22. Februar 2011

100-jähriges Urzeljubiläum ein Gemeinschaftserlebnis in Siebenbürgen

Die Urzeln, einst mit der Aufgabe betraut, den Winter und böse Geister zu vertreiben, traten im 17. Jahrhundert in Agnetheln als Beschützer der Bruderschaftsladen auf, die von den Gesellen fortgetragen wurden. Als die Gesellenbruderschaften 1910 verboten wurden, suchte der Gewerbeverein nach Möglichkeiten, den Urzellauf weiterhin zu pflegen, und entschied sich 1911 zu einer gemeinsamen Parade der vier größten Zünfte, begleitet von Urzeln. Eine kreative und zukunftsweisende Idee, der das 100-jährige Jubiläum mit Urzelnparaden sowie einer Ausstellung alle Ehre machte.
Die Agnethler Urzelnzunft Breasla lolelor hatte zum Jubiläum eingeladen und organisierte in Zusammenarbeit mit dem Rathaus Agnetheln, der HOG Agnetheln, dem Kreisrat Hermannstadt, dem Demokratischen Forum der Deutschen in Hermannstadt, dem Emil Sigerus-Museum Hermannstadt, dem Harbachtalmuseum Agnetheln und dem European Institute for Cultural Routes in der Zeitspanne vom 11.-13. Februar in Hermannstadt, Großschenk, Marpod und Agnetheln Urzelparaden sowie in Hermannstadt die Ausstellung „100 Jahre Urzelparade in Agnetheln 1911-2011“, deren Vernissage am 11. Februar im Schatzkästlein auf dem Kleinen Ring mit großer Publikumsbeteiligung stattfand (die Ausstellung dauert noch bis zum 20. März 2011).
Exponate der Fassbinderzunft. Foto: Doris Hutter ...
Exponate der Fassbinderzunft. Foto: Doris Hutter
Ausgestellt werden nicht nur eine Urzelparade, sächsische Stube mit Agnethler Trachten, Partenzeichen und Traditionsfiguren aus der Urzelparade, sondern vor allem Zunftladen, Fahnen, Werkzeuge und Erzeugnisse der wichtigsten ehemaligen Agnetheler Zünfte. Es begrüßte Mirela Crețu, die Leiterin des Astra-Museums. Martin Bottesch, Vorsitzender des Kreisrats Hermannstadt, sprach ein Grußwort, Camelia Ștefan, Leiterin des Emil Sigerus-Museums, und Simona Malearov führten in die von ihnen gestaltete Ausstellung ein, Zunftmeister Bogdan Pătru und Agnethelns Bürgermeister Radu Curcean würdigten als Mitorganisatoren das Jubiläum. Doris Hutter betonte als Vertreterin der HOG Agnetheln, wie wichtig es sei, dass alle Urzeln die Bedeutung und Geschichte des Brauches kennen, um ihn richtig pflegen zu können. Das wiederum verbinde die Urzeln zur notwendigen Gemeinschaftsleistung.
Jubiläumsausstellung in Hermannstadt: Ansprachen ...
Jubiläumsausstellung in Hermannstadt: Ansprachen im Rahmen der Vernissage. Foto: Daniel Secarescu
Begrüßt wurden auch Experten von Museen aus Italien und Polen, die im Rahmen des EU-Projektes Carnival King of Europe, das sich mit Fastnachtsbräuchen beschäftigt (weitere Partnerländer sind Bulgarien, Frankreich, Kroatien, Mazedonien, Slowenien und Rumänien; Internetseite: www.carnivalkingofeurope.it), den Urzelbrauch in Rumänien erforschen und alle Veranstaltungen der Urzeln gefilmt haben.
Siebenbürgisch-sächsische Stube. Foto: Doris ...
Siebenbürgisch-sächsische Stube. Foto: Doris Hutter

Eine Vision wurde wahr

Die Urzelparade, mit der auch früher die wichtigsten Traditionsfiguren der Agnethler Zünfte vorgestellt wurden, und der anschließende Lauf durch die Gassen Agnethelns in die Häuser der Kränzchenfreundinnen, wo man bewirtet wurde, wurden 1941 verboten, 1969 wieder erlaubt und 1990 zum letzten Mal von den Agnethler Sachsen gefeiert. Inzwischen gab es in Deutschland schon Urzelläufe in Sachsenheim (seit 1965), Traunreut (1981), Geretsried (1986), später auch in Nürnberg (2001), Weisendorf (2004) und Bonn-Niederholtorf (2006). Für die Agnethler war der Urzeltag in Sachsenheim viele Jahre Ersatz für den ehemaligen Urzelbrauch in Agnetheln. Bis 2006 der Deutschlehrer Bogdan Pătru, der den Urzeltag aus seiner Kindheit in schöner Erinnerung hatte, mit seinen Schülern einen Urzellauf durch Agnetheln organisierte. Seine Vision, den Urzeltag neu zu beleben, wurde schon 2007 wahr, als zu Ehren der Kulturhauptstadt Hermannstadt rund 40 Urzeln aus Deutschland zu einer gemeinsamen Parade nach Siebenbürgen fuhren und mit den 80 meist rumänischen Urzeln, Lole genannt, zusammen zwei schöne Urzeltage verbrachten. Schon im nächsten Jahr entstand in Agnetheln der Verein Breasla lolelor, der sich satzungsgemäß der Pflege des sächsischen Urzelbrauches widmet.

Urzelbräuche auch in Großschenk und Marpod

Am Abend des 11. Februar wurden die Urzeln aus Deutschland im Agnethler Rathaus offiziell begrüßt und zu einem Festessen eingeladen. Mit Bussen fuhren am Samstag knapp 200 Urzeln (30 davon aus Deutschland angereist) erst nach Großschenk, wo sie von Bürgermeister Nicolae Ion Tănase begrüßt wurden und ihre Parade mit den Traditionsfiguren vorführten: Bär mit Treiber, Kürschnerkrone, Rössel mit Mummerl, Holzpferd mit Reiter und drei Reifenschwinger.
Pferd und Reiter: Riemnerzunft bei der ...
Pferd und Reiter: Riemnerzunft bei der Urzelparade am 12. Februar in Hermannstadt. Foto: Fred Nuss
Alle Vorführungen wurden von der Blaskapelle H-Musikanten aus Hermannstadt begleitet. Friederike Pall stellte vor dem einstigen Narrenwagen den Großschenker Urzelbrauch vor, das von Urzeln begleitete Narrengericht. Großschenk hat das Ladenforttragen auch gekannt und die Urzeln begleiteten auch das Begraben des Faschings. Nachher wurden die Urzeln im Saal mit einem köstlichen Imbiss bewirtet und natürlich wurde bei herrlichem Wetter gemeinsam „Siebenbürgen, Land des Segens“ gesungen. So auch in Hermannstadt, wo sich die Parade von der 90er Kaserne durch die Heltauer Gasse über den Großen Ring, wo es Auftritte gab, zur ev. Stadtpfarrkirche bewegte. Stadtpfarrer Kilian Dörr empfing die Urzeln freudig, hoffend, dass diese die bösen Geister vertreiben mögen. Er sprach dabei die „vielen versteckten oder offenbaren unguten Machenschaften“ an, die die Entwicklung des Landes bremsen: „Noch besser wäre es, wenn wir durch das Geknalle die guten Geister wieder wecken und neu beleben würden. Denn diese Zottelwesen sind ja für Hermannstadt eine gute neue Tradition, die viel mit dem Zusammenwirken von Rumänen, Sachsen, Deutschen und allen, die hier leben, zu tun hat und uns anregt, auf die guten alten Traditionen aufzubauen und für die heutige Zeit Neues zu schaffen.“ Ähnliches brachte Doris Hutter in ihrer rumänischen Ansprache zum Ausdruck: „Europa ist heute unter uns. Lasst uns also gemeinsam feiern. Und ein Gedanke möge uns ewig vereinen: Freundschaft - bereichert mit Aufschwung.“ Hutter schloss auf Deutsch: „Die Kirche viele hundert Jahr/ den Sachsen wert und Stütze war./ Wir wünschen ihr noch langes Leben!/ Zum Glauben mögen die Leut’ streben!/ Dem Gotteshaus Zuspruch und Ehr’!/ Für Christen tröstliche Einkehr.“

Vermächtnis für die nächsten Generationen

In Marpod stellte Wilhelm Schneider, nach der Begrüßung durch Bürgermeister Sebastian Dotcoș, den dortigen Brauch der Hieschen uch Heßijen/Lolen vor, wobei die Masken der Lolen, anders als bei den Urzeln, mit Krähen- oder Bussardfedern bestückt sind. Im Gemeindesaal gab es für die Urzeln ein Festessen, die Blaskapelle spielte zum Tanz auf.

Blauer Himmel begleitete die 220 Urzeln am Sonntag (13. Februar) in Agnetheln. Die Sachsen besuchten erst den ev. Gottesdienst von Pfarrer Reinhardt Boltres, dann fand die Parade wie früher in Agnetheln statt. Bürgermeister Radu Curcean sagte vor dem Rathaus, dass die Urzeln die Menschen in Freundschaft vereint hätten und zugleich Botschafter der multikulturellen Werte der Stadt Agnetheln seien. Zunftmeister Bogdan Pătru versprach, den Brauch als Vermächtnis für die nächsten Generationen zu pflegen. Er hoffe, dass dieser auch in 100 Jahren noch gefeiert werde. Paradehauptmann Horst Wellmann aus Dinkelsbühl sprach im Namen des ersten Paradehauptmanns vor 100 Jahren: „…dass heut der Anfang wird gemacht/ für einen Brauch, der voller Pracht/ die Urzeln weiter leben lässt!/ Auf dass der Wind nie so rau bläst,/ dass dieser Brauch mal untergeht!/ Ich wünsche, dass er lang besteht,/ überlebt Kriege und Gefahren/ und weiterlebt in 100 Jahren!“

Doris Hutter erinnerte an die lang gepflegte Tradition des Brauches, die Aussiedlung der Sachsen, den Verlust der Heimat und an das Empfinden, wenn man wieder im Heimatort steht. Dabei stellte sie fest, dass es nicht schwer sei, gemeinsam mit den Rumänen, die den sächsischen Urzelbrauch übernommen hätten, diesen Brauch zu pflegen, weil junge Menschen die Zusammenarbeit gewünscht hätten und begeistert mitwirkten. Ein Gewinn sei es für alle, den alten Brauch zu pflegen, denn die gemeinsame Verantwortung dafür führe zu Freundschaft und Gemeinschaftssinn über nationale Grenzen hinweg. Nachher liefen die gemischten Parten in einige Privathäuser, wo gesungen und gefeiert wurde. Eine Part lief traditionsgemäß auch auf den Pfarrhof. Der Ball am Abend war der stimmungsvolle Abschluss eines sehr herzlich empfundenen Gemeinschaftserlebnisses von über 200 begeisterten Urzeln.

Doris Hutter

Schlagwörter: Urzel, Agnetheln, Hermannstadt, Ausstellung, Großschenk, Marpod

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