20. Mai 2010

Freikauf der Rumäniendeutschen: "Sold out"

"Sold out" oder was ich schon immer wissen wollte über den Ausverkauf der Deutschen aus Rumänien, es mich aber nicht traute zu fragen: Das Stück „Sold out“ von Gianina Cărbunariu hat am 5. Mai 2010 im Werkraum der Münchener Kammerspiele Premiere gefeiert. Selten hat mich eine Inszenierung derart aufgewühlt und begeistert wie diese. Das Stück, das zu Deutsch „Ausverkauft“ heißt, spielt auf das immer noch große Tabuthema des Freikaufs der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in den Jahren des Kommunismus an.
In den 60er Jahren bis Ende 1989 zahlten fast alle Deutschen, die aus Rumänien ausreisen wollten, an dubiose Personen (in „Sold out“ als „Schwarzer Mann“ bezeichnet) Geld- und Wertsummen. Die gefeierte Dramaturgin und Regisseurin des Stückes, Gianina Cărbunariu (33), stieß auf dieses Thema vor vier Jahren. Aus Interviews mit vierzig betroffenen Personen entwickelte die gebürtige Temeswarerin „Sold out“.

Weihnachten 1943 beginnt die Geschichte der in „Sould out“ in Szene gesetzten Familie. Der in die Waffen-SS eingetretene Sohn berichtet, welche Ehre es sei, für Deutschland in den Krieg zu ziehen. Die Eltern stimmen in den Chor ein, nur der Großvater sieht als einziger das Unglück nahen. Als Geschenk bringt der Sohn seiner kleinen Schwester die Puppe Annemarie mit. Eine Puppe von symbolischer Bedeutung, wunderbar gespielt von Hildegard Schmahl, die die Familie über all die Jahrzehnte begleiten wird. Sie ist es auch, die sich den Mund nicht verbieten lässt und immer die Wahrheit sagt. Als der Sohn im Krieg fällt und die Russen einmarschieren, bleibt sie mit dem Großvater zurück. Das Rauben und Plündern überlebt sie, aber ihre Beine kommen in den Wirren abhanden. Als noch die Eltern nach Russland verschleppt werden, bleibt sie die einzige Ansprechpartnerin für die Tochter.

Die Dramaturgin und Regisseurin Gianina ...
Die Dramaturgin und Regisseurin Gianina Cărbunariu inszenierte "Sold out" in München.
In den 60er Jahren kommt der Onkel aus dem Westen zu Besuch und erzählt vom Schlaraffenland Deutschland. Er versucht die Familie zu überreden, einen Ausreiseantrag nach Deutschland zu stellen; er würde dabei auch finanziell helfen. Er verspricht der schönen Puppe, dass sie wieder in ihre alte Heimat Deutschland kommen und dort wieder ein paar neue Beine erhalten werde. So wird die Puppe zur treibenden Kraft.

Das Stück spielt in einer Art gläserner Puppenstube, die immer argwöhnisch von Nachbarn und der Securitate überwacht wird. Selbst das Telefon wird in den Kühlschrank gestellt, damit der Staat nicht mithört. Das Bühnenbild hat Dorothee Curio gestaltet. Voller Pathos und Hingabe spielte und sang die Musikerin Pollyester die passende Musik zu den historischen Ereignissen. Als sich die Familie entschließt, einen Ausreiseantrag zu stellen, und dem Onkel mitteilt, dass sie jetzt bereit sei für sein Geschenk, und ihm als Gegenleistung in Deutschland „viele Socken zu stricken“ verspricht, beginnen die Schikanen durch den Staat. Der Vater wird in der Arbeit herabgestuft und schließlich entlassen, die Tochter verliert ihren Studienplatz. Nachträglich stellt es sich heraus, dass sie ein „guter Freund“ an die Securitate verraten hat. Die Familie zahlt das Geld an den „Schwarzen Mann“ und wird nun von Monat zu Monat vertröstet. Die Forderungen werden immer höher – und die Wunschliste aus dem Quelle-Katalog auch. Nach langen Jahren des Wartens erhält die Familie endlich die Genehmigung zur Ausreise. Schnell werden die Holzkisten gepackt (Originale), denn schon steht der neue Eigentümer des Hauses vor der Tür.

Die Schilderung der Puppe Annemarie über die Ausreise mit der Bahn via Curtici geht einem unter die Haut. Die Familie jubelt, als sie in Passau ankommt. Nur noch gelegentliche Albträume bleiben, in Rumänien und der Securitate ausgeliefert zu sein.

Das Schauspielensemble, bestehend aus Sylvana Krappatsch, Lasse Myhr, Hildegard Schmahl, Lenja Schultze, Edmund Telgenkämper und Michael Tregor, brachte das Thema gekonnt auf die Bühne. In der anschließenden Podiumsdiskussion berichteten die Protagonisten, dass sie von diesem Thema zuvor nie gehört hätten, auch dass Siebenbürgen den meisten kein Begriff gewesen sei. Nur ein Darsteller hatte eine Großmutter, die aus Siebenbürgen kam. Die Autorin erzählte im Dialog mit dem Publikum, dass sie das Stück gerne auch in Rumänien aufführen wolle, es aber ein sehr großes Tabuthema sei, denn der Verlust der deutschen Bevölkerung Rumäniens habe eine tiefe Lücke im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bild Rumäniens hinterlassen. Von dem vielen Geld, das an die „Schwarzen Männer“ geflossen ist, ganz zu schweigen. Gianina Cărbunariu verlieh ihrer Hoffnung Ausdruck, mit „Sold out“ dann doch eine Türe zu öffnen für mehr Offenheit und Ehrlichkeit in der nachrevolutionären Gesellschaft Rumäniens. Diese Hoffnung teilten die meisten der an der lebhaften Diskussion beteiligten Zuschauer.

Detlef Schuller

Schlagwörter: Theater, Zeitzeugenberichte, Kommunismus, Freikauf

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