1. April 2011

Über die Perspektiven der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft

Vom 13.-15. November 2009 fand in Hermannstadt eine Tagung der Evangelischen Akademie Siebenbürgen und des Siebenbürgenforums betreffend „Zukunft und Perspektiven der deutschen Minderheit in Rumänien“ statt (diese Zeitung berichtete, siehe auch Stellungnahme des Bundesausschusses des Bundesverbandes der Siebenbürger Sachen in Österreich). Die Beiträge wurden in einem „Thesenpapier“ zusammengefasst, das kontroverse Diskussionen über die Frage ausgelöst hat, ob außerhalb Siebenbürgens auf längere Sicht die Erhaltung siebenbürgisch-sächsischer Eigenart („Authentizität“) möglich ist. Walter Schuller, ehemaliger Kulturreferent des Bundesverbandes der Siebenbürger Sachsen in Österreich, behauptet im folgenden Beitrag, dass die weltweit verstreute siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft nur dann eine Perspektive hat, wenn sie ihre Rückbindung an Siebenbürgen intensiv pflegt.
Auslösendes Moment der Diskussionen war der gelegentliche Ersatz des Begriffs „alte Heimat“ durch „Herkunftsgebiet“ und damit die Anspielung auf die (neue) Heimat im Westen, wo „echtes“ siebenbürgisch-sächsisches Leben genauso möglich sei wie im Karpatenbogen. Siebenbürgen für die Aussiedler also eine terra abandonata (aufgegebenes Land)? Im Gegenzug legte Hermannstadts Bürgermeister Klaus Johannis im Mai 2010 auf dem Huetplatz mit der Aussage „Die Heimat ist unteilbar, unersetzbar und unversetzbar“ ein unverrückbares Treuebekenntnis zum Sachsenland ab. In dieser Grundsatzdiskussion sei ein kurzer Exkurs zu dem gefühlsbetonten Begriff „Heimat“ gestattet. Von den vielen mehr oder minder zutreffenden Definitionen, Aphorismen etc. erscheint mir für unseren Fall das Herder’sche Diktum, wonach Heimat da sei, wo man sich nicht erklären muss, als punktgenau.

Oder macht es etwa keinen Unterschied, ob man einstmals einer Gemeinschaft angehörte, von welcher ein ihr nicht gerade positiv gesonnener General Caraffa in einer Denkschrift an den Kaiser als der „Zierde von ganz Siebenbürgen“ sprach, oder aber ein Leben lang als „Zugereister“ etikettiert, um nicht zu sagen stigmatisiert wird? In seiner Schrift „Wieviel Heimat braucht der Mensch?“ resümierte der Schriftsteller Jean Amery nach einem äußerst leidensvollen Lebensweg: „Es gibt keine ‚neue Heimat’. Die Heimat ist das Kindheits- und Jugendland. Wer sie verloren hat, bleibt ein Verlorener.“

Nun trifft diese Feststellung bezüglich siebenbürgischer Heimat für die Nachkommen der Flüchtlinge oder Ausgewanderten bzw. für die im Westen Geborenen nicht zu, so dass man da schon etwas differenzieren muss! Das sollte man auch am Großen Ring beachten und respektieren. Und da setzt auch schon das zweite Problem an. Kann es so etwas wie ein portatives Heimatland, gleichsam eine durch „Enträumlichung“ (Kulturanthropologe A. Appadurai) von ethnischen Bezügen herausgebildete „imaginäre Gemeinschaft“ geben?

Ist es nicht so, dass die Sachsen in Siebenbürgen, bei allen auch sprachpolitischen Drangsalierungen als Ethnie immer eine „feste Größe“ waren, so dass sie zumindest diesbezüglich keinen Dauerkampf um Anerkennung führen mussten?

Auf die Diaspora umgelegt heißt es, wie uns die Soziologen sagen, dass Identität gleichzeitig selbstbestimmt und fremdanerkannt werden muss, d.h. es bedarf des Einverständnisses der Gesellschaft, damit eine Gemeinschaft entsprechende Handlungskapazität erreicht.

Durch die verstreute Existenzform unserer Landsleute in den westlichen Aufnahmegesellschaften ist eine der wichtigen Voraussetzungen für eine Weiterführung als einheitlich-geschlossene Gemeinschaft nicht gegeben. Für den seinerzeit von vielen Sachsen ob seiner ablehnenden Haltung gegenüber einer Umsiedlung gescholtenen Bischof Friedrich Müller kam, wie kürzlich bekannt wurde, nur eine geschlossene Aussiedlung seiner Landeskirchengemeinde in Frage, ein Ansinnen, welches sich freilich als illusorisch erwies.

Außerdem wären die Siebenbürger Sachsen sicherlich nicht den Mennoniten oder Amish vergleichbar, die eisern an ihren herkömmlichen Lebensformen festhalten und hierbei auch nicht unbedingt eines angestammten Heimat-Territoriums bedürfen.

Bedingt durch die ethnisch-kulturelle Nähe zu den Wirtsgesellschaften in Österreich und Deutschland, ist der Rückzug eigenkultureller Verhaltensnormen zumeist in den emotionalen Privatraum der sächsischen Familie, einschließlich der Mundart, als „Haussprache“, festzustellen. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass durch die Übernahme alter Kulturformen auch die alten Sinnbezüge wieder hergestellt werden könnten. Schlagendstes Beispiel hiefür ist die Einrichtung der „Nachbarschaft“ – in Siebenbürgen eine Korporation, in die man hineingeboren wurde und mit Sanktionsmöglichkeiten versehen, in der Diaspora ein Verein, der seine Mitglieder unter Freiwilligen rekrutiert.

Es ist immer wieder ein hocherfreulicher Anblick, mit welch strahlendem Frohsinn die zahlreichen Jugend- bzw. Tanzgruppen auftreten. Gleichwohl sollte man – allein schon aus Selbstachtung und um nicht in den Geruch zu geraten, sich als folkloristische Staffage herzugeben – davon Abstand nehmen, sich etwa bei Gewerbeausstellungen, Ochsenfesten (!) oder dergleichen in der Tracht zu zeigen.

Oder, anderes Beispiel, wäre es gut vorstellbar, dass in der Auslage der seinerzeitigen Hermannstädter Allgemeinen Sparkassa eine Ausstellung siebenbürgischer Christleuchter als Lockmittel gedient hätte, wie vorjährig in einer mittelfränkischen Stadt geschehen? Selbst in Siebenbürgen will man die Rolle der deutschen Minorität nicht allein auf eine „Sing- und Springminderheit“ reduziert sehen.

Sosehr die Sammlung, Bewahrung und Dokumentation der in Abgang geratenen siebenbürgisch-sächsischen Kulturgüter wichtig und schätzenswert ist, so sollte man doch bedenken, dass aus dem Museum kein Weg mehr zurückführt. Alle bisherigen Erfahrungen mit Nachkommen von Flüchtlingen oder Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten sprechen bezüglich „Integration“ eine allzu deutliche Sprache: Sie sind aufgegangen in der Mehrheitsbevölkerung der jeweiligen Bundesländer.

Ohne eine dauerhafte, vielfältige Rückbindung an Siebenbürgen ist meines Erachtens die Erhaltung des Sachsentums außerhalb der angestammten Heimat längerfristig nicht möglich, das heißt die Nabelschnur nach Siebenbürgen darf keine Risse bekommen.

Andererseits sollte man elitäre Begriffe wie „authentisch“ und „Wertigkeit“ tunlichst beiseitelassen, Letzterer ist ohnehin nur in der Chemie gebräuchlich. Stattdessen wäre es angebracht, alle persönlichen Eitelkeiten, Ressentiments und sonstige Nichtigkeiten hinter sich zu lassen und jedwedem Scheunentor-Denken einen Riegel vorzuschieben. Etwas Grund zu Optimismus besteht angesichts der vielfachen Beziehungen von hüben nach drüben, wie sie etwa die HOG-Regionalgruppe Burzenland, die Heimatgemeinschaft Mediasch und unzählige Landgemeinden pflegen, nicht allein durch Heimatortstreffen.

Mehr ins Blickfeld gerückt und kräftiger unterstützt zu werden, würde der „Arche-Noah-Verein“ für Rück- und Neusiedler verdienen. Der Zinsertrag des dafür investierten Kapitals könnte unter Umständen in der Form anfallen, dass auch noch in 100 Jahren Viktor Kästners Bekenntnis „Bän e Sochs äm Sochselund“ Gültigkeit hätte.

Walter Schuller, Traun

Schlagwörter: Identität, Forum, Föderation

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  • 03.04.2011, 20:34 Uhr von floareasoarelui: Ich kann überhaupt nich nachvollziehen, was an einem so ernsten Thema überhaupt ein "Aprilscherz" ... [weiter]
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