12. April 2008

Marietta Lissai: Es war in Hermannstadt

Am 4. April hat Marietta Lissai, die ehemalige Schauspielerin der deutschen Abteilung der Hermannstädter Bühne und des Deutschen Staatstheaters in Temeswar, ihren 70. Geburtstag gefeiert. Die gebürtige Hermannstädterin lebt heute mit ihrem Gatten Stefan Erdös, einst Inspizient der deutschen Abteilung des Hermannstädter Staatstheaters, in Bonn. Im Folgenden übernimmt den Part des Gratulanten sinnigerweise Regisseur Hanns Schuschnig, ein alter Weggefährte jener erfolgreichen Bühnenjahre in Hermannstadt.
Manchmal fällt es schwer, sich mit der Unbarmherzigkeit nüchterner Zahlen abzufinden. Das gilt besonders dann, wenn die Intensität der Erinnerung viel tiefer sitzt als die flüchtigen Eindrücke aktueller, kurzer Begegnungen. Marietta war noch ein Kind, als sie mir zum ersten Mal auffiel. Es war in Hermannstadt. Der Krieg war kaum vorbei. Man sehnte sich nach Gemeinsamkeit, nach etwas, was das Dunkel der Gegenwart, die Ungewissheit der Zukunft verdrängen konnte. Man sehnte sich nach Kultur! An deutsches Wort auf der Bühne wagte noch niemand zu denken. Man traf sich zu inoffiziellen Hauskonzerten; Professoren hielten Vorträge über Literatur; es war die Zeit des Tanzes! Hier konnte man ohne Worte ausdrücken, was in der Luft schwebte: Hoffnung, Harmonie, Lebens­freude. Unter all denen, die sich mit mehr oder weniger Talent in dieser Kunst versuchten, stach ein Mädchen hervor, das sich mit bezaubernder Naivität und liebreizendem Lächeln zu Paul Linkes „Glühwürmchen“ drehte, hüpfte und all das ausstrahlte, was die Zuschauer im täglichen Leben so bitter vermissten. An diesem Tag prägte sich mir der Name Marietta unauslöschlich ein.
„Lady Milford“ alias Marietta Lissai-Erdös mit ...
„Lady Milford“ alias Marietta Lissai-Erdös mit „Zofe“ Heidrun Keintzel in „Kabale und Liebe“, 1973 in Hermannstadt. Foto: Harry Bittermann
Als wir viele Jahre später darum kämpften, das so traditionsreiche deutsche Theater in Hermannstadt wiederzubeleben, war es keine Überraschung, dass eines Tages der Name Marietta Lissai auf der Liste der Bewerber er­schien. Aus dem unfertigen Mädchen war eine bezaubernde junge Frau geworden. Das Strahlen hatte sie behalten. In der ersten Zeit, in den fünfziger Jahren, hatte sie mit nervositätsbedingten Schwierigkeiten auf der Bühne zu kämpfen, aber bald eroberte sie sich einen festen Platz im „jungen Kollektiv“. Zunächst in kleineren Rollen, übernahm sie bald das Fach der jugendlichen Salondame und zählte bald zum festen Stamm des Ensembles. In über sechzig Rollen stand sie auf der Bühne, zu ihren bedeutendsten zählten: „Elisa“ in George Bernard Shaws „Pygmalion“, die „Lady Milford“ in Schillers „Kabale und Liebe“ oder die Heldin in O. F. Jickelis „Gaan von Salzburg“. Bei der rumänischen Abteilung des Hermannstädter Theaters hat sie mit Bravour einige Hauptrollen auch in rumänischer Sprache gespielt, z. B. „Irina“ in V. Korostiljovs „Blumenwalzer“ (1963) und in Victor Eftimius „Fetele Didinei“ (1976).

Marietta heiratete den Schauspieler Horst Strasser und brachte einen Sohn zur Welt. Doch die Ehe zerbrach. Für einige Jahre wechselte sie an das Deutsche Staatstheater nach Temeswar, wo sie hauptsächlich in zeitgenössischen Stücken besetzt wurde, darunter in der Uraufführung der „Husarenkammer“ von Ludwig Schwarz, aber sie spielte auch die Hauptrolle als „Zoitica“ in dem rumänischen Klassiker „Ein verlorener Brief“ von Caragiale. Nach Hermann­stadt zurückgekehrt, warteten neue Rollen: „Sittah“ in Lessings „Nathan der Weise“ oder „Alkmene“ in „Amphytrion“ von Peter Hacks, „Prinzessin Eboli“ in Schillers „Don Carlos“ oder „Anna“, Königin von England, in „Das Glas Wasser“ von E. Scribe seien beispielhaft erwähnt.

1981 erfolgte die Ausreise in die Bundesre­publik. Marietta Lissai und ihr Ehemann Stefan Erdös, der ehemalige Inspizient des Hermann­städter Theaters, ließen sich in Bonn nieder. Hier arbeitete Marietta auch als Souffleuse am Schauspielhaus und daneben am „Theater der Jugend“ in Bonn-Beuel als Schauspielerin. Später ist sie am Stadttheater Bielefeld tätig, bis 1991. Schwere Jahre folgten. Der zweite Sohn aus zweiter Ehe erkrankte. Dies war der Aus­löser für einen beruflichen Neuanfang. Sie besuchte eine Schwesternschule und arbeitete dann als Hilfsschwester im St. Josef-Hospital in Bonn-Beuel.

All die Widrigkeiten konnten Marietta nicht unterkriegen. Als ich sie im vergangenen Jahr anlässlich des 50-jährigen Gründungsjubiläums der deutschen Abteilung des Hermannstädter Theaters traf, war sie noch heiterer, noch sprühender, noch liebenswerter als ich sie in Erinne­rung hatte. Sicher eine gute Voraussetzung für noch viele Jahre intensiven, tätigen Lebens, das wir alle ihr von ganzem Herzen wünschen.

Hanns Schuschnig

Schlagwörter: Kultur, Theater, Hermannstadt

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