17. November 2012

Interkulturelle Erfahrungen: Münchener Zimmererlehrlinge in Martinsdorf

Die Sonne scheint warm und freundlich an diesem wolkenlosen Spätsommertag über Martinsdorf. Seit den Morgenstunden herrscht geschäftiges Treiben in der Ortsmitte. Dort hämmert und sägt man unaufhörlich, zwischendurch wehen Stimmen und Lachen durch den Ort. Ich lege Pinsel und Lappen beiseite und entschließe mich, mir die muntere Szenerie genauer anzusehen. Ich gehe aus der Untergasse hinauf zur Schule, die mit ihrem beeindruckenden Gebäude das Antlitz der Martinsdorfer Ortsmitte prägt. Ein Drittel der Schule sowie der Mittelteil vor der Uhr sind eingerüstet. Zwei Jugendliche sind gerade dabei, die Verschalung an der Uhr mit Metallblech zu verkleiden. Andere befinden sich in dem linken Drittel, wo bereits ein komplett neuer Dachstuhl aufgestellt ist, der vollständig mit neuen Dachlatten bestückt ist. Am Werk sind 13 Auszubildende der Zimmererinnung München.
Zum besseren Verständnis ist es wichtig, an dieser Stelle zu erwähnen, dass sich die Schule in Martinsdorf seit geraumer Zeit in einem besorgniserregenden Zustand befand: Das Dach war in eben diesem Drittel eingefallen. Der Regen konnte an undichten Stellen über die Jahre hinweg eindringen und die Bausubstanz massiv schädigen.

Ich gehe die kleine Anhöhe zur Schule hinauf. Unter den altehrwürdigen Kastanien auf dem Schulgelände sind die gebrauchten Ziegel vom Dach ordentlich in Reihen gelagert. Ein Stückchen weiter sind die Schulbänke übereinander gestapelt. Hier treffe ich Wolfgang Weigl, den Ausbildungsmeister der Zimmererinnung München, der für die überbetriebliche Ausbildung der angehenden Zimmerleute im Raum München zuständig ist. Freundlich und aufgeschlossen berichtet der Ausbildungsmeister, dass er gemeinsam mit 13 Auszubildenden aus dem dritten Lehrjahr am 11. September, mittags mit dem Bus in Martinsdorf angekommen ist.

Seine freundschaftlichen Kontakte zur Meisterschule in München hatten dazu geführt, dass Wolfgang Weigl bereits im Vorjahr mit einer Gruppe Auszubildender in Siebenbürgen gewesen ist. 2011 hatte er mit seinen Azubis die Reparaturarbeiten an der Kirchenburg in Mardisch unterstützt, an der die Meisterschule in München mit MeisterschülerInnen bereits seit 2010 ein Projekt zur Ertüchtigung der massiv gefährdeten Kirchenburg durchführt. In diesem Jahr galt es für die Auszubildenden und ihren Zimmerermeister, die, wie er bemerkt, architektonisch schön gemachte und somit erhaltenswerte Schule in Martinsdorf durch Reparatur des Daches vor dem Verfall zu retten. Dies mit 13 Azubis in knapp zehn Tagen: Eine wahre Herkulesaufgabe!

Im Vorfeld wurden für dieses Unterfangen in Deutschland unterschiedliche finanzielle Quellen angezapft. Zum Beispiel unterstützt die Stiftung des bayerischen Zimmererhandwerks dieses Auslandspraktikum, indem sie für die nicht unerheblichen Fahrtkosten aufkommt. Als Sponsor konnte zudem ein namhafter deutscher Unternehmer gewonnen werden. Das Holz für den Dachstuhl, dessen Kosten sich auf einen vierstelligen Eurobetrag summieren, wurde wiederum von einem anderen deutschen Unternehmer übernommen. Überhaupt sei die Resonanz des ersten Auslandspraktikums 2011 sehr gut gewesen, berichtet Wolfgang Weigl, der zwischendurch die eine und andere Frage seiner Lehrlinge beantwortet. Weiter führt er aus, dass seine Auszubildenden nach ihrem Aufenthalt in Siebenbürgen über ihre Erfahrungen bei den ­Betriebs- und Weihnachtsfeiern in ihren Unternehmen berichtet hätten, aus denen dann ausgesprochen positive Rückmeldungen kamen.
Nach Fertigstellung des Dachstuhls sitzen die ...
Nach Fertigstellung des Dachstuhls sitzen die fleißigen Zimmerer-Azubis in luftiger Höhe. Foto: Wolfgang Weigl
Wie schon im letzten Jahr übernachten die Zimmerer-Azubis recht spartanisch in Gemeinschaftsräumen in leerstehenden Klassenzimmern der Schule. Diese – so wie auch die Unterkünfte der MeisterschülerInnen im ehemaligen Pfarrhaus in Martinsdorf – lassen jeglichen Komfort vermissen. Auch sonst ist man hier mit Plumpsklo und Duschcontainer vom deutschen Standard meilenweit entfernt. All das vermag die Laune jedoch nicht zu trüben. Auch in diesem Jahr ist die Stimmung unter den Azubis, die sich allesamt freiwillig für diesen Auslandsaufenthalt entschieden haben, gut. Während wir uns unterhalten, haben die Zimmererlehrlinge bereits ein beträchtliches Stück Dachfläche wieder mit den alten Biberschwänzen eingedeckt.

Wolfgang Weigl, der, wie er selbst sagt, seit 20 Jahren mit Leib und Seele Ausbilder ist, ist der Überzeugung, dass diese Art von Auslandserfahrungen für junge Menschen ungemein wichtig ist. Er wünscht sich, dass dieses Projekt fortgeführt wird. Einerseits könnten hier immer neue Schülergruppen ihre interkulturellen Erfahrungen sammeln und andererseits könnte auch das Kaltbachtal, in dem Martinsdorf und Mardisch gelegen sind, sowie die hier lebenden Menschen von diesen Aufenthalten profitieren. Beispielsweise habe zu Beginn ihres Aufenthaltes in Martinsdorf eine Bürgerversammlung in einem Klassenzimmer der Schule stattgefunden. An der Bürgerversammlung hätten etwa 20 MartinsdorferInnen und 20 interessierte SchülerInnen aus München teilgenommen. Während der Bürgerversammlung habe man offen über die vorherrschenden Probleme, wie z. B. die finanzielle Ebbe in den kommunalen Kassen, gesprochen. Zudem wurde ein Vortrag gehalten und die einheimische Bevölkerung wurde eingeladen, an dem Projekt aktiv teilzuhaben. Dies unter anderem auch, um später von dem fachlichen Know-how für Arbeiten an den eigenen Häusern profitieren zu können. Daraufhin hätten sich ein halbes Dutzend Helfer gemeldet. Der Vortrag und die Ausführungen zur Rettung der Schule seien mit großem Applaus belohnt worden. Sprachlich habe diese Bürgerversammlung der Vorsitzende der HOG Mardisch, Fritz Roth, unterstützt, der die Wortbeiträge jeweils ins Rumänische oder Deutsche übersetzte.

Mittlerweile ist es Zeit für die Mittagspause. Die angehenden Zimmerer sind inzwischen alle vom Dach gestiegen und setzen sich mit ihren mit Käse und Wurst belegten Butterstullen neben uns. Warm wird abends gegessen. Da gibt es nach den langen Arbeitstagen „auf dem Bau“ im Gemeinschaftshaus gemeinsames Abendessen für die 13 Zimmererlehrlinge, die 35 MeisterschülerInnen sowie deren Ausbildungsmeister. Dort wird allabendlich an zwei langen Tafeln nach Herzenslust geschlemmt. Dass es allen schmeckt, dafür sorgen schon seit 2010 Amalia und Emilia, die in diesem Jahr tatkräftig von Amalias beiden Töchtern und ihrer Schwester unterstützt werden.

Während alle die Mittagspause im Sonnenschein genießen, fährt ein dunkelblauer Transporter auf das Gelände. Ein Teil der Ladung im Heck sind Dachreiter. Diese scheinen ganz genau abgezählt zu sein. Denn es wird lauthals gescherzt, dass, wer nachher beim Dachdecken einen Dachreiter kaputt macht, mit dem Fahrrad zum nächsten Baumarkt geschickt wird – der nächste Baumarkt ist im 20 km entfernten Agnetheln. Wer schon mal in Martinsdorf war, der weiß, dass das ob der hier ausgesprochen hügeligen Landschaft ganz sicher kein Spaziergang werden würde.

„Meine Leute machen noch eben Mittagspause und helfen dann beim Ausladen mit“, ruft Wolfgang Weigl, bevor er sich mir wieder zuwendet. Der mir durch sein ausgeglichenes Wesen ohnehin sympathische Bayer schaut in die Landschaft und sagt dann: „Das Kaltbachtal ist ein Juwel – landschaftlich wirklich super.“ Derweil sind die Brote und Paprikastreifen verspeist, die Mittagspause ist vorbei. Frisch gestärkt machen sich die Azubis wieder ans Werk, laden die Dachreiter aus dem Transporter und erklimmen wieder den Dachstuhl. Ich mache noch einige Fotos von dieser besonderen Szenerie und merke, wie gut es mir tut, all diese Menschen hier zu treffen. Menschen, die mit ihrem Mut und ihrer Tatkraft, mit ihren Ideen und ihren Visionen und insbesondere mit ihrer Anwesenheit hier diesen Landstrich und auch die hier lebenden Menschen wertschätzen und unterstützen.

Moni Schneider-Mild

Schlagwörter: Martinsdorf, Renovierung, München, Auszubildende

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