14. März 2009

Heimisch in der Welt der Bücher - Zum Tod von Walter Roth

Der Psychologe Walter Roth war maßgeblich beteiligt an der Modernisierung des Blindenwe­sens in Rumänien, zudem ein Bildungsbürger alter Prägung. Leidenschaftlich widmete sich der gebürtige Schäßburger und Urenkel Josef Haltrichs der Kultur und Geschichte der Sie­ben­bürger Sachsen. Seine volkskundlichen Veröffentlichungen (nicht nur) in dieser Zeitung fanden in siebenbürgischen Kreisen stets starke Resonanz. Walter Roth verstarb am 23. Februar 2009 im Alter von 78 Jahren in Dortmund.
Walter Roth wurde am 21. Juni 1930 in Schäß­burg geboren. Sein Vater, Georg Roth war bis zur Verstaatlichung 1948 Prokurist der Raiffeisenbank in Schäßburg, die Mutter, Mar­garete Roth, Lehrerin, nach der Heirat Haus­frau, der Bruder Dr. Hans Roth (geb. 1922) Arzt, Dozent für Anatomie in Klausenburg, die Schwes­ter Grete Roth (geb. 1926), Lehrerin. Walter hatte eine glückliche Kindheit. Die Ju­gend war geprägt vom Zusammenbruch einer Welt, Enteignungen und Verstaatlichungen, drohender Verschleppung nach Russland, als Angehöriger der deutschen Minderheit in Rumänien unter Generalverdacht eines totalitären Staates.

Walter Roth - bis ins hohe Alter aktiv. ...
Walter Roth - bis ins hohe Alter aktiv.
Auf das Abitur in Schäßburg (1949) folgte das Studium in Klausenburg: Abschluss in Psycho­logie und Sonderpädagogik mit „summa cum laude“. Roth wurde an die Universität berufen. In der Wartezeit auf die Planstelle arbeitete er in der Blindenschule in Klausenburg. Lehren und Organisation der Blindenschule sowie die Entwicklung einer Fibel für Blinde fallen in die­se Zeit. Schwerpunkte an der Universität Klau­senburg waren die Psychologie und die Heilpä­dagogik von und für Blinde und Sehgeschädigte. Walter Roth war dabei maßgeblich beteiligt an der Modernisierung des Blindenwesens in Rumänien, das eine wissenschaftliche Basis erhalten hat. Zahllose Fachpublikationen und Teilnahme an Fachkongressen in ganz Europa folgten. Dabei war er auch über sein Fach hinaus an Kultur interessiert und kompetent: Roth hat Werke des deutschen Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas in die rumänische Spra­che übersetzt. Sein guter wissenschaftlicher Ruf und die Verbindung zu Fachkollegen ermöglichten ihm mit 52 Jahren, nach der Aus­wanderung (1982), den beruflichen Neustart in Deutschland. Als bei einem Fachkongress in Dortmund in den späten 1980er Jahren eine britische Psychologieprofessorin, Kennerin der Blindenpädagogik in Osteuropa, sich sehr positiv über die Blindenschule in Klausenburg äußerte, begeistert über den Ausbildungsstand der Lehrer, die Lehrmethodik und das Wissen der Schüler, bei aller Armut des Landes und der Schule, war es ihm eine große Genugtuung, dass die Leistung seiner ehemaligen Studenten so gelobt wurde.

Walter Roth war ein Bildungsbürger. Lesen und Bücher, Antiquariate und Buchhandlungen, das war seine Welt. Schon als Schüler hat er nachts Säcke auf dem Güterbahnhof abgeladen und sich mit dem verdienten Geld nicht etwa eine neue Hose gekauft – die er wohl eher ge­braucht hätte –, sondern Bücher. Seiner Leiden­schaft für Bücher war er bis zuletzt verfallen, obwohl ihm der Graue Star das Lesen zusehends schwerer machte; die Operation vor zwei Jahren hat sein Sehvermögen nur für kurze Zeit verbessert, danach ließ ihn eine Makulade­generation schleichend erblinden.

Ganz im Sinne der Familientradition (... sein Urgroßvater Josef Haltrich war Gymnasial­lehrer und Rektor an der Bergschule in Schäßburg, später Pfarrer in Schaas, Sammler von Märchen und Sagen der Siebenbürger Sachsen, Bekämpfer von Aberglauben ...) widmete er sich nach seiner Verrentung 1995 der Ge­schichte und Kulturgeschichte unseres siebenbürgischen Sachsenvolkes. Dieser äußerst produktiven Beschäftigung erwuchsen zahlreiche Veröffentlichungen im Verein für Sieben­bürgische Landeskunde, in der Siebenbürgi­schen Zeitung, den Schäßburger Nachrichten, Vorträge.

Bei alledem kam seine Familie nicht zu kurz. Roth heiratete 1959 Oda Arz von Straussenburg - eine Woche nach der Goldenen Hochzeit starb er. Sohn Thomas wurde 1960 geboren. Trotz materiell und politisch schwerer Zeit (Woh­nungsnot, Mangelwirtschaft, politische Willkür) ermöglichte er seinem Sohn eine glückliche Kindheit und Jugend. In seinen bescheidenen Möglichkeiten führte er ein offenes Haus, in dem viele interessante Menschen verkehrten. Für sich selbst war Walter Roth – außer wenn es um seine Bücher ging – immer anspruchslos und bescheiden, anderen gegenüber freigiebig, zur Familie bedingungslos großzügig. Noch an seinem letzten Tag sorgte er sich um das Wohlbefinden seiner Familie. Im Namen seiner Schulkameraden, der Schäßburger, die ihn kannten, und der vielen Siebenbürger Sachsen, die seine Beiträge in unseren Publikationen lasen und schätzten, gedenken wir mit tief empfundener Dankbarkeit seiner.

Walter Lingner

Schlagwörter: Nachruf, Schäßburg, Volkskunde

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