18. Januar 2008

Pfadfinder: Betrachtungen zur Jugend- und Wanderbewegung Rumäniens

In etwa 170 Ländern gedachten im letzten Jahr rund 38 Millionen Pfadfinder der Gründung die­­ser Jugendbewegung vor 100 Jahren durch den britischen General Sir Robert Baden-Powell (1857-1941), der auf Brownsea Island, einer kleinen Insel vor der englischen Südküste, ein experimentelles Zeltlager mit 22 Jungen aus verschiedenen Schichten eröffnete. Es war der Be­ginn einer Jugendbewegung (Scout), die sich rasch eines weltweiten Zuspruchs erfreute. Ihr Erfolg gründet auf der Hinwendung zur Natur angesichts der Verstädterung und Industrialisie­rung mit dem Verlust der Verbindung zur Natur. Zelten, Hütten bauen, Knoten machen, sich in der Natur selbst verpflegen und die Zeichen verstehen, die Tiere und Pflanzen dem Menschen geben, verbunden mit sozialem Engagement – das waren und sind die Ziele der Pfadfinder.
Ihr Leitspruch lautet: „Jeden Tag eine gute Tat“ zu vollbringen. Dem „Boy Scout“ folgte 1909 auch ein „Scout“ für Mädel. Die Bewegung verbreitete sich bald auch in anderen Ländern. Die erste Schülergruppe, die in Deutschland den Namen „Pfadfinder“ – eine ungefähre Überset­zung des „Scouts“ (Kundschafter) – annahm, wurde schon 1909 in München gegründet, nachdem im selben Jahr in Berlin ein Ver­ein „Ju­gendsport in Feld und Wald“ entstanden war.

In Rumänien entstanden die ersten Pfad­fin­der­gruppen 1912/13 an Bukarester Gymnasien und nannten sich „cercetași“. Sie schlossen sich in der Asociația „Cercetașii României“ zusammen. Im Ersten Weltkrieg unterstützten sie als Sanitäter, Melder und Funker die rumänischen Einheiten.

In der Zwischenkriegszeit erreichte die Pfad­finderbewegung auch die Deutschen Ru­mä­niens. Im Jahre 1925 gründete der banatschwäbische Student Karl Becker, der in Frei­burg im Breisgau Fühlung mit dem Deutschen Pfadfinderverband aufgenommen hatte, mit Schülern des Temesch­burger Realgymnasiums eine Pfadfindergruppe. Bald fanden sich An­hänger in anderen Banater Ortschaften. Nach Becker übernahmen Michael Ortmann aus Orzy­dorf und Kaspar Hügel aus Lowrin die Führung.
100 Jahre Pfadfinderbewegung: Jugendliche aus den ...
100 Jahre Pfadfinderbewegung: Jugendliche aus den Ursprungsländern der Siebenbürger Sachsen trafen sich im Juli 2007 in Hermannstadt. Foto: Winfried Ziegler
Unter der Führung von Richard Suchany kam es 1930 in Bistritz zur Gründung einer Jungen­pfadfindergruppe. Sie übernahm als äußeres Zeichen die allgemeine Pfadfinderlilie. Ihr ge­hörten zunächst keine Schüler an, sondern größere Jungen, die die Schule bereits abgeschlossen hatten oder sich in der Be­rufs­ausbildung befanden. Später traten dann auch Schüler den Pfadfindern bei, deren Zahl 1932 zwischen 50 und 60 lag, darunter waren etwa die Hälfte Schü­ler bzw. „Ältere“. In anderen Ortschaften Sieben­bürgens entstanden keine Pfadfindergruppen, da unter den siebenbürgisch-sächsischen Ju­gendlichen, vor allem unter den Gymnasialschü­lern der „Wandervogel“ bereits großen Zuspruch gefunden hatte. Auch in Bistritz gab es seit 1923 eine Jugend­gruppe des Wandervogels und seit 1926 eine Mädchengruppe. Der Wandervogel rekrutierte seine Mitglieder hauptsächlich aus den Reihen der Schüler und Schülerinnen, bei den Mädchen gab es aber auch ältere Mitglieder.

Wandervogel und Pfadfinder arbeiten zusammen

Zwischen dem Wandervogel und den Pfadfindern gab es im Wesentlichen jedoch keinen großen Unterschied, und sie arbeiteten auch zusammen. Beide Bewegungen organisierten Wan­de­rungen, Reisen und Zeltlager in der Natur sowie Arbeitslager. Während der Wandervogel zusätzlich vor allem völkisch ausgerichtet war und sich um die Pflege des Brauchtums, speziell des Volksliedes, der Volkstracht, des Volkstanzes, des Laienspiels und des Zusammen­gehö­rig­keitsbe­wusstseins der Deutschen Rumäniens bemühte, waren die Pfadfinder mehr christlich orientiert. Außer diesen beiden Jugendgruppen gab es den „Allgemeinen siebenbürgisch-deutschen Jugend­bund“, die Wehrlogen der „Guttempler“ und den „Coetus“ an Gymnasien und am Lehrerseminar.

Die rumäniendeutschen Jugendgruppen un­ter­hielten Verbindungen zur Jugendbewegung Deutschlands. Es kam zu Deutschlandfahrten und zum Besuch reichsdeutscher Pfadfinder- und Wandervogelgruppen in Rumänien.

In Bistritz richtete sich der Wandervogel im Fassbindertum und die Pfadfinder im Kürschnerturm ihr Heim (Hort) ein, in denen sie sich regelmäßig zu Heimatabenden trafen. Im Hochsommer 1930 veranstaltete der Süd­ostdeutsche Wandervogel unter der Führung von Alfred Bonfert ein Sommerlager im nordsiebenbürgischen Petersdorf. Daran nahmen auch die Bistritzer Pfadfinder teil und klärten dabei ihr Verhältnis zum Wandervogel. Es wurde beschlos­sen, die Bistritzer Pfadfinder als selbstständige Gruppe in den Südostdeutschen Wan­der­vo­gel auf­zunehmen. An diesem Treffen soll auch die Pfadfinderschülergruppe des rumänischen Gym­nasiums, die 1923 gegründet worden war, teilge­nommen haben.

Ein Höhepunkt der Wandervogel- und Pfadfin­derbewegung war das Zeltlager am Elfensee in 1 600 Meter Höhe am Bistriciorul. Die technische Vorbereitung des Lagers lag in den Händen der Bistritzer Pfadfinder, die die Lebensmittel und sonstige Lasten auf Pfer­derücken hochtragen ließen. In den folgenden Jahren nahmen die Bis­tritzer Pfadfinder an sämtlichen Schulungsla­gern und Veranstal­tungen des Südostdeutschen Wandervogels auf Landesebene teil. Dazu gehörten auch Ar­beitslager zur Verrichtung gemeinnütziger Arbeiten auf dem Lande. Anläss­lich des Arbeitslagers von Henndorf (1932) gab der reichsdeutsche Pfadfinderbund eine Brief­marke zur Hilfe „ihrer bedrängten Volksgenos­sen“ in Siebenbürgen heraus. Unter den Aktivi­täten der Bistritzer Pfadfinder sind noch ein Ski- ­lager in der Schutzhütte des Siebenbürgischen Karpa­tenvereins am Kuhhorn (1933), eine Be­suchsfahrt in die Bukowina (1934), eine Groß­fahrt auf selbst gezimmerten Booten auf dem Bistritz- und Someschfluss bis in die Gegend von Sath­mar und eine Gruppenfahrt mit dem Fahrrad bis nach Balcic am Schwarzen Meer (1935) zu erwähnen.

Die Verbindung zum Pfadfinderbund Deutsch­lands wurde 1930 aufgenommen, als eine Grup­pe reichsdeutscher Pfadfinder am Pe­tersdorfer Lager teilnahm und die „Patenschaft“ über die Bistritzer Pfadfinder übernahmen. Auch im Lager am Elfensee waren reichsdeutsche Pfadfinder zu Gast. Ab 1933 organisierte der reichsdeutsche Bund die kostenlose Berufsausbildung von Bistritzer Jugendlichen in Deutschland. Die­se Verbindungen führten dazu, dass die Bistrit­zer Pfadfinder sich enger an die Pfadfinder Deutschlands anschlossen und äußerlich statt der bisherigen Lilie als Erkennungszeichen die Speerspitze und Siegrune des „Deutschen Pfad­finder Bundes“ übernahmen. Die Kluft (Uniform) bestand von nun an aus dem steingrünen Hemd mit dem kornblumenblauen Halstuch, der kurzen schwarzen Hose und dem Koppel mit dem Siegerrunenschloss. Im Winter wurde zur Ski­hose die dunkelblaue Jungenschaftsbluse und als Kopfbedeckung das „Schiffchen“ getragen.

Im Fahrwasser der nationalsozialistischen Erneuerungsbewegung

Sowohl der Wandervogel als auch die Pfadfin­der stellten 1934/35 ihre Tätigkeit ein und vereinigten sich mit dem „Siebenbürgisch-sächsischen Jugendbund“ unter der Führung von Pfar­rer Wilhelm Stadel, der in das Fahrwasser der nationalsozialistischen Erneuerungsbewegung geriet. Im Jahre 1935 kam es zur Spaltung der Jugendbewegung in den „Deutschen Jugendbund Rumäniens“ (DJR) als Jugendverband der „Deut­schen Volkspartei Rumäniens“ und den „Bund Deutscher Jugend“ als Jugendorganisation der „Volksgemeinschaft der Deutschen Rumäniens“. Sie vereinigten sich 1939 in der Organisation der „Deutschen Jugend“ (DJ), die sich ab 1940 in ihrer Struktur und Ausrichtung an das Vor­bild der „Hitler-Jugend“ in Deutschland anlehnte. Damit wurde auch die Jugendarbeit wie die der Deutschen Volksgruppe Rumäniens mit der Politik des Dritten Reiches gleichgeschaltet. In ihrer Arbeit führten diese Jugendorganisa­tionen einige Traditionen der Pfadfinder und des Wan­dervogels fort: Wandern, Zelten (oft als Kriegs­spiele), Pflege des Volkstanzes, des Volksliedes und des Volkstums, übernahmen aber auch vieles aus dem Angebot der „Hitler-Jugend“.

Rumänische Pfadfinder

Die rumänische Pfadfinderbewegung der „Cercetași“ erhielt in der Zwischenkriegszeit großen Zulauf und erreichte etwa 100 000 Mit­glieder. Sie nahmen an internationalen Tref­en teil und organisierten nationale Treffen in Piatra Neamț (1930), Hermannstadt (1932), Mamaia (1934) und Kronstadt (1936). Zu Ehren der im Ersten Weltkrieg gefallenen Cercetași wurde 1925 in Tecuci ein Denkmal errichtet. 1937 löste der König die Pfadfinderorganisation und alle anderen Jugendorganisationen auf und zwang alle zum Beitritt in die von ihm organisierte und kontrollierte Organisation „Straja Țării“ (Wäch­ter des Landes).

Wandern und Reisen auch im Kommunismus

Damit wurde für mehr als 50 Jahre die Pfad­finderbewegung erstickt. Zaghafte Versuche, die Organisation der Cercetași nach dem Zweiten Weltkrieg wieder ins Leben zu rufen, wurden von den kommunistischen Macht­habern untersagt. Während der kommunistischen Diktatur waren bloß die Organisation der „Pioniere“ (Schüler von 7 bis 14 Jahren) und der „Verband der Kommunistischen Jugend“, der fast alle Ju­gendlichen erfasste, zugelassen. Die Tradition des Wanderns und Reisens wurde aber nicht aufgegeben. An deutschen Mittelschulen, aber auch an größeren Dorfschulen organisierte man vor allem am Ende des Schuljahres Reisen zum Kennenlernen des Landes und Gebirgstouren. Staatlicherseits wurden Ferienlager eröffnet.

An die eigentliche Pfadfindertradition konnte erst nach der Wende von 1989 angeknüpft werden. 1990 entstanden in mehreren Städten ru­mänische Pfadfindergruppen mit verschiedenen Ausrichtungen. Zurzeit gibt es 2 600 Pfadfinder, organisiert in 66 Zweigstellen. Sie sind in dem Dachverband „Organizația Națională Cercetașii României“ zusammengeschlossen und gehören dem internationalen Dachverband „World Orga­nization of the Scout Movement“ an. Ru­mänische Pfadfinder pflegen mittlerweile den Kontakt zu ausländischen Pfadfindern und nehmen an internationalen Treffen teil. Da sie sich auch um den Naturschutz kümmern, hat der Dachverband der deutschen Pfadfinder diese Vorhaben ihrer rumänischen Gesinnungsbrüder zu ihren Jah­resaktionen 2007 und 2008 erklärt. Deutsche und Österreichsche Pfadfinder organisieren Hil­fen für bedürftige Menschen, vor allem von Kindern in Rumänien. Dazu gehört auch seit Jahren ein Zeltlager für Waisenkinder in Ocland (Kreis Harghita).

Interbationales Pfadfindertreffen aus den Ursprungsländern der Siebenbürger Sachsen

Auf Initiative des Vorstandsvorsitzenden der Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung, Dipl.-Ing. Hans Christian Habermann, lud die Pfadfinder­zentrale in Genf im Sommer 2007 Pfadfinder aus Ländern, aus denen einst die Vorfahren der Sachsen nach Siebenbürgen eingewandert wa­ren, nach Hermannstadt ein, um sich mit ru­mänischen Pfadfindern zu treffen und Siebenbür­gen kennen zu lernen. Wie in dieser Zeitung berichtet, nahmen an diesem Treffen vom 13. bis 23. Juli 60 Pfadfinder aus Frankreich, Belgien, Luxemburg und Deutsch­land teil. Die Gäste trafen sich auch mit Ju­gend­lichen der deutschen Jugendforen und Schülern des Brukentalgymnasiums in Her­mannstadt. Sie lernten nicht nur Hermannstadt, die Europäi­sche Kulturhauptstadt 2007 kennen, sondern unternahmen auch Ausflüge nach Birthälm, Schäßburg, Kelling und andere Ort­schaften. Sie beteiligten sich zudem an gemeinnützigen Arbei­ten zur Pflege von historischen Denkmälern, wie es sich für Pfadfinder ziemt. Die Pfadfinder Rumäniens leisten somit durch solche Begeg­nungen einen Beitrag zur Rückkehr ihres Lan­des nach Europa, das seit letztem Jahr der EU angehört.

Michael Kroner

Schlagwörter: Jugendaustausch, Jugendfreizeit

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