26. April 2011

Politische und zeitgenössische Filme aus Rumänien

Vom 18. bis 20. März 2011 fand in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen ein Seminar zum Thema „Politische und zeitgenössische Filme aus Rumänien nach 1989“ statt. Drei der präsentierten Filme wurden von deutschen Regisseuren oder Drehbuchautoren zur Thematik der siebenbürgisch-sächsischen Kultur und Geschichte produziert.
Der Eingangsfilm „Gherdeal/Gürteln“ von Thomas Beckmann und Martin Nudow führt den Zuschauer in das „am Ende einer Sackgasse“ gelegene Dorf Gürteln. Am Beispiel der Familie Onghert, den letzten Sachsen der Ortschaft, zeigt der Film die nicht mehr aufzuhaltende Auflösung der sächsischen Gemeinde. Der professionelle und auf multiplen Bedeutungsebenen spielende Film dokumentiert mit großer Sensibilität das Requiem des sächsischen Dorfes: Über dem Humor, der Lebensweisheit, dem Fleiß, der Religiosität und dem Gemeinschaftsbewusstsein der letzten Sachsen steht die Gewissheit, in einer Generation in der eigenen Heimat nicht mehr zu existieren. Besonders macht den heutigen Zuschauer betroffen, dass die im acht Jahre alten Film dokumentierte Entwicklung heute nahezu abgeschlossen ist. Ein Großteil der Protagonisten ist verstorben oder hat das Dorf verlassen, westliche Unternehmer drängen in die Ortschaft und investieren in den Agrotourismus. Zum einen bedeutet dies die Rettung der traditionellen Bausubstanz, zum anderen einen Funktionswandel in Richtung einer Musealisierung.

Einleitend zur Vorführung von Filmen der „Neuen Welle des rumänischen Films“ referierte Hans-Jörg Rother, Filmkritiker und Kenner der rumänischen Filmgeschichte, zum Filmschaffen in Rumänien nach 1989. Rother legte dar, dass rumänische Regisseure, abgesehen von wenigen Ausnahmen, bis in die 90er Jahre den filmkünstlerischen Fortschritt größtenteils versäumt hätten. Die junge Generation der 2000er Jahre könne daher kaum auf Vorbilder zurückgreifen. Der am Realismus orientierte „neue rumänische Film“ der 2000er sei aber eine innovative Schöpfung in Europa und stelle womöglich ein neues Genre dar.

Die Filmvorführung eröffnete das 2007 in Cannes mit dem höchsten Preis prämierte Drama „4 luni, 3 săptămâni, 2 zile“ (Vier Monate, drei Wochen, zwei Tage) von Regisseur Cristian Mungiu. Der 1987 spielende Film erzählt von einem Tag aus dem Leben der Studentinnen Gabriela und Otilia. Die ungewollt schwangere Gabriela bittet ihre Freundin um Hilfe bei der Durchführung einer illegalen Abtreibung. Wegen der bereits fortgeschrittenen Schwangerschaft erklärt sich nur der zwielichtige Herr Bebe zum riskanten Eingriff bereit, der ohne Skrupel die Lage der beiden Frauen ausnutzt, um sie zu nötigen. Das eigentliche Opfer des Films sei, so meinten einige Zuschauer, die gutmütige und naive Otilia, die durch ihren Solidaritätsakt an der egoistischen Gabriela in die menschliche Isolation gestoßen wird.

Auf dieses bedrückende Drama folgte die Kurzfilm-Anthologie „Amintiri din epoca de aur“ (Erinnerungen aus dem goldenen Zeitalter, 2009), Drehbuch: Cristian Mungiu. Regie führten mehrere Regisseure der jungen Generation, darunter der Banater Hanno Höfer. Die in den 80er Jahren spielenden, von Absurditäten des Alltags erzählenden humoristischen Geschichten basieren auf urbanen Legenden, die in die moderne rumänische Folklore eingegangen sind.

Der nächste Film war von Radu Gabrea, der nach „Der geköpfte Hahn“ (2007) einen weiteren Roman von Eginald Schlattner verfilmt hat: „Rote Handschuhe“ (2010) erzählt von Felix Goldschmidt, einem jungen Siebenbürger Sachsen aus bürgerlichen Verhältnissen und Alter Ego Schlattners, der 1957 wegen seiner Beziehungen zum Kronstädter Literatenkreis von der Securitate zwei Jahre lang in Untersuchungshaft gesperrt wird. Die Mischung aus Drohungen, psychischer Folter und Versprechungen bewegt ihn dazu, seine Freunde und auch seinen Bruder zu verraten. Die Verratenen, hinter denen reale Persönlichkeiten stehen, und das weitere Umfeld der Hauptfigur sind negativ gezeichnet, besonders einer der Schriftsteller, ein Chauvinist, der schließlich seiner eigenen Hybris zum Opfer fällt. Das Handeln Goldschmidts werde damit, so der Vorwurf einiger Zuschauer, entkriminalisiert, die Grenzen zwischen Opfer und Täter würden in einem moralischen Relativismus verschwimmen.

Der Abend klang aus mit der Tragikomödie „Nunta mută“ (Stille Hochzeit, 2008) von Horațiu Mălăele. Ein Bürgermeister, der einzige Mann in einem Dorf voller Witwen, erzählt, wie es 1953 zur Auslöschung der Dorfgemeinschaft kam. Die Bauern feierten trotz Versammlungsverbot eine Hochzeit – an Stalins Todestag. Die sowjetische Besatzungsmacht, die Hochzeiten, Beerdigungen und Gelächter strengstens untersagt hatte, ließ daraufhin alle Männer erschießen – ein Verbrechen, das den rumänischen Opfergang im von der Sowjetunion oktroyierten Kommunismus symbolisiert.

Der letzte Film der Tagung, „Fremde Heimat“ (2010) von Regisseur Martin Enlen, Drehbuchautor Thomas Kirchner, Produzentin Josephine Belke und ZDF-Redakteur Pit Rampelt, thematisiert den durch Migration bedingten Verlust der Verbindungen zur ,alten‘ Heimat. Eine Birthälmer Familie wird 1987 wegen des Besitzes „subversiver“ Literatur in die Bundesrepublik ausgebürgert. Zwanzig Jahre später kehrt Lukas, der Sohn der Familie, nach Birthälm zurück. Als Wirtschaftsgutachter soll er über die Schließung der dortigen Fabrik entscheiden und wird mit seiner verdrängten Vergangenheit konfrontiert.

Es ist mehr als erfreulich, dass die Siebenbürger Sachsen nach Jahrzehnten im Dokumentarfilmgenre nun im deutschen Spielfilm angekommen sind, und das mit einem Film, der vergleichbare Produktionen in vielerlei Hinsicht deutlich hinter sich lässt. Dennoch: „Fremde Heimat“ wie auch „Rote Handschuhe“ geben beim Thema Securitate-Mitarbeit nur eine sehr zurückhaltende moralische Wertung ab. Rumänische Filmemacher dagegen sind bei der Aufarbeitung von Vergangenheit (und Gegenwart) sehr viel unverzagter, die geistige Wende der 2000er bewirkte einen belebenden Abschied von alteingesessenen Denkverboten.

Für die zahlreichen Teilnehmer war das dreitägige Seminar in der gewohnt angenehmen Atmosphäre des Heiligenhofs ein anregendes Erlebnis; eine baldige Fortsetzung wurde gewünscht.

Albert Weber

Schlagwörter: Seminar, Film, Rumänien, Bad Kissingen

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Neueste Kommentare

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  • 26.04.2011, 18:30 Uhr von harz3: Danke für Ihre prompte Antwort. [weiter]

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