9. November 2010

Zehn Jahre Rokestuw in München: "Ohne Wurzeln gibt es kein Wachsen"

Ihr zehnjähriges Jubiläum feierte die Rokestuw München am 24. Oktober 2010. Freunde, Gäste und die Rokestuwler selbst, Jung und Alt, Groß und Klein feierten so, wie es die Siebenbürger Sachsen schon immer getan haben: würdevoll, beginnend mit einem feierlichen Festgottesdienst, dann mit Tanz und Musik, bei gutem Essen und Wein.
Den Festgottesdienst in der evangelischen Auferstehungskirche in München hielten drei Geistliche, die das Entstehen und Wachsen der Rokestuw stets unterstützt und begleitet haben und es heute noch tun: Pfarrerin Dr. Iris Geyer, Pfarrer Manfred Staude und Diakon i.R. Herbert Hofmann. Der Posaunenchor der Siebenbürger Blaskapelle Landshut und der Reußmarkter Chor gestalteten den Gottesdienst mit. Beim heiligen Abendmahl, ausgeteilt von den drei Geistlichen, standen wir in unseren schönen, teils unterschiedlichen Trachten, im großen Kreis, rings um den Altar und empfingen das Mahl des Herren und seinen Segen. Ein unbändiges Glücksgefühl überflutete mich; ich stand inmitten dieser wunderbaren Menschen, zu denen ich gehören durfte. Ich war einfach stolz, eine Sächsin aus Siebenbürgen zu sein.
Zahlreiche Siebenbürger Sachsen waren zum ...
Zahlreiche Siebenbürger Sachsen waren zum zehnjährigen Jubiläum der Rokestuw in Tracht erschienen und stellten sich zu einem imposanten Gruppenbild in der Auferstehungskirche auf. Foto: Oswald Kessler
Nach dem unbeschreiblich feierlichen und schönen Gottesdienst begaben wir uns in den benachbarten Gemeindesaal, der in den Farben Blau und Rot leuchtete. Astrid Greff hatte uns wieder einmal mit ihrer Kunst, meisterhaft Tische zu dekorieren, überrascht. Auf jedem Tisch standen Miniaturroken mit Spindel und echtem Hanf – die passende Dekoration für diesen Anlass.

Die Blaskapelle Landshut unter der Leitung von Erwin Arz begann zu spielen und wie aus dem Nichts tauchten die Helferinnen der Rokestuw mit vollgeladenen, köstlichen Platten auf und trugen das Mittagessen auf. Durch das anschließende kulturelle Programm führte Michael Greff. Es sollte ein unvergessliches Fest werden. Zum Auftakt wurden Pfarrer Manfred Staude und Diakon Hoffman i.R. mit dem blau-roten Rokestuwwappen aus Lebkuchen für ihre Verdienste als „ehemalige Schirmherren“ der Rokestuw geehrt. Pfarrer Staude bedankte sich herzlich für die erwiesene Ehre und meinte, dass er dank der Erfahrungen mit der Rokestuw oft wie ein Siebenbürger Sachse denken und handeln würde. Diakon i.R. Hoffmann, ein uriger Bayer, meinte, dass im Freistaat ohne Siebenbürger Sachsen gar nichts mehr gehen würde. Unter den Gästen begrüßte Michael Greff auch die Vorsitzende der Kreisgruppe München, Heidemarie Weber, und den Chefredakteur der Siebenbürgischen Zeitung, Siegbert Bruss, die die Rokestuw als wichtige, gemeinschaftsstiftende Einrichtung würdigten.

Der Reußmarkter Chor sang die Lieder „Freunde die ihr seid gekommen“, Text und Melodie Josef Michel; „Der Burchbärch äs mät Blome vol“; Weise: Fritz Schuller; Satz: Fr. Dressler; „Wir lieben sehr im Herzen“ von Daniel Friderici. Und weil es so schön geklungen hatte, sangen sie noch „Gern denk ich zurück“ von Adolf Frey-Völlen als Zugabe. Das Bild der Erinnerung leuchtete dabei ebenso hell auf, wie es im Lied besungen wird. Dirigent Wilhelm Spielhaupter stellte der Siebenbürger Reußmarkter Chor kurz vor, der schon seit über 30 Jahren besteht.
Vier Generationen feierten im Gemeindesaal der ...
Vier Generationen feierten im Gemeindesaal der Auferstehungskirche. Auf dem Bild die Kindertanzgruppe, die unter der Leitung von Heide Krempels stürmischen Beifall erntete. Foto: Oswald Kessler
Es folgte der Auftritt der Kindertanzgruppe München, geleitet von Heidi Krempels. Es war die Überraschung des Abends. Sie traten wie kleine Profis auf und boten uns einen fehlerfrei getanzten „Mühlentanz“ und den schwierigen „Sprötzer Achterrühm“. Herzlichen Glückwunsch an die kleinen Tänzer und ihre Leiterin.

Das Saxophon-Trio Heidi, Patrick und Siegfried Krempels boten uns wie immer eine Kostprobe ihres Könnens, die extra für dieses Fest vorbereitet wurde. Siegfried bearbeite sächsische Volkslieder für drei Saxophone: „Et såß e klī i wäld Vijeltchen“ – das Sinnbild des Siebenbürger Sachsen, der seine Freiheit mehr liebt als alles Gold der Welt –, dann die „Spinnerin“ u.a. bekannte Weisen.

Jetzt fieberten alle dem Höhepunkt des Abends entgegen: dem Auftritt der Jugendtanzgruppe, die vor zehn Jahren in der Rokestuw aus der Taufe gehoben wurde, damals unter der Leitung von Bianka Zeck, geborene Greff, und Gehard Martini, heute unter der Leitung von Heidi Krempels und Andreas Roth. Ganz am Anfang im ersten Jahr sah das Tanzen etwas hölzern aus, heute reißen ihre Darbietungen das Publikum vom Hocker – da ist feuriger Rhythmus, da ist Schwung, da ist Spaß und Freude am Tanzen; sie lächeln, sie schauen sich an, die Röcke und Bänder fliegen und plötzlich fliegen zwei Tänzerinnen in der Luft bei dem berühmten „Holsteiner Dreitour“. Dann tanzten sie noch den „Schaulustig“ und obwohl nicht geplant, als Zugabe „Reklich Med“, wo auch Bianka Zeck und Gerhard Martini, die ehemaligen Tanzgruppenleiter, in den Strudel des Tanzes gezogen wurden. Es gab Beifall ohne Ende. Kein Wunder, dass diese Tanzgruppe, die unlängst ihr zehnjähriges Jubiläum gefeiert hat, alle möglichen Preise auf Kreis- und Bundesebene gewonnen hat.

Zwischen all den Auftritten haben wir gemeinsam unsere schönen alten Lieder gesungen und auch getanzt zu den Klängen der Blaskapelle. Wir wurden wieder, dank der Backkunst der Rokestuwlerinnen, sehr verwöhnt und haben die vielen Kuchen, die sich auf den Tellern türmten, reichlich genossen.

Michael Greff bedankte sich für die Darbietungen aller Beteiligten an diesem Programm sowie bei allen Helferinnen und Helfern, die zum Gelingen dieses Festes beigetragen haben. Er sprach über die Aktivitäten der letzten zehn Jahre in der Rokestuw, „über die Erfahrungen, die man gesammelt hat, was Gemeinschaft bedeutet und wie wichtig es ist, Kinder und Jugendliche dabei zu haben, und wie unschätzbar die Präsenz unserer lieben Senioren ist. Wir haben gelernt, dass es nicht gut ist, seine Wurzeln zu vergessen, aber auch, dass es ohne neue Wurzeln kein Wachsen gibt. Wir haben gelernt, wie wichtig Glaube und Kirche für unsere Gemeinschaft ist“.

Was ist die Rokestuw?

An dieser Stelle möchte ich kurz die Rokestuw vorstellen. Manche Leser werden sich schon gefragt haben, was tut man heutzutage in einer Rokestuw, die ist doch überholt, keiner spinnt mehr in unserer Gesellschaft Hanf vom „Roken“ mit der Spindel. Rokestuw bedeutet für uns Identitätssuche, -finden und -bewahren, Gemeinschaft pflegen, Werte, die wir von unseren Vätern geerbt haben, an folgende Generationen weiterzugeben. Unsere Rokestuwler kommen aus über 30 Ortschaften Siebenbürgens, jeder mit eigenem Dialekt, eigener Tracht, eigener Mentalität. Dank dieser Vielfalt ist die Rokestuw so lebendig und zieht immer mehr Sachsen an.

Wir freuen uns darüber. Es wird gemeinsam gearbeitet in der Auferstehungskirche, im Gemeindesaal, im Garten, beim Vorbereiten der Feste wie der Weihnachtsfeier und des Faschings, beim Lebkuchenbacken für die Christbescherung in der Auferstehungskirche. Es werden alle unsere Lieder gesungen, die wir aus der alten Heimat mitgebracht haben; Samuel Krauss meinte: „Reden bringt auseinander, Singen führt zusammen.“

In der Rokestuw wurde eine Verlobung nach altem Brauch gefeiert, dann eine Hochzeit, vor zehn Jahren wurde eine Jugendtanzgruppe gegründet, heute haben wir auch eine Kindertanzgruppe, vielleicht kommt eine Theatergruppe hinzu, Potential ist vorhanden. Hier wurden und werden viele interessante Vorträge gehalten von den Rokestuwlern: Maria und Michael Zeck, Oswald Kessler; Marianne Liebhart, Rolf Dieter Happe, oder von Gastdozenten wie z.B. Horst Göbbel aus Nürnberg. Wir hatten Besuch aus dem Ausland: eine Gruppe des Kitchener Transsylvania-Clubs (Kanada), und aus Augsburg: die Singgruppe „Ganz in Weiß“.

Wir haben es sehr bedauert, dass das Ehepaar Zaneta und Rolf Dieter Happe, heute in Australien lebend, nicht dabei sein konnte. Wir haben sie sehr vermisst, aber die tiefsinnige Botschaft ihres Briefes, den Marianne Liebhart vorgelesen hat, haben wir sehr wohl verstanden. Ein herzliches Dankeschön auch an dieser Stelle.

Das Schlusswort unseres Festes sprach Pfarrerin Dr. Iris Geyer. Sie bedankte sich für die Einladung und zählte die Sachen auf, die sie in der Rokestuw gelernt hat: Schmalzbrot mit Zwiebel zu essen, das es in jeder Rokestuw gibt; dass Arbeiten zum Fest werden kann; dass die Siebenbürger Sachsen zusammenhalten, sich gegenseitig helfen und den Glauben leben.

Astrid Greff und Marianne Liebhart verteilten an die Rokestuwler blau-rote Rokestuwherzchen. Im Namen der Rochenstuwler dankte ich den Initiatoren und Organisatoren der Rokestuw, Astrid und Michael Greff, mit einem Zitat des chinesischen Philosophen Laotse: „Güte in den Worten erzeugt Vertrauen, / Güte beim Denken erzeugt Tiefe, / Güte beim Verschenken erzeugt Liebe.“

Astrid und Michael Greff sage ich auch an dieser Stelle: Danke für die vielen gesagten und ungesagten Worte in all den Jahren; Danke für euer Mitdenken, euer An-alles-Denken und vor allem für euer An-uns-Denken, Danke für das Geschenk eurer Liebe.

Hildegard Greff

Schlagwörter: München, Brauchtumspflege, Integration

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