30. Juli 2011

„Großvaters Hähne“ von Karin Gündisch neu aufgelegt

Die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Karin Gündisch und dem Schiller Verlag in Hermannstadt geht in die dritte Runde. Nach „Geschichten über Astrid“ und „Weit, hinter den Wäldern“ erschien gerade die Neuauflage eines weiteren, schon länger vergriffenen Buches der in Heltau geborenen Autorin: „Großvaters Hähne“ kam erstmals 1994 auf den Markt und war schon seit einigen Jahren nur noch antiquarisch zu erwerben – glücklich konnten sich all jene schätzen, die eine Originalausgabe mit den wunderbaren Zeichnungen von Julian Jusim zu Hause im Regal stehen hatten. Alle anderen können angesichts der Neuauflage aufatmen.
Wieder hat sich Anselm Roth um die Gestaltung gekümmert, hat eigens für das Buch Fotos gemacht und siebenbürgische Momente eingefangen, die die Geschichten um die zehn stolzen Hähne des Großvaters, denen es wie den zehn kleinen Negerlein aus dem bekannten Kinderlied geht, treffend illustrieren.

„Für mich ist die Zusammenarbeit mit den beiden Verlegern Jens Kielhorn und Anselm Roth ein Glücksfall“, sagt Karin Gündisch. „Ich habe durch die Neuauflagen die Möglichkeit aus diesen Büchern zu lesen, denn die Schulen wünschen sich berechtigterweise Lesungen aus lieferbaren Büchern.“ Dem „Kinderbuch, das alle Vorzüge seines Genres vereinigt“, wie Bettina Schuller 1995 in den Südostdeutschen Vierteljahresblättern über „Großvaters Hähne“ schrieb, dieser Parabel auf die Absurditäten einer Diktatur mit ihrem hintergründigen Humor nähert man sich am besten durch eine Leseprobe. Viel Vergnügen bei der Lektüre!

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Großvaters Klo

Von der Straße aus konnte man nicht in die alten Heimbricher Höfe sehen, denn schwere Tore schlossen die Gassenfront. Ein Haus, ein Tor, ein Haus, ein Tor – eine Straße wie eine Festung. Trotzdem wusste man in der Nachbarschaft alles, was hinter den Toren geschah; einerseits weil es immer das gleiche war, andererseits weil die Zäune zwischen den Höfen und Gärten nur so hoch waren, dass man sich darüber hinweg beim Hühnerfüttern, beim Wäscheaufhängen oder beim Hofkehren gut unterhalten konnte. So blieb es niemandem verborgen, dass sich seit dem Frühjahr Großvaters prächtige Hähne im Hof tummelten, zumal die Tiere fröhlichen Gemüts waren und morgens und abends aus vollem Halse krähten.

Diese schönen Hähne hatten auch den Appetit des Kloausführers geweckt, der sie, als er beim Nachbarn seiner Arbeit nachging, in Großvaters Hof herumstolzieren sah, und als es soweit war, das Großvaters Klo ausgeführt werden musste, gerade zu diesem Zeitpunkt erinnerte er sich wieder daran.

Das Klo befand sich im Hinterhof und bestand aus einem Häuschen, das jeden Samstag gescheuert wurde, und einer Grube, in der sich ansammelte, was nach der menschlichen Verdauung ausgeschieden wurde. Um aufs Klo zu gelangen, musste man fünf Treppen hochsteigen, weswegen es auch Thron hieß. An die Holzwände des kleinen Häuschens hatten Jochen und der Großvater Zeitungen und Plakate geklebt, die im Winter den Wind nicht durch die Ritzen ließen und dem Aufenthalt auf dem Thron eine gewissen Gemütlichkeit verliehen. Nur ein Plakat, auf dem der Genosse Popescu abgebildet war, ein alter Parteimensch, der in den Volksrat gewählt werden wollte, störte Jochen, weil er immer den Eindruck hatte, dass ihm der Mensch direkt in die Augen blickte. Deshalb nagelte er ihm eines Tages ein Bild aus einem alten Kalender ins Gesicht.

Auf die Innenseite der Klotür hatte Jochen einen bunten Aufkleber aus Deutschland geklebt, ein sicheres Zeichen dafür, dass die modernen Zeiten auch vor einem siebenbürgischen stillen Örtchen nicht haltmachten.

Großvater Klo war nicht so nobel wie das vom Herrn Stadtpfarrer, das drei Löcher hatte, ein großes für den Herrn Pfarrer selbst, ein kleines für seine Frau und ein noch kleineres für seinen Nachwuchs. Auf dem Pfarrersklo konnte man, nur durch dünne Holzlatten getrennt, zu dritt und in aller Ruhe Gespräche führen und auf diese Weise das Nützliche mit dem Schönen verbinden.
Szekler Bauernklo, aufgenommen 1988 in ...
Szekler Bauernklo, aufgenommen 1988 in Makfalva/Ghindari (Kreis Mureș). Foto: Konrad Klein
Wenn man auf Großvaters Häuschen sein Geschäft nicht stillschweigend verrichten wollte, so konnte man nur durch die Holztür ein Gespräch führen mit einer Person, die im Hof stand oder auf der Treppe saß. Jochen unterhielt sich dann vor allem mit der Grisi, die von Zeit zu Zeit klagte, die Arbeit wachse ihr über den Kopf, die aber trotzdem jedes Mal so lange blieb, bis Jochen fertig war, denn irgendeinmal nahmen die Ferien ein Ende, und Telefongespräche waren aus unerfindlichen Gründen nie so schön wie die Gespräche durch die Häuschentür.

Einmal im Jahr kam nun der Kloausführer mit dem riesigen Klowagen, legte den Schlauch in die Grube, und deren stinkender Inhalt verschwand im Bauch des Dreckfressers. Der Großvater pflegte den Mann immer einen ganzen Monat vor der Zeit zu bestellen, damit er auch wirklich fristgerecht kam. Gleichzeitig lieferte er eine Flasche Schnaps ab, die dem Kloausführer als Gedächtnisstütze dienen sollte.

In diesem Jahr der Hähne aber weigerte sich der Herr über die Klogruben mit dem Hinweis auf seine Berufsehre, den Schnaps anzunehmen. Der Großvater meinte zu wissen, wie das zu deuten war, und versuchte es eine Woche später mit der doppelten Menge noch einmal. Doch der Kloausführer blieb standhaft. Mit undurchdringlicher Miene sagte er, dass er kommen werde, wenn es sich einrichten ließe, was nichts anderes hieß, als dass er nicht kommen würde.

Und das war eine Katastrophe: War die Grube leer, konnte man auf dem Thron sitzend in Ruhe Zeitung lesen oder träumen. Es klatschte in die Tiefe mit hohlem Klang, aber es spritzte nicht hoch. Im Laufe der Zeit wurde der Klang voller, dumpfer, und die feuchten Spritzer von unten kamen immer höher, bis man sich schließlich nur noch verzagt entleeren konnte. Es war überhaupt kein Genuss mehr.

Wenn dann der Kloausführer nicht bald kam, musste man seine Notdurft hinter den Himbeersträuchern verrichten oder im Maisfeld, das sich hinter dem Garten erstreckte, und das war einem zivilisierten Menschen widerlich. Also machte sich der Großvater ein drittes Mal auf den Weg und stellte die notwendige Frage: „Was willst du, dass du heute kommst?“

Ein zufriedenes Lächeln erhellte das Gesicht des Kloausführers: „Einen Hahn!“

Das Gesicht des Großvaters verfinsterte sich, doch der Gedanke an die bald überlaufende Grube zwang ihn, sich zu beherrschen, und seufzend willigte er ein. So fuhr noch am Nachmittag desselben Tages das Kloauto in den Hof ein, die Grisi konnte gerade noch die Wäsche von der Leine nehmen.

Während die Pumpe arbeitete, stand der Kloausführer im Hinterhof und ließ Jochen seine kräftigen Muskeln befühlen. Er begutachtete die Hähne und wechselte hie und da ein Wort mit dem Großvater, der allerdings ziemlich einsilbig war.

„Habt ihr auch ein Schwein?“, erkundigte er sich interessiert, als er Großvaters Schwein entdeckte, das mit den Vorderbeinen im Stallfenster lag und ins Freie schaute.

„Eine ganze Zucht“, entgegnete der Großvater so bissig, dass der Kloausführer von dem Thema abließ. Er wählte dann einen schönen Hahn aus und einigte sich mit dem Großvater, dass der ihm das Tier nach Hause bringen sollte.

Nachdem das Kloauto den Hof verlassen hatte, senkte sich eine wohltuende Ruhe über den Hof. Der Großvater holte den Besen, Jochen schleppte den Gartenschlauch herbei und spritzte die Spuren, die der Dreckfresser hinterlassen hatte, in den Kanal. Als sie mit der Arbeit fertig waren, fing der Großvater den Hahn und brachte ihn dem Kloausführer, wie er es versprochen hatte.

„Jetzt hast du nur noch sechs Hähne“, sagte Jochen, als der Großvater zurückkam und sie zusammen ins Haus gingen.

„Morgen kragel ich sie alle, dann weiß ich wenigstens, dass keiner mehr einen von mir will“, entgegnete der Großvater.

Karin Gündisch: „Großvaters Hähne“, Schiller Verlag, Hermannstadt/Bonn, 2011, 91 Seiten, 9,70 Euro, ISBN 978-3-941271-53-1.
Großvaters Hähne
Karin Gündisch
Großvaters Hähne

Schiller Verlag
23,0 x 14,5 cm
91 Seiten
EUR 9,70 (+ Versandkosten)
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Schlagwörter: Rezension, Jugendbuch, Karin Gündisch, Kommunismus

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