6. Juli 2010

Horst Fassels Buch über ferne, vergessene „Theater-Welten“

Es ist der dritte Band der Karl-Kurt-Klein-Reihe (benannt nach dem siebenbürgischen Linguis­ten, Literaturhistoriker und Pädagogen), der im Klausenburger Universitätsverlag erschienen ist. Als Autor zeichnet der verdienstvolle Germanist und Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Horst Fassel. Begründet wurde diese wissenschaftliche Bücherreihe im Jahr 2002 mit dem Tagungsband „Zur Geschichte des deutschsprachigen Theaters in Südosteuropa im 20. Jahrhundert“.
Wie auch die vorherigen Publikationen bringt das 419 Seiten umfassende Werk „Bühnen-Welten vom 18.-20. Jahrhundert. Deutsches Theater in den Provinzen des heutigen Rumänien“ wissenschaftliche Ergebnisse einer bisher vielseitigen Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Institut der Klausenburger Babeș-Bolyai-Universität und dem Institut für donauschwä­- bische Geschichte und Landeskunde, Tübingen. Nachdem Karl Kurt Klein, so die Herausgeber dieser Reihe Horst Fassel und Rudolf Gräf, während seines akademischen Wirkens an den Universitäten Jassy und Klausenburg „sich nicht ausschließlich als Linguist und Literaturwissenschaftler, sondern ebenso als Historiker betätigte (auch in seinen Innsbrucker Jahren wurde diese historische Linie fortgesetzt), war diese Kooperation zwischen Klausenburg und Tübingen“, wie man nun sehen kann, von Anfang an „Erfolg versprechend“.

Die weitreichende Thematik des Bandes ist in vier große Kapitel gegliedert: Allgemeine Entwicklung, Stadttheater, Theaterdirektoren, Dramatiker. Bereits im ersten Teil wird ausführlich auf „Deutsche Theaterlandschaften in Siebenbürgen und im Banat“ sowie auf „Die Theaterunion zwischen Temeswar und Hermannstadt am Beispiel des Theaterdirektors Eduard Reimann (1843-1898)“ eingegangen.

In Kapitel 2, wo die Entwicklung der deutschen Stadttheater in Czernowitz, Pressburg (Bratislava), Lugosch, Kronstadt und Orawitza dargestellt wird, geht Horst Fassel ausführlich auf das siebenbürgisch-sächsische Schultheater ein, dessen Tätigkeit bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht. Was jedoch die Kronstädter Aufführungen von jenen im damaligen Deutschland unterscheidet, ist die Tatsache, „dass man heute in der Regel nicht mehr über die Spieltexte verfügt und deshalb auf Vermutungen über Stücke, deren Titel man kennt, angewiesen ist“. So zum Beispiel ist vom Drama „Amnon incestuosus“ des herausragenden Kronstädter Humanisten und Verfassers von lateinischen Dichtungen, Valentin Wagner (1510-1557), nur noch der Titel überliefert. Der große Stadtbrand 1689 ver­nichtete damals die gesamte sächsische Schulbibliothek mit unersetzlichen Büchern und Schriften, so dass die literaturhistorische Forschung heute hauptsächlich auf Angaben aus Sekundärquellen angewiesen ist.

Neue Einsichten in eine kaum bekannte Zeitspanne östlichen Laientheaters vermittelt eine ausführliche Darstellung über „Zielsetzungen und Leistungspotential der deutschen Theatergruppe im Arbeitslager Makeevka im Donbas (1946-1949)“, wo auf die vielfältige Kulturtätigkeit der „zur Ausbauarbeit“ Deportierten Rumä­niendeutschen hingewiesen wird. So erfährt man unter anderem von „Weihnachts- und Osterfeiern, von Gottesdiensten, von gemeinsam vorgetragenen, von Gruppen einstudierten Liedern, von Vorträgen zu diversen Themen und von gelegentlichen Theateraufführungen“.

In einem anderen Kapitel wird über „Die Tätigkeit der deutschen Theatergruppe in den ­Lagern 1022 Mischino und 1056 Kapitalnaja“ berichtet. Diese Theatergruppe der Zwangsdeportierten wurde am 3. März 1946 gegründet, wobei von den sieben Gründungsmitgliedern fünf Berufskünstler waren, darunter auch Wilhelmine Fischer-Banu, einst Ensemblemitglied des bekannten Bukarester Revuetheaters „Constantin Tănase“.

Das erste deutsche Varietéprogramm wurde am 7. April 1946 im Arbeitslager Mischino präsentiert, und am 25. Mai „konnte die Theatergruppe, die bis dahin sechs Aufführungen aufzuweisen hatte, von der Lagerleitung offiziell ‚eingeweiht‘ werden“; zehn Tage später, am 6. Juni, fand im Lager Kapitalnaja sogar die erste Rigoletto-Vorstellung statt. Weiter heißt es, dass hier 1946 insgesamt 18 Vorstellungen dargeboten wurden, 1947 waren es dann nur sieben, dafür aber gab es 1948 15 Vorstellungen und 1949 ebenfalls 15 Aufführungen. Interessant ist die Tatsache, dass z. B. im Herbst 1947 das Lager-Ensemble aus Protest „in Streik“ trat, weil sowjetische Offiziere „Musiker von den Proben wegholen ließen“ und somit die Kulturarbeit behinderten. Nach Verhandlungen eines Vertreters der Deportierten mit dem Lagerkommandanten wurde jedoch die Bühnentätigkeit am 8. Februar wieder aufgenommen.

Zielgruppen dieser Aufführungen, zu denen auch Lustspiele und Nachgestaltungen der Opern „Carmen“ und „Rigoletto“ gehörten, waren, so schreibt Horst Fassel, neben den Deportierten auch die Familien der sowjetischen Offiziere. Arien aus dem „Zigeunerbaron“, der „Fledermaus“ oder der „Lustigen Witwe“ begeisterten sowohl die Deportierten als auch die sowjetische Lagerprominenz, wie der Autor in seinen Untersuchungen feststellt, während Lieder wie „Lilly Marleen“ mehr die deutschen ­Zuhörer „ansprachen“. Der Ankauf von Musikinstrumen­ten wurde übrigens durch die Einnahme von Eintrittsgeldern und Spenden finanziert.

Es ist ein wissenschaftlich fundiertes, informatives und somit auch lesenswertes Werk (mit über 800 Fußnoten und einem Verzeichnis des Quellenmaterials im Anhang), das uns in vergangene, ferne und leider oft auch vergessene „Bühnen-Welten“ führt.

Claus Stephani


Horst Fassel: „Bühnen-Welten vom 18.-20. Jahr­hundert. Deutsches Theater in den Provinzen des heutigen Rumänien“, Presa Universitară Clujeană, 2007, 419 Seiten, ISBN 978-973-610-617-0, zum Preis von 15 Euro bestellbar über presa_universitara@easynet.ro.

Schlagwörter: Rezension, Theater, Südosteuropa

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