wohl zurückgelassen und verfallen erneut in eine Position des Abwartens und Beobachtens, die an die Starre des gelenkten Lebens von einst erinnert.

Würden Sie sich als deutscher oder rumäniendeutscher Schriftsteller bezeichnen?

Als württembergisch-siebenbürgischer vielleicht; doch das sind Etikette, auf Weinflaschen eher zu applizieren als auf einen Autor. Tatsache ist, dass durch die Aussiedlung ein dramatischer psychisch-intellektueller Umbau der Person stattfindet, da die mitgebrachte Sprache die Realität nicht mehr deckt, letztere sich deren Zugriff entzieht. Als müsste man neu sprechen lernen – und würde bei allem Bemühen über längere Strecken nicht verstanden.

Welches sind Ihre Themen als Schriftsteller?

Über bestimmte Themen würde ich bei mir gar nicht sprechen, es ist eher eine Vorliebe für – um einen Begriff aus der Kosmetologie zu bemühen – „Problemzonen“; beispielsweise das Spannungsfeld „Poesie und Politik“, oder „Das Verschwinden der Natürlichkeit zugunsten mas­senmedial vorgeführten Rollenverhaltens“, doch nehme ich mir diese nicht vor, sie fallen mir irgendwo auf. Der Inhalt sucht sich dann die literarische Form selber, ob es ein Gedicht wird, ein Aphorismus oder eine Satire.

Gibt es Themen, über die Sie nicht schreiben wollen?

Ich suche sie mir nicht aus, meine Themen, sondern werde meistens von einem gefunden, wie kürzlich von dem „Guantánamo“-Zyklus anlässlich der Veröffentlichung von 22 Gedich­ten in englischer Übersetzung, die das Pentagon freigegeben hat.

Welche Rolle hat für Sie heute die Literatur bzw. der Schriftsteller?

Die poetische ist die einzige Sprache, die einem nichts verkaufen will. Die Literatur gibt den Worten die Frische, Kraft und Bedeutung wieder, an denen man immer mehr Grund hat zu befürchten, sie gingen verloren. Ich wünschte mir deutlich mehr politisches Engagement des Schriftstellers, das aber nur einhergehen kann mit einer Aufwertung seiner gesellschaftlichen Stellung. Diese lässt, insbesondere in Deutsch­land, viel zu wünschen übrig. Als Vorbild taugt der Schriftsteller bedauerlicherweise nicht, es sei denn, er tritt im Fernsehen auf – aber dort weniger als Wortträger denn als Kuriosum.

Woran arbeiten Sie gerade?

Gedichte, Aphorismen und Satiren.

Was bedeutet Ihnen das Übersetzen von Lyrik aus dem Rumänischen?

Sehr viel! Vorige Woche ist der Band „Yin Time“ des Lyrikers Emilian Galaicu-Păun in dem kleinen, aber feinen Pop-Verlag, Ludwigsburg er­schienen – in meiner Übersetzung, die mich vor große Herausforderungen gestellt und mir viel Vergnügen bereitet hat. Weitere Bände werden folgen. Ich ziehe „Bildungslyrik“ und experimen­telle Prosa vor, um meine Grenzen auszuloten.

Schlagwörter: Kultur, Schriftsteller, Reps

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