27. Juni 2012

„Schaut her, das war!“

In die Ausstellung „De vedderscht Stuw. Siebenbürgisch-sächsische Bauernmöbel und Möbelmalerei der Repser Gegend“, die vom 26. bis 27. Mai in Dinkelsbühl gezeigt wurde, führte der siebenbürgisch-deutsche Hochschullehrer und Literaturwissenschaftler Michael Markel ein. Zu dessen täglichem Umgang hatten diese Möbel gehört, „als sie vor annähernd siebzig Jahren noch nicht als Sammelgut oder als Kunstwerke, sondern als vertraute Gebrauchsgegenstände galten“. Der Text wird gekürzt wiedergegeben.

De vedderscht Stuw

Die meisten Häuser der hier dargestellten Region stammen aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert und bestehen, sofern sie noch stehen, aus der rechteckigen Stube, deren Fenster an der Schmalseite zur Straße blicken, und dem ihr vorgelagerten sog. Haus, einem über den Treppenaufgang zu erreichenden, ehemals fensterlosen Raum. Weitläufigere Häuser hatten damals schon ein ebenfalls zur Straße hin gelegenes „Stifken“ als Altenteil.

Die Stube war Lebensmittelpunkt – Wohn- und Schlafraum zugleich, aber auch Stätte häuslicher Arbeiten und familiärer Repräsentationsraum: Hier empfing man seine Gäste, hier wurden Hochzeiten begangen und Taufen gefeiert, hier wurden die Toten aufgebahrt.

In dem Maße, wie die Wohnansprüche wuchsen, kamen weitere Räume hinzu, die Stube gab einen Teil ihrer täglichen praktischen Funktionen ab und gewann an repräsentativer Bedeutung: Sie wurde Spiegel der Familie und Selbstdarstellungsraum mit Anspruch auf gehobene Ausstattung. Dies ist das Stadium, wo wir sinnvoll von der vedderschten Stuw – dem vorderen Zimmer – sprechen, dies ist auch etwa der Stand der in dieser Ausstellung veranschaulichten Wohnkultur.

Die Ausstellungsstücke

Tische, Truhen und Betten, Schüsselschränke und Stühle, Möbel, wie sie hier zu sehen sind, vereinten Gebrauchs- und Zierwert, waren jedoch dem Verschleiß ausgesetzt, so dass aus der Zeit vor 1700 nicht eben sehr viel überliefert ist: ein Tisch von 1547 im Schäßburger Stundturmmuseum, eine Almerei von 1680 im Brukenthalmuseum und hier als ganz bemerkenswertes Stück eine Truhe aus Schweischer aus dem Jahr 1647.

Nicht weniger kennzeichnend ist, was hier fehlt. Es wird kein Kleiderschrank ausgestellt, und es hat in der dörflichen vedderschten Stuw auch keinen gegeben, weil es dafür keinen Bedarf gab, denn die gesamte Kleidung wurde gefaltet in Truhen und Laden gelegt. In Deutschweißkirch sind Kleiderschränke nachweislich erst nach 1950 aufgestellt worden, als die Russlanddeportierten mit Anzügen und Kostümjacken heimkehrten und die herkömmliche Kleiderordnung aufgaben. Die Entwicklung ging dann sehr schnell. Auch Bauern fanden ein Schlafsofa bequemer, zumal sie in der glücklichsten aller Welten in die Lage gerieten, kein Stroh mehr für Strohsäcke zu haben, und immer häufiger wurden die von ermutigten Randalierern beschädigten Tore und Zäune mit bemalten Truhenstücken ausgebessert, denn auch Bretter waren Mangelware.
Werner Förderreuther (links) und Michael Markel ...
Werner Förderreuther (links) und Michael Markel in der Ausstellung „De vedderscht Stuw“ in Dinkelsbühl. Foto: Siegbert Bruss

Die überregionalen Bezüge

Das Fehlen des Kleiderschranks ist als Kontrastentwicklung auch darum von Bedeutung, weil es gerade Schränke aus fränkischen und bayerischen Schlafräumen sind, die als gepflegte Erinnerungsstücke die nächsten Vettern siebenbürgischer bemalter Möbel darstellen.

Möbel wurden im europäischen Mittelalter aus Hartholz gefertigt, Ritz- und Kerbtechniken gaben das Dekor. Das war, wie die viel besprochenen Stollentruhen belegen, in Siebenbürgen nicht anders. Bemalte Möbel kamen auf, sobald sie aus billigeren Nadelhölzern gefertigt wurden, die nicht zu kerben sind. Im Elsass, im gesamten Süden Deutschlands und in Österreich waren bemalte Möbel seit dem 16. Jahrhundert heimisch und fanden ihren südöstlichsten Ausläufer in den hier gezeigten Möbeln der Repser Gegend, die mit Draas, Meeburg, Keisd, Katzendorf, Seiburg und Deutschweißkirch vor allem im 18. und 19. Jahrhundert eine Kleinlandschaft unverwechselbarer dörflicher Schreinerei dargestellt hat.

Seit 1520 unterlagen siebenbürgische Tischlergesellen dem Wanderzwang, außerdem belegen Zunfturkunden des 18. Jahrhunderts einen regen Zuzug deutscher Meister auch jenseits der landlerischen Transmigranten. Sie brachten neueste Moden und Arbeitstechniken mit, die den siebenbürgischen Bedingungen angepasst wurden.

Andererseits hat auch die sächsische Schreinermalerei, speziell die hier ausgestellte, nach außen gestrahlt wie die des Keisder Tischlers Lorenz Umling (um 1705-1790), der 1742 nach Klausenburg ging und mit Söhnen und Enkeln die einzigartigen, hervorragend erhaltenen Ausstattungen reformierter ungarischer Kirchen im Kalotaszeg geschaffen hat.

Die Schreinermalerei

Die Kunst am Möbelstück beginnt bei der schreinerischen Formgebung und vollendet sich in seiner formgerechten Bemalung. Grundkonzept der Bemalung war in der Repser Gegend eine strenge Felderung der Flächen, die auf Möbeltüren und Arkadentruhen in geschreinertem Relief, sonst einfach aufgemalt erscheint. Auf den Feldern finden sich in Keisd gelegentlich Stadtlandschaften, sonst überwiegen florale malerische Ornamente, in einer ersten Periode bis Mitte des 18. Jahrhunderts Passionsblume, Granatapfel, Akanthusblüten und -kapseln, häufig in S-Ranken eingefügt, in einer zweiten Periode bis 1900 einheimische Blumen wie Tulpen, Rosen, Nelken, Maiglöckchen ebenfalls in Rankenornamenten, gelegentlich zu Sträußen oder Girlanden verbunden. Vorherrschende Farben für Leisten und Felder sind Grün, Braun, Ocker, geschmackvoll kombiniert und in gedämpftem warmem Farbton gehalten.

Letzterer ist Ergebnis der Maltechnik. Gemalt wurde mit pulverisierten mineralischen Farben (Erdfarben), früher in Kaltleim gelöst, später in haltbarerem Knochenleim gekocht und warm auf das ebenfalls leimgetränkte Holz aufgetragen, ehe das ganze mit Firnis oder Klarlack überzogen wurde. Flächenhafte Farben wie etwa die der Ornamentblätter erhalten durch hell-dunkle Linienaufträge Tiefenschärfe und Lebendigkeit. Gemalt haben nachweislich häufig Frauen, die traditionelle Schreinerei mit Verzinkung und Holzstiftfügung war Sache der Männer.

Tischler, deren Stil dem erfahrenen Auge auf Anhieb erkennbar ist, die zugleich Kirchenausstattungen in Auftrag nahmen, sind mehrere namentlich in Rechnungsbüchern und Matrikeln auszumachen. Von den Meistern ging die Malkunst auf die Bauern über und hat sich im traditionellen Gestalten von Geschenkartikeln wie Spinnrocken, Rockenstühlchen, Spinnwirteln und Kassetten über die Ausreise hinweg bis zum heutigen Tag erhalten.

Die Sammlung Förderreuther

Gesammelt hat die ausgestellten Möbel der Franke Werner Förderreuther (geb. 1939). Durch seine Herkunft mit süddeutscher Möbelmalerei vertraut, wurde der ausgebildete Tischler mit frühem Interesse für die Kunst und Geschichte der Schreinerei von der im Hermannstädter Brukenthalmuseum ausgestellten Katzendorfer Stube so fasziniert (SbZ online vom 29. Januar 2009), dass er darüber zum leidenschaftlichen Sammler siebenbürgischer Volkskunst geworden ist. Seit 1980 hat er die Landschaft jährlich mehrmals bereist, hat mit ganz außergewöhnlichem Gespür und weit geöffnetem Geldbeutel wertvollste Güter zusammengetragen und vor allem in den Jahren des Aufbruchs 1990-1992 kostbarste Stücke vor endgültigem Verlust bewahrt.

Um seiner Leidenschaft fachgerecht dienen zu können, hat Werner Förderreuther den Beruf vorzeitig an den Nagel gehängt und stattdessen mehrere Semester Volkskunde studiert. Gemeinsam mit der aus Schweischer stammenden Rose Schmidt (1922-2010) hat er im Münchner Verlag Wort + Welt + Bild die Bücher Der Fleiß der Hände. Siebenbürgische Haustextilien (2001) und Kirchen- und Festtagskleidung der Siebenbürger Sachsen (2011) veröffentlicht und steht kurz vor dem Abschluss eines reich dokumentierten Manuskripts über Schreinerarbeiten und Schreinermalerei der Repser Gegend. Er wolle nicht auslegen, sondern belegen, um sagen zu können: „Schaut her, das war!“ Dann mögen die Sachsen ruhig stolz drauf sein, meint er, und ich füge hinzu: Auch dankbar für sein eigenes Wirken, nicht zuletzt für den Aufwand, ohne den auch diese Ausstellung nicht zustande gekommen wäre, für deren umfassende logistische Betreuung Frau Christa Andree besonderer Dank gebührt.

Michael Markel

Schlagwörter: Heimattag 2012, Ausstellung, Möbel

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