27. August 2009

Die große siebenbürgische Familie in einer Datenbank

Dr. Christian Weiss, 1931 in Kronstadt geboren, leitet seit 2003 die Sektion Genealogie im Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde. Als Pfarrer wirkte er u. a. in Agnetheln, Roseln und Kelling. Im Oktober 2008 wurde das Projekt „Siebenbürger Genealogie“ gestartet und erfährt seitdem wachsende Aufmerksamkeit. „Suchabfragen zur Ahnenforschung stehen im Internet an erster Stelle“, so Dr. Weiss. „Geschichte hilft uns die Gegenwart zu verstehen, unsere Ahnenforschung betrifft unsere ureigenste Geschichte, ist daher für viele von brennendstem Interesse.“ Das folgende Interview führte Joachim Schneider.
Herr Dr. Weiss, was ist die „Siebenbürger Genealogie“? Wehalb ist eine gesamtsiebenbürgische Datenbank ein Desiderat?

Ein Bonmot sagt, die Siebenbürger seien alle miteinander verwandt oder mindestens bekannt, schlimmstenfalls zerstritten! Solcher Verwandtschaft, freundschaftlichen oder gegensätzlichen Beziehungen, von ihren Ursprüngen bis zu möglichen Auswüchsen nachzugehen hat einen besonderen Reiz. Die Daten unserer Vorfahren zusammenzutragen, gleicht der Zusammenstellung eines Puzzles. Viele Ortsgenealogen haben die Erfahrung gemacht, dass Daten, die ihnen fehlen, oft in Nachbargemeinden zu finden sind. Mit der modernen Technik ist die Erstellung von Genealogien, die Millionen Menschen erfassen, ins Blickfeld des Möglichen gerückt. Da Siebenbürgen über Jahrhunderte ein geschlossener Siedlungsraum für Deutsche war, bietet es sich an, neben einzelnen Ortsfamilienbüchern auch eines für ganz Siebenbürgen zu erstellen, möglichst von der Ansiedlung bis in unsere Tage. Dieses Vorhaben nennen wir „Siebenbürger Genealogie“. Es beschränkt sich derzeit auf die evangelischen Bewohner Siebenbürgens und deren katholische Ahnen, wobei selbstverständlich Überschneidungen konfessioneller und nationaler Art (im Sinne der Nationalität rumänischer Staatsbürger) eingeschlossen werden müssen.

Dr. Christian Weiss ...
Dr. Christian Weiss
Wer hatte die Idee zu diesem Vorhaben?

Schon in den neunziger Jahren keimte die Idee. So wurde im Herbst 1993 unter Leitung von Dr. Christian Zaminer eine Projektgruppe SGD (Siebenbürger Genealogie Datenbank) gegründet, worüber in der Siebenbürgischen Familienforschung nachgelesen werden kann. Die Datenbank CORONA, Erfassung der Matrikeldaten Kronstadts, folgte, zugleich aber schien das Projekt SGD überdimensioniert.

Das Thema „Zeitzeugen“ legt es nahe, einzelne Fakten, Akten, Dokumente zu sammeln, um unsere Zeitgeschichte, die immer noch ungenügend erfasst ist, zu belegen. Man denke z. B. an die Erfassung der vielen Fluchtversuche, an die Selbstmorde solcher, die von der Securitate bedrängt wurden usw. Das kann nur in Zusammenarbeit vieler Einzelner geschehen. Dafür sind Genealogen, wenn sie denn zusammenarbeiten, besonders geeignet.

Es gibt bereits den Katalog des Genealogischen Archivs (KGA) des Siebenbürgen-Instituts in Gundelsheim. Wie hängt dieser mit der „Siebenbürger Genealogie“ zusammen?

Im Katalog des Genealogischen Archivs sammelt das Siebenbürgen-Institut genealogische Akten sehr unterschiedlichen Formats und unterschiedlicher Herkunft. Es reicht von Blättern, die Eckdaten einer einzigen Person oder Familie enthalten, über Kopien von Ahnenpässen bis zu umfassenden Genealogien, z.B. die Familiengeschichte des Pfarrgeschlechts Schullerus. Daher freuen wir uns über alle, die uns helfen, die dort liegenden Schätze zu heben und in digitale Form zu überführen.

Wer sind Ihre „Verbündeten“, Sponsoren, Unterstützer?

In erster Reihe alle Mitarbeiter, die sich beteiligen und intensiv mithelfen, in den nächsten Jahren den Grundstein zu legen. Dann aber Organisationen, die unsere Gemeinschaft unterstützen, wie das Donauschwäbische Zentralmuseum in Ulm und das Haus des Deutschen Ostens in München. Darüber hinaus gibt es einen weiten Kreis führender Leute, die mit Wohlwollen unsere Bestrebungen betrachten und hoffnungsvoll zusehen, „wo es hinaus will“. Einer unserer mächtigsten Unterstützer ist die Siebenbürgische Zeitung.

Wer kann mit der „Siebenbürger Genealogie“ arbeiten? Ab wann wird sie voraussichtlich zugänglich sein?

Die Archive unserer Geschichte, so in Siebenbürgen wie auch hier, sind allen zugänglich. Der geschichtliche Teil unserer Genealogie wird ebenso, in gut christlich-biblischem Sinne, für alle zugänglich sein. Ihre jüngste Familiengeschichte wollen manche aus gut verständlichen Gründen nicht der Öffentlichkeit preisgeben. Andere, vor allem solche, die im öffentlichen Leben stehen, haben keine Scheu davor. Das muss für uns heißen, dass es einen differenzierten Umgang geben wird. Die digitalen Medien sind dafür ausgelegt. Das Projekt ist auf fünf Jahre angelegt. Es wird dann gewiss mindestens ein Jahr dauern, bis die Daten so zusammengeführt sind, dass begonnen werden kann, Einblick in sie zu gewähren. Vergleichend gesagt: Christian Zaminer hat zuerst mit sechs und zuletzt mit zwölf Mitarbeitern in drei Jahren die Grundlage für die CD-CORONA, die Datendatei der Matrikeln der Honterusgemeinde, erstellt. Ein Jahr später konnte die erste Auflage herausgegeben werden. Von 2002 bis 2009 hat Zaminer an den Daten weiter gearbeitet, um sie abzuschließen.

Unsere Datei kann nie abgeschlossen sein, nicht allein weil historisches Material immer neu erschlossen werden wird, sondern auch weil die Gemeinschaft lebt und weiter leben wird.

Wurden Sie durch vergleichbare Projekte z. B. anderer Landsmannschaften hinsichtlich Ihres Vorhabens inspiriert?

Nein.

Was besprechen Sie in den Arbeitsseminaren, die das Genealogieprojekt begleiten?

Es geht vor allem darum, die Mitarbeiter im Umgang mit den Daten zu schulen. Um Matrikeln und Familienbücher lesen zu können, genügt es nicht, Buchstaben und Zahlen zu erkennen. Es ist Hintergrundwissen nötig, das sich die Bearbeiter zum Teil auch selber erarbeiten müssen, wozu jedoch Anleitung nötig ist. Für jedes Seminar muss mindestens ein weiterführender Vortrag eines anerkannten Wissenschaftlers geplant werden, andernfalls gibt es kein Sponsoring.

Auch das bestgemeinte Projekt stößt auf Widerstände und Schwierigkeiten. Wo liegen die Ihrigen?

Wir erfahren viel Unterstützung von Einzelpersonen und Familien, die ihre eigenen Daten ergänzen wollen. Ebenso vom Verband der Siebenbürgisch-Sächsischen Heimatsortsgemeinschaften (HOG), der auch zu unseren Sponsoren gehört. Es gibt aber auch Menschen, die ihre Daten niemandem preisgeben wollen. Dabei spielen Unkenntnis der Rechtslage und vielfach unterschwellige Gefühle eine große Rolle. Auch gibt es manche unerfüllbaren Wünsche und Vorschläge, die auf indirektem Wege besser ausgeräumt werden können als in direkten Gesprächen. Daher sind wir dankbar, bei verschiedensten Anlässen, unser Projekt aus unterschiedlichen Perspektiven darstellen zu können.

Jeder, der mitarbeiten möchte, muss derzeit 65 Euro für „Gen_Plus“ bezahlen. Wieso lohnt sich diese Anschaffung?

Dieses Programm hat vorbildliche Orts- und Quellenverwaltung, hervorragende Suchfunktionen, die Möglichkeit, der gleichen Person viele Berufe, Titel, Wohnorte zuzuordnen, wodurch das Lebensbild in vielgestaltiger Weise dargestellt werden kann. Wir haben es 2003 aus fünfzig uns damals vorliegenden Programmen herausgefiltert. Der Preis entspricht der Qualität. Ich zweifle, dass wir mit einem Programm um 150 Euro besser gefahren wären. Keines der bekannten Freewareprogramme kann die von uns geforderte Leistung erbringen. Daher sind wir allen dankbar, die ihre Daten, sofern sie nicht unserem Standard entsprechen, uns z. B. mittels einer Gedcom-Schnittstelle übertragen. Sich wiederholende Texte können in Gen_Plus ausgewählt, gespeichert oder auf Funktionstasten gelegt werden, um sie an gewünschter Stelle einzufügen, wodurch Schreibfehler reduziert werden. Ein besonderes Schmankerl ist die Verwaltung der Texte, mittels derer allerlei Korrekturen viel leichter möglich sind.

Sie sagen, das Projekt sei auf fünf Jahre veranschlagt. Wird es gelingen, das Vorhaben in diesem Zeitraum zu meistern?

Das Projekt bleibt eine Aufgabe für viele Jahrzehnte, doch hoffe ich, wir können in fünf Jahren einen Grundstock legen, der als sinnvoll erkannt und durch die Mithilfe vieler in der Folge sukzessiv ausgebaut wird.

Sehr geehrter Herr Dr. Weiss, besten Dank für das Gespräch!

Schlagwörter: Kultur, Genealogie, AKSL, HOG, Kronstadt

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