19. November 2010

„Kleine Stadtgeschichte“ Harald Roths zum 775. Geburtstag von Kronstadt

In diesem Jahr feiert Kronstadt seinen 775. Geburtstag, das Jubiläum seiner ersten bekannten urkundlichen Nennung. Ist das auch richtig? Man lese das Buch von Harald Roth, eine populär geschriebene und wissenschaftlich fundierte Stadtgeschichte und man erhält die Antwort, eine von vielen Antworten auf viele Fragen, die die politische Entwicklung der Wirtschaftsmetropole im Karpatenbogen aufgeworfen hat und aufwirft.
Eine ganz andere Frage drängt sich dem Rezensenten, einem Hermannstädter mit Heltauer Wurzeln auf, wenn er das schöne Buch des in Schäßburg geborenen Kronstädters in die Hand nimmt: Worin besteht der Unterschied zwischen der ersten der drei „Kleinen“ Stadtgeschichten (über Hermannstadt) und dieser (über Kronstadt)? Sicher nicht in der Sachlichkeit, der präzisen, quellen- und literaturgestützten Information, die den Autor und seine Bücher auszeichnet, auch nicht in der einem breiten Publikum zugänglichen Sprache und dem Verzicht auf das manchen Leser verwirrende Fußnotengewirr. Wohl aber in dem, was in diesem Buch mitschwingt: Harald Roth macht seiner Heimatstadt eine unüberlesbare Liebeserklärung.

Die kleine Stadtgeschichte ist „Magistris Coronensis“ gewidmet, den Kronstädter Lehrern, und schon fragt man sich wieder: Meint er seine eigenen Lehrer, oder meint er die Kulturträger und Historiker der Stadt – von Magister Johannes Honterus über den ersten Stadtmonographen George Michael Gottlieb von Herrmann und die „beste Historikerin der Stadt“, Maja Philippi, bis hin zu Gernot Nussbächer, dem lebendigen Gedächtnis des Ortes –, denen Harald Roth im Vorwort dankt, stellvertretend für die „reiche Stadtgeschichtsschreibung“, die die Grundlage seines „Versuchs einer Synthese“ bilde? Schon ergibt sich die nächste Frage: Ein „Versuch“? Dazu gleich eine Antwort: Das ist typisches Understatement des Autors, denn das Buch ist die Synthese, die die Stadt schon lange verdient.

Die Synthese gliedert sich in sechs Kapitel mit spannenden Titeln: Corona entsteht (bis 1241), Auf dem Weg zur Autonomie (1241-1377), Das reiche Handelsemporium (1377-1530), Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation (1530-1688), Habsburgs langer Arm: Zerstörung und Peripherie (1688-1918), Im geographischen Zentrum: Kronstadt in Rumänien (seit 1918). Knappe Anmerkungen, eine Auswahlbibliographie, Abbildungen als gute Illustrationen zum Text, ein Verzeichnis der Namen der Gassen und Plätze (deutsch und der heutige rumänische Name), ein Register und zwei sehr gut orientierende Stadtpläne jeweils auf den Umschlaginnenseiten sind integrierender Teil des Buches. Der Leser muss auch sehen, Bilder interpretieren und Karten lesen, aber er tut es unwillkürlich, weil ihn die Neugier treibt und weil er dem historischen Stadtrundgang folgen will.

Diesen Stadtrundgang will der Rezensent nicht verkürzen, indem er die Geschichte nacherzählt, denn das ganze Buch kann und muss gelesen werden, vom Kronstädter ebenso wie vom Siebenbürger Sachsen, vom Siebenbürger jeden Glaubens und jeden Volkes ebenso wie vom interessierten Europäer und städtereisenden Weltenbummler.

Aber auf einige, das traditionelle Geschichtsbild ins Wanken bringende Details möchte ich dennoch aufmerksam machen, um zu zeigen, dass das Buch viel mehr ist, als das Vorwort ankündigt, nämlich kein einfacher „Versuch der Synthese“ von Bekanntem, sondern eine spannungsgeladene Neuinterpretation. Betrachtet man den Stadtplan auf der vorderen Umschlaginnenseite, fällt ein grau markiertes Areal ins Auge, der „anzunehmende alte Klosterbereich“. Hier fand, so die überzeugend belegte These des Autors, Corona, der namengebende Stadt-Teil, seine Anfänge. Und zwar noch vor der Berufung des Deutschen Ordens ins Burzenland, die 1211 – also vor bald 800 Jahren – durch König Andreas I. erfolgte. Das bedeutet: Kronstadt ist keine Deutschordensgründung, wie zahlreiche Historiker bislang annahmen und auch nicht „nur“ 775 Jahre alt, wie gerade gefeiert wird! Vielleicht 875 Jahre alt, wenn man die Funde in Marienburg und Tartlau, die eine westliche Besiedlung des Burzenlandes um 1160 belegen, auch mit Kronstadt in Zusammenhang bringt? Vielleicht noch älter, wenn man die Vorsiedlungen berücksichtigt, die aus vorgeschichtlicher Zeit bekannt sind? Oder hat man „das 800. Stadtjubiläum verpasst“, obwohl einige alte Chroniken das Jahr 1203 als Gründungsdatum angeben? Roth stellt einen Zusammenhang her zwischen der ersten schriftlichen Erwähnung der Stadt (1235, vor 775 Jahren) in einem Visitationsbericht der Prämonstratenser, der auch Corona und villa Hermani nennt, und der auf den Tag der heiligen Corona ausgerichteten Schwarzen Kirche. Die Gebeine dieser Heiligen liegen seit über 1000 Jahren im Aachener Dom (Kaiser Otto III. hatte sie aus Italien hin bringen lassen) und aus dem Aachener Raum dürften um 1200, vielleicht eben 1203, die Prämonstratensermönche gekommen sein, die die Ausrichtung der Schwarzen Kirche, ihrer als solche nicht mehr erhaltenen Klosterkirche, veranlasst haben. Mehr dazu und zu dieser spannenden Geschichte im 1. Kapitel des „kleinen“ Kronstadt-Buches.

Das Prämonstratenserkloster und die Siedlung rund um die Sankt-Corona-Kirche gingen im Mongolensturm nicht unter, so eine weitere, wenig lokalpatriotische These Harald Roths, da Corona 1241 noch viel zu unbedeutend war, vielleicht Marienburg und Zeiden ihm noch den Rang abliefen. Erst die Katastrophe machte den strategischen Vorteil der Ansiedlung im Zinnental deutlich, die leicht Richtung offenes Burzenland abgeriegelt werden konnte. Danach entwickelte sich der Ort jedenfalls rasant, schloss stufenweise andere Siedlungen (wie Obere Vorstadt, Blumenau, Martinsberg) mit ein und wurde zur „Inneren Stadt“. 1353 verlieh ihm Ludwig der Große ein erstes wichtiges Stadtprivileg, 1369 (13 Jahre vor Hermannstadt, vermerkt Roth mit lokalpatriotischem Stolz!) das Stapelrecht, das die Entwicklung zur Handelsmetropole beschleunigt hat, die Kronstadts Bedeutung im Mittelalter und in der Neuzeit ausmachte.

Während die Hermannstädter stolz sind auf ihre (irrationale) Treue gegenüber den Habsburgern, die nach 1526 jahrelange Belagerung auf sich genommen hatten und letztlich ihre wirtschaftliche und politische Vormachtstellung einbüßten, so sehen sich die Kronstädter gern als kluge Pragmatiker, die ihre Stadt durch frühe Einsicht in das Unvermeidliche aus den Kämpfen der Übergangszeit nach dem Zerfall des mittelalterlichen Ungarn herausgehalten und damit zur „verlässlichen Stütze der Sächsischen Nation“ ausgebaut hatten, in steter Konkurrenz zwischen der Stadt unter der Zinne und jener am Zibin. Roth feiert diese wenigen Jahre (1529-1536), in denen Kronstadt „wie selbstverständlich die Führung“ übernahm, und stellt einen Zusammenhang her zur Reformation, die in Siebenbürgen von hier ausging, und zum Humanismus, die er an Johannes Honterus, dem bedeutendsten Sohn der Stadt, festmacht. Ob da wirklich ein ursächlicher Zusammenhang besteht? Oder ist es ein bisschen „Zur Schau getragener Stolz“ (Titel eines Unterkapitels) der Stadt und ihres Sprösslings?

Davon zeugt auch das Unterkapitel „Kriegserklärung an den Kaiser“, das sich mit dem „Schusteraufstand“ von 1688/1689 gegen die habsburgische Besetzung der Stadt beschäftigt. Hat da wirklich ein Souverän (die „Stadtrepublik“) dem anderen (dem „Kaiser“, der ja hier eigentlich nur als König von Ungarn auftrat) den Krieg erklärt? Oder war es nicht doch in erster Linie ein Aufruhr der Handwerker gegen das Patriziat, das sich (zu) schnell und pragmatisch dem neuen Herrscher unterwerfen wollte? Letztlich brachte der Aufruhr nur Leid und Zerstörung (samt Stadtbrand und „Schwarzer“ Kirche), und die Habsburger drängten Kronstadt an den Rand, bevorzugten in allem Hermannstadt. Die späte Rache der Kronstädter Historiker, auch Harald Roths: Eine unverhohlene Habsburgfeindlichkeit in allen Geschichtsdarstellungen, obwohl ja Kronstadt spätestens nach 1848, aber immer noch als Teil Österreichs bzw. Österreichs-Ungarns, einen rasanten Aufstieg zum industriellen und kulturellen Zentrum Siebenbürgens erlebt hat. Dieser wird natürlich der „Stadt der drei Völker“ zugeschrieben, nicht (zumindest auch) den Rahmenbedingungen im Reich Franz Josephs I.

Diese Entwicklung wurde durch den Ersten Weltkrieg und den Übergang Siebenbürgens an das Königreich Rumänien nur kurz unterbrochen, in der Zwischenkriegszeit war Kronstadt nicht nur das „geographische Zentrum“ des Landes, sondern auch ein wirtschaftliches und politisches. Die Bevölkerungszahl verdoppelte sich, man dachte daran, die Hauptstadt Rumäniens hierher zu verlegen und – schreibt Harald Roth – auch ein „Zentrum sächsischer Politik“ wurde Kronstadt (zumindest zeitweilig, ergänzt der Rezensent schmunzelnd). Als dann in kommunistischer Zeit „Stalinstadt“ zum Regionsvorort erkoren, Hermannstadt aber zum Rayonsvorort degradiert wurde, hatten die ehemaligen Konkurrenten gleichermaßen zu leiden. Kronstadt aber darf für sich verbuchen, schon 1987 offen gegen das Regime rebelliert zu haben.

Neugierig geworden auf dieses wichtige Buch? Hoffentlich! Der Hermannstädter, der dem Kronstädter für die erste Monographie seiner Stadt dankt, muss gestehen: Das Kronstadt-Buch ist noch besser! Überzeugen Sie sich davon!

Konrad Gündisch


Harald Roth: Kronstadt in Siebenbürgen. Eine kleine Stadtgeschichte. Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag 2010, 245 Seiten, 16 Schwarzweißabbildungen im Text, 16 Farbtafeln, 2 Stadtpläne, Preis: 19,90 Euro, ISBN 978-3-412-20602-4, erhältlich im Buchhandel.

Schlagwörter: Kronstadt, Rezension, Geschichte

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