24. August 2011

Kirchenburgen, Kirchen, Orgeln

Unsere Kirchenburgen und Kirchen sind die sichtbarsten Kulturgüter in der alten Heimat. Oft haben sie zwar schon musealen Charakter angenommen und werden vor allem von Touristen bewundert. Aber es gibt auch noch solche, die von den wenigen dort Verbliebenen genutzt und von den Ausgewanderten sowie von verschiedenen Stiftungen und sogar von staatlichen Institutionen restauriert werden.
Andererseits wissen wir auch von vereinzelten evangelischen Kirchen und sogar von sächsischen Kirchenburgen, die inzwischen anderen Konfessions- und Nationalitätengruppen im Lande überlassen worden sind, da in den betreffenden Orten keine Sachsen mehr wohnen. Dies soll einige von uns, die wir im westlichen Ausland leben und mit dem ehemaligen Lebensraum primär über die jeweiligen Heimatortsgemeinschaften (HOG) und über Besuche verbunden bleiben, beunruhigen, ja empören. Weshalb ist das so, weshalb können wir nicht loslassen, anscheinend zumindest einige unserer Landsleute?

Wir sind ausgewandert und haben die Kulturgüter „zu Hause“ gelassen. Wir haben uns andererseits recht gut in der „neuen Heimat“ integriert – aber offensichtlich bedarf es wohl zur besseren Identifikation noch des Bezugs zu den hinterlassenen Kulturgütern, ja des Gefühls des Mitbesitzens. So menschlich dies sein mag, so wenig zeugt es von einem Verständnis vom bleibenden Wert eines Kulturguts. Das Kulturerbe der Siebenbürger Sachsen wird immer unser Kulturgut bleiben. Es wird aber nur solange lebendig wirken können, wie es genutzt und erhalten wird. Dabei ist es unter den gegebenen Umständen gleich, ob diese Nutzung und Pflege durch Sachsen oder andere Menschen geschieht, solange diese entsprechenden Bedarf haben. Auch wenn die hinterlassenen Kulturgüter der Griechen und Römer ganz und gar nicht nur von deren Nachfahren genutzt und gewartet worden sind, werden sie heute noch als ihr Kulturerbe bewundert, gleich ob das in Deutschland, der Türkei oder Afrika ist. Dieses Thema betrifft in sehr konkreten Fällen auch ein anderes Kulturgut unseres „Völkchens“: die Orgeln in unseren sächsischen Kirchen. Dass diese nicht nur funktionalen, sondern auch kulturellen und künstlerischen Wert haben, ist unbestritten. Der Hermannstädter Orgelbauer Hermann Binder hat schon vor elf Jahren in einem Buch gut 250 Orgeln Siebenbürgens in evangelischen Kirchen akribisch zusammengefasst und sie mit ihrer Entstehungsgeschichte und ihren künstlerischen Werten präsentiert. Bei diesen historisch besonderen Kunstschätzen in der siebenbürgischen Orgellandschaft kommt es nicht darauf an, dass einige von Ausländern, meist Deutschen und Österreichern, gebaut worden sind. Daneben können nämlich auch die vielen sächsischen Orgelbaumeister bestehen, die vielleicht weniger bekannt waren, aber doch Produkte geschaffen haben, die heutige Orgelfachleute als Spitzenleistungen taxieren. Alle Orgeln sind jedenfalls Kulturgut – und die in den sächsischen Kirchen gehören in unser siebenbürgisch-sächsisches Kulturerbe. Sie müssen aber, soweit wie möglich, auch genutzt werden, um als Kulturgut überleben zu können, unabhängig davon, ob sie noch in „unserer alten Kirche“ stehen oder an anderem Ort - und vielleicht sogar von Nicht-Sachsen gespielt werden!
Rosch – Mühlbach (Johannes Hahn, 1791): Gutes ...
Rosch – Mühlbach (Johannes Hahn, 1791): Gutes Beispiel der Versetzung einer in Rosch nicht genutzten Orgel. Foto: COT, Honigberg
Die emotionalen Probleme, die HOGs haben bei der Überlassung „ihrer“ Orgel aus Gemeinden, in denen keine evangelische Seele mehr gezählt und das Instrument auch nicht mehr genutzt wird, an andere, noch lebendige Gemeinden - evangelische oder auch solche reformierten oder katholischen Glaubens –sind verständlich. Ein realistisches und uneigennütziges Nachdenken sowie die Meinungsfindung durch Kontakt mit einem gemeindeübergreifenden Kreis von Landsleuten, speziell auch mit Orgel-Fachleuten, würde jedoch dem Erhalt dieser Orgeln als sächsischem Kulturgut gut tun.
Weingartskirchen (Johannes Hahn, 1750): Beispiel ...
Weingartskirchen (Johannes Hahn, 1750): Beispiel einer nicht genutzten, verfallenden Orgel. Foto: Orgeldatei Ev.Kirche Rumänien
Die von der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien dankenswerterweise zusammengestellte neue Datenbank über unsere siebenbürgischen Orgeln gibt Auskunft über mehr als 200 dieser Instrumente in den sächsischen Kirchen. Der bekannte Hermannstädter Musiker und Pädagoge Kurt Philippi (musikwart@evang.ro) verwaltet diese Datei (www.orgeldatei.evang.ro) und weiß somit, welche nicht genutzte Orgel transferiert werden könnte, denn er kennt auch den Bedarf auf der anderen Seite. Gerade diejenigen Orgeln, die heute aus den erwähnten Gründen nicht mehr benutzt werden, benötigen aber meist eine Restauration, um sie an anderem Ort wieder spielen zu können. Auch daran besteht heute in Siebenbürgen keine Not mehr: Neben Hermann Binder hat sich seit acht Jahren in Honigberg die Orgelbauschule der Schweizerischen Stiftung für Orgeln in Rumänien mit ihrem modernen Lehrbetrieb einen Namen für „Schweizerische Qualität und Verlässlichkeit“ gemacht. Die jungen Orgelbauer, die dort nach westlichem Muster ausgebildet werden, sind nicht nur fachlich sehr gut, sie zeigen heute auch schon die Mentalität, die es braucht, um Orgelbau als Qualitätsberuf in Siebenbürgen zu erhalten. Damit tragen sie übrigens auch dazu bei, den Mittelstand wieder zu beleben. Jedenfalls kann gerade mit solcher Unterstützung sehr wohl das Kulturerbe Orgeln geschützt und erhalten werden, um es – gegebenenfalls auch an anderem Ort als bisher – weiter bestehen und leben lassen zu können.

Ernst Leonhardt

Schlagwörter: Kulturerbe, Orgeln

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