3. Juni 2011

Vielfältig und vielerorts wirksam: Adolf H. Gärtner wird 95

Am 3. Juni vollendet der aus Kronstadt stammende, in München lebende Kantor, Chordirigent, Organist, Schulmusiker, Pädagoge und Musikschriftsteller Adolf Hartmut Gärtner sein 95. Lebensjahr.
Er ist nicht nur der älteste, sondern auch einer der herausragendsten siebenbürgischen Musiker, ein Musiker alten Schlags, einer jener hochbegabten, gründlich und perfekt ausgebildeten Musiker, die ihre Wirkungsstätten mit großem Engagement und Leidenschaft in mehreren musikalischen Fachgebieten mit vollem Einsatz ausfüllten, ohne sich im Geringsten zu verzetteln und Gründlichkeit vermissen zu lassen. Bei Gärtner kommt noch hinzu, dass er seine Kräfte dezidiert auch in den Dienst des siebenbürgischen Musikwesens, der siebenbürgischen Musikschöpfung und des kulturellen und musikalischen Lebens der Siebenbürger Sachsen in Deutschland stellte. In der Schul- und Kirchenmusik Münchens ist er eine bekannte und geachtete Erscheinung mit bemerkenswerter Resonanz in der Öffentlichkeit.

Gärtner wurde in eine turbulente Zeit hineingeboren, in eine Zeit, die dann auch bald schwerwiegende Brüche, Umwälzungen, Gegensätze und Irritationen und ein tragisches Ende für die Volksgemeinschaft der Siebenbürger Sachsen nach sich zog. Trotz von außen erfahrener Nadelstiche, Dämpfer, Einschränkungen und Behinderungen konnte das an sich eigenständige, vielgestaltige und rege Musikleben der Siebenbürger Sachsen diese Zeiten überstehen und sich sogar weiterentwickeln und einen hohen Stand erreichen – bis zum Kahlschlag durch Krieg, Nachkriegsereignisse und Kommunismus. Dem 1916 geborenen Gärtner bot dieses Musikleben in Kronstadt die Bedingungen für seine Hinwendung zur Musik. Er kam früh schon in Berührung mit der hohen klassischen Musik in Kirche, Konzertsaal, Oper und Schule. Schon im Elternhaus kam dieser Kunst eine wichtige Rolle zu: Es wurde viel musiziert. Der junge Gärtner lernte Klavier, Orgel und Cello spielen, war Sänger und Solist im Kronstädter Knabenchor, spielte im Konservatoriumsorchester mit, durfte sogar in der Kronstädter Philharmonie mitwirken und vertrat gelegentlich den Kantor und Organisten. Als konzertierender Cellist spielte er bereits einige der großen Cellokonzerte.
Immer dabei, wenn kulturell Hochkarätiges geboten ...
Immer dabei, wenn kulturell Hochkarätiges geboten wird: Prof. Adolf Hartmut Gärtner während einer Franz-Hodjak-Lesung 2006 am Münchner Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas. Foto: Konrad Klein
Es war seit jeher üblich, zum Studium ins Ausland zu gehen, nach Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich. Gärtner studierte von 1935 bis 1939 an der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin. Er belegte die Fächer Orgel, Klavier, Cello, Gesang, Chorleitung, Theorie, und an der Universität hörte er evangelische Theologie. Sein 1. Staatsexamen legte er in den Fächern künstlerisches Lehramt, Chorleitung und Orgel ab. Viktor Bickerich, der Kronstädter Kantor, Organist, Gymnasial- und Konservatoriumslehrer, Chorleiter und Dirigent, dessen Schüler Gärtner gewesen war, berief ihn als Assistenten bzw. Nachfolger im Chormeisteramt des Musikvereins. Gärtner folgte Mitte 1939 seinem Ruf, wurde jedoch, sobald er sich wieder auf rumänischem Staatsgebiet aufhielt, zum Wehrdienst einberufen: als rumänischer Staatsbürger zum rumänischen Militär. Dort musste er, kaum dass er mit Enthusiasmus die Stelle des Ersten Chormeisters am größten Kronstädter Musikverein angetreten hatte, ein knapp einjähriges „reduziertes“ Ausbildungsjahr absolvieren.

Vertreter des Elitären und Populären

Gärtner pflegte das allgemeine Repertoire an Vokalwerken im Sinne Bickerichs weiter, richtete seine Aufmerksamkeit aber auch auf das Werk der Kronstädter Komponisten Rudolf Lassel und Paul Richter. Auch die populärere Sparte wie Madrigal, Volkslied und volksnahe Musik in ihren besten ästhetischen Qualitäten wurde berücksichtigt. Das Elitäre und das Populäre fanden in Gärtner gleichermaßen einen würdigen Repräsentanten. Das Cello, das ihn fast ein Leben lang begleitete, kam wieder zu seinem Recht: Von 1939 bis 1941 konzertierte Gärtner als Cellist mit dem „Biemel-Quartett“. Eine als Dirigent mit Sorgfalt und Hingabe vorbereitete Aufführung von Wilhelm Kempffs Dramatischer Kantate musste wegen der Einberufung ausfallen. So kam es nicht mehr dazu, das in Deutschland benötigte 2. Staatsexamen abzulegen. Trotzdem konnte Gärtner eine frei gewordene Stelle als Lehrer an der Kronstädter Höheren Handelsschule belegen. Sein 2. Staatsexamen sollte er 1947 in München nachholen.

Das siebenbürgische Musikleben war in seiner Entwicklung zum ersten Mal an einem Punkt angelangt, an dem es die bisherige Hilfe aus dem deutschsprachigen Ausland nicht mehr nötig hatte. Es standen genügend autochthone Kräfte zur Verfügung, die führende musikalische Posten übernehmen konnten. Gärtner war einer dieser Hoffnungsträger. Schade, dass bald alles durch die Kriegs- und vor allem Nachkriegsereignisse zusammenbrach. Doch zunächst konnte Gärtner, zwar mit Unterbrechungen durch häufige weitere Einberufungsbefehle, seine Karriere fortsetzen: 1941 als Musiklehrer am Evangelischen Landeskirchenseminar und als Erster Chormeister des Männergesangvereins in Hermannstadt. 1942 berief man ihn zum Musikdirektor des führenden Hermannstädter Musikvereins. Kurz nach der denkwürdigen Aufführung des großen Oratoriums Segen der Erde des unverdächtigen, aufrechten und ehrwürdigen Berliner Komponisten Hermann Grabner im Oktober 1942 musste sich Gärtner im Dezember schon wieder dem rumänischen Militär stellen, diesmal als Dolmetscher. Als solcher wurde er zu einem Lehrgang für Offiziere an die Ostsee beordert (Rumänien war bis August 1944 Kriegspartner Deutschlands). Durch die erzwungene Unstetigkeit und fortdauernde Störung wurde aber Gärtner davor bewahrt, sich als führender Musiker mit der vollen Entfaltung, den ­Vorgaben und Bestimmungen und mit dem politisch-ideologischen Zwang des siebenbürgischen ­Nationalsozialismus auseinandersetzen zu müssen.

In das Jahr 1943 fiel Gärtners Heirat mit ­Erika, geborene Ballmann, aus Schäßburg. Sie war dort Musiklehrerin an der Lehrerinnenbildungs­anstalt und an Gymnasien, trat auch als Pianistin und Cembalistin auf. 1944 kam Sohn Harald in Schäßburg zur Welt. Im Juli 1944, also kurz vor dem Einmarsch der Sowjets in Rumänien und Rumäniens Kapitulation und Frontwechsel im August (die Rote Armee befand sich schon seit April in den östlichen Landesteilen) wurde Gärtner ein letztes Mal nach Deutschland geschickt und dann auch aufgrund eines ­Abkommens zwischen Deutschland und Rumänien im Zuge einer allgemeinen Übernahme in die deutsche Wehrmacht eingegliedert und an der „Heimatfront“ eingesetzt. Er geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Entlassung bereits 1945 war an eine Heimkehr nach Siebenbürgen nicht zu denken: Es sprach sich herum, dass die Deutschen Rumäniens verfolgt, entrechtet, enteignet, evakuiert, deportiert, zu Zwangsarbeiten getrieben werden, dass man alle ihre Institutionen und Einrichtungen – auch die musikalischen – auflöst, verbietet oder rumänisiert, umgestaltet und unter kommunistische Kuratel nimmt, dass strenges Versammlungsverbot herrscht, geistliche Musik öffentlich nicht dargeboten werden darf, dass heimkehrende Militärangehörige zum Großteil verhaftet oder deportiert werden. Die Einberufung Gärtners, sein Aufenthalt in Deutschland, hat ihm somit möglicherweise das Leben gerettet, denn er wäre in Siebenbürgen mit Sicherheit wie alle Männer zwischen dem 17. und 45. Lebensjahr (übrigens auch alle Frauen von 18 bis 30 Jahren) im Januar 1945 zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert worden, wo viele umkamen.

Kirchenmusikdirektor – Musikpädagoge

Bereits Ende 1945 stellt die evangelische Paul-Gerhardt-Kirche in München-Laim Gärtner als Organisten ein, 1951 wird er Kantor. Er gründet eine später unter der Bezeichnung Paul-Gerhardt-Chor bekannt gewordene Chorgemeinschaft. 1980 erfolgt die Ernennung zum Kirchenmusikdirektor. In weiterem Umkreis wird er bekannt durch die Aufführungen großer (und kleinerer) oratorischer Werke der Universalliteratur (auch rumänischer Komponisten) – darunter Erstaufführungen für München – mit seinem Oratorienchor und einem von ihm ­zusammengestellten „Oratorienorchester“. Schallplattenproduktionen feh­len nicht, darunter fast alle bedeutenden Vokalwerke aus Barock, Klassik und Romantik, aus Siebenbürgen die Trauerkantate und das Orgelkonzert von Paul Richter. Film und Fernsehen verschmäht Gärtner nicht. Seine Interpretationen zeichnen sich außer durch Präzision und Akkuratesse vor allem durch Verantwortungssinn, überzeugende Gestaltungskraft, Auslotung und Hörbarmachung der Ausdruckswerte und geistigen Dimensionen aus.

Ein zweites großes Wirkungsfeld, eigentlich als Haupt- und „Brotberuf“, ergab sich für Gärtner am Münchener Theresien-Gymnasium, wo er Lehrer, Studiendirektor und Seminarleiter wurde. Sein Gymnasialknabenchor erlangte einen ausgezeichneten Ruf.

Doch damit nicht genug: Gärtner engagierte sich als Musikreferent am Bayerischen Staatsinstitut für Schulpädagogik, als Leiter des Staatlichen Musikseminars für Referendarausbildung, Leiter von diversen Musikwochen und musikalischen Freizeiten im Auftrag des Internationalen Arbeitskreises für Musik, Leiter des Jugendchors der Jungen Chorgemeinschaft. Dazu kamen zwischen 1945 und 1949 Konzertauftritte als Cellist im Münchner Collegium musicum und im Kreis für alte Musik.

Gärtner ist durch die schicksalhaften Ereignisse zwar aus seiner ursprünglich angestrebten Lebensaufgabe und Berufung, aus der Sinnhaftigkeit seines künstlerischen Tuns im Dienst seiner Heimat herausgerissen worden. Doch er hat sich in Deutschland in den kulturellen und musikalischen Aktivitäten seiner hier lebenden Landsleute mit Hingabe und Überzeugung eingebracht. Jahre hindurch bekleidete er die Funktion des Bundeskulturreferenten der damaligen Landsmannschaft (heute Verband) der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, kümmerte sich um deren kulturelle Tätigkeiten, speziell um Aus- und Weiterbildung der Chorleiter siebenbürgischer Chöre, hielt „Chorleiterseminare“, führte Werke siebenbürgischer Komponisten auf. Dabei zeigte sich sein ungewöhnliches organisatorisches und koordinatorisches Geschick.

Dass Gärtner im Laufe seines Wirkens mehrere Auszeichnungen erhielt, versteht sich fast von selbst. Vor sechs Jahren wurde ihm der Siebenbürgisch-Sächsische Kulturpreis verliehen (gemeinsam mit Prof. Dr. h.c. Dieter Acker).

Nach seinem Abschied von der Konzertöffentlichkeit 1986 – in den schulischen Ruhestand trat er bereits 1978 – hat sich Gärtner wieder seinem Cello zugewandt, findet Freude am häuslichen Musizieren und ist mit dem von ihm gegründeten „Klingsor-Quartett“, einem Streichquartett, seit 1987 mit fast ausschließlich Werken siebenbürgischen Ursprungs sogar noch einige Male an die Öffentlichkeit getreten. Desgleichen widmet er sich der Schriftstellerei, nachdem er schon seit 1965 regelmäßig Berichte und Konzertkritiken in der Fachzeitschrift Oper und Konzert, in der Münchner Tagespresse und der Siebenbürgischen Zeitung veröffentlicht hatte. 1997 erschien in München seine Monographie über Victor Bickerich und 2008 der heiter-autobiographische Band Nichtalltägliches aus neun Jahrzehnten. Oft ist er als Vortragender zu musikalischen, musikhistorischen und literarischen Themen zu hören.

Den Verlust seiner Ehefrau am 1. März 2010 wird er wohl schwer verwinden können. Sie hatte, nachdem sie 1948 zu ihm nach München gezogen war, noch drei Töchtern, Helga, Susanne und Roswitha, das Leben geschenkt. Letztere, geboren 1959, ist Pianistin, Cembalistin und Privatmusiklehrerin geworden. Erika Gärtner leitete in München einen siebenbürgischen Chor und war als Klavierlehrerin tätig.

So durften wir dem Jubilar etwas näher kommen. Viele Menschen seiner Generation werden sich in seiner Biographie selbst in irgend einer Weise wiederfinden. Es bleibt noch, Gärtner von dieser Stelle aus herzlichst zu beglückwünschen und ihm die besten Wünsche für Gesundheit und Wohlergehen auszusprechen.

Karl Teutsch

Schlagwörter: Geburtstag, Porträt, Musiker, Kronstadt, München

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