21. März 2010

Zum Tod von Walter Schuller: „Mehr sein als scheinen“

Nachruf auf den Pädagogen Walter Schuller, der am 12. März 2010 im Alter von 79 Jahren in Prien am Chiemsee gestorben ist.
Noch zwei Wochen vor einem Tod verabredeten wir einen gemeinsamen Text zu Fragen der Literatur, die ihn, je älter er wurde, zunehmend mehr beschäftigte als die Fächer, die er studiert hatte – Geschichte und Philosophie in Klausenburg, Kunstgeschichte in Essen. In allen drei war er von außergewöhnlicher Belesenheit. Walter Schuller, von dem die Rede ist, hatte sich nach gesundheitlich schweren Jahren überraschend und in einer Weise erholt, die Zukunftspläne ermöglichte. Am 12. März war dem hoffnungsvollen Ansatz ein Ende bereitet. Der nicht ganz Achtzigjährige verstarb im Krankenhaus von Prien am Chiemsee.

Am 14. April 1930 in Schäßburg geboren, war der im Freundeskreis „Kötsch“ genannte Arztsohn vom Beginn seiner Berufslaufbahn an in Kronstadt, Hermannstadt und Düsseldorf ein mit dem Eros des Pädagogischen ausgestatteter Lehrer, über den ausnahmslos alle ehemaligen Schüler mit bewundernder Zuneigung berichten. Das Geheimnis seiner Ausstrahlung lag in der Ausgeglichenheit seiner Persönlichkeit, in der souveränen Handhabung des fachlichen Wissens und im zuverlässig sachlichen Ton des Vortrags. Das menschliche Vertrauensverhältnis, das er im Umgang mit Schülern wie mit Freunden herstellte, war aber auch das Ergebnis einer Redlichkeit der Darlegung, die auf jede selbstgefällig kokette Pointe verzichten konnte – ihre Wirkung gründete in der Ernsthaftigkeit der Mitteilung.
Anregender Gesprächspartner und charmanter ...
Anregender Gesprächspartner und charmanter Gastgeber bis zuletzt: Walter Schuller mochte es besonders, wenn er sich mit ehemaligen Schülern bei einem guten Tropfen austauschen konnte. Die Aufnahme entstand im Januar diesen Jahres in der Pflegestation des Siebenbürgerheims Rimsting. Foto: Konrad Klein
Wie stark seine mit dem Gespür für historische Zusammenhänge verbundene Neigung zur Literatur war, zeigten bereits seine Theaterinszenierungen mit Kronstädter Schülern. Goethes „Egmont“ wurde um die Mitte der 1950er Jahre zum städtischen Kulturereignis, Schillers „Wallensteins Lager“ versprach, es zu werden. Doch 1957 wurde der 27-jährige Stellvertretende Schuldirektor gemeinsam mit Direktor Dr. Otto Liebhardt (1904-1991) auf Anweisung der kommunistischen Partei des Amtes enthoben: Wegen seines um die staatsdogmatische Vorschrift unbekümmerten Unterrichts und Verkehrs mit den Schülern war er den „Genossen“ ein Dorn im Auge. Er wechselte 1969 nach Hermannstadt, von dort 1976 gemeinsam mit seiner Frau – der Schriftstellerin, Dramaturgin, Psychologie- und Pädagogiklehrerin Bettina Schuller – und drei Söhnen als Aussiedler nach Deutschland. Nach dem Kunstgeschichtestudium in Essen unterrichtete er seit 1980 in Düsseldorf-Erkrath am „Neandertal“-Gymnasium, dessen beliebtester Lehrer er wurde; 1987 ließ sich das Ehepaar in Fuchstal in Oberbayern nieder, vor wenigen Jahren übersiedelte es ins Siebenbürger-Heim Rimsting.

Walter Schullers geistige Persönlichkeit kennzeichnete sich durch fundierte wie ausgreifende Bildung. Jeden, der diesen Mann näher kannte, versetzte sie in Erstaunen, weil sie sich nicht nur ohne akademische Geste äußerte, sondern auch von einer immer wieder überraschenden präzisen Präsenz war. Durchdacht im Inhalt, konturiert in der Form der Mitteilung, unbeirrbar in der Beharrung auf dem Sachlichen, verlieh sie dem Gespräch Reife und Prägung, oft Richtung und Gehalt; in seiner Ehefrau hatte er die ergiebigste Dialogpartnerin. Zu seinem Erscheinungsbild gehörte das Unauffällige, selbst wenn er sich – der musisch Sensible und Musikalische – anspruchsvollsten Themen zuwandte, so wenn er z.B. das Wagnis des „Demetrius“-Entwurfs von Schiller erörterte, über Freuds „Das Ich und das Es“ ungewohnte Betrachtungen anstellte oder staatsphilosophische Ideen Montesquieus weiterspann. Der über alle transsilvanische Provinzenge der Herkunft weit hinaus gewachsene Mann verstand sich als atheistischer Weltbürger. Er war es. Das manchmal Einsiedlerhafte seiner Lebensführung kam aus dem Gefühl der Beheimatung in Räumen der geistigen Befindlichkeiten und Gewichtungen. Dass er mit Hammer und Hobel, mit den Utensilien des Buchbindens, als unüberbotener Gastgeber auch mit Kochtöpfen ebenso meisterhaft umgehen konnte wie mit dem Gedanken, waren Merkmale seiner in sich selbst ruhenden Natur. Das „Mehr sein als scheinen“ erfuhr in ihm eine Verkörperung.

Unsere Jahrzehnte lange Freundschaft war Teil seines und meines Lebens; sie bewährte sich auch in Belastungsbereichen. Seine in allem von menschlicher Nähe und luzider Freundlichkeit durchwärmte Bildung vermissen zu müssen, bedeutet nicht allein für seine Familie einen unersetzlichen Verlust, sondern auch für alle diejenigen, die zu seinem Freundeskreis gehörten.

Hans Bergel

Schlagwörter: Nachruf, Kultur

Bewerten:

37 Bewertungen: ++

Neueste Kommentare

  • 02.05.2010, 09:54 Uhr von guni: Ein guter Lehrer, den wir trotz seiner gutgemeinten Strenge lieb hatten, ist von uns gegangen. Er ... [weiter]
  • 01.04.2010, 16:01 Uhr von Siegbert Bruss: Die Beisetzung von Walter Schuller findet am Samstag, dem 17. April 2010, um 14 Uhr, auf dem ... [weiter]

Artikel wurde 2 mal kommentiert.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.