4. Juli 2012

„Pappkamerad? – oder Komplize?“

Fast zwei Jahre nach der Entdeckung der Informantentätigkeit des Büchner-Preisträgers Oskar Pastior widmete sich das Symposion „Versuchte Rekonstruktion. Die Securitate und Oskar Pastior“ am 23. Juni im Literaturhaus Berlin diesem schwierigen Thema. Bei der Tagung, die die Oskar Pastior Stiftung zusammen mit dem Literaturhaus Berlin organisiert hat, behandelten die Referenten am Vormittag die Akten und Oskar Pastiors Geschichte in Rumänien sowie den moralischen Aspekt der Spitzeltätigkeit; am Nachmittag nahm man seine Texte unter die literaturwissenschaftliche Lupe. Beiderseits wurde man fündig: So wurden noch weitere Geheimberichte von Otto Stein (Pastiors Deckname) gefunden, und die Literaturwissenschaftler entdeckten in seinem Werk Spuren, die auf diese Tätigkeit hin gedeutet werden können.
In seiner Begrüßung sprach der Vorsitzende der Pastior-Stiftung, Klaus Ramm, davon, dass es eigentlich Zeit gewesen wäre, den Oskar Pastior Preis zu verleihen, dass man sich aber zu einem Innehalten entschieden habe, zu einer Atempause, seit der Erschütterung und Beklemmung, die die Entdeckung der Täterakte Pastiors ausgelöst habe. Man habe sich darauf konzentriert, das Ausmaß seiner Mitarbeit zu klären, und wolle heute die Ergebnisse im Zusammenhang mit seinem Werk präsentieren, nicht losgelöst von seiner von Unruheherden geprägten Poetik.

In seinem gewissenhaft recherchierten Vortrag stellte Ernest Wichner, Leiter des Literaturhauses Berlin und Freund Pastiors, den jetzigen Wissensstand über die Aktenlage dar. Es seien insgesamt nur sechs Berichte gefunden worden, zwei davon über seinen Bekannten und späteren Kritiker Dieter Schlesak, der ihn denunziatorisch, so Wichner, der Mitschuld am Selbstmord Georg Hoprichs beschuldigt habe (später nahm Schlesak diese Behauptung zurück): „Oskar Pastior taucht in Georg Hoprichs Akte weder vor seiner Verhaftung noch nach seiner Freilassung und bis zu seinem Selbstmord im April 1969 auf“, so Wichners Fazit. Die zwei Berichte in Schlesaks Akte, namentlich der eine, in dem Pastior ihn der Sympathie zur westlichen Poesie bezichtigte, seien aber wertlos, zumal das Interesse für die moderne westeuropäische Literatur damals, 1966, keine Gefahr mehr dargestellt habe. Dieter Schlesak war leider nicht anwesend, um dazu Stellung zu nehmen, wie vom Publikum bemängelt wurde. Auch die weiteren Berichte sollen größtenteils für die Securitate unbrauchbar gewesen sein. Auf den einzigen denunziatorischen Bericht hatte bereits Stefan Sienerth in den Spiegelungen hingewiesen, er stelle die Bukarester Germanistin Ruth Kisch in einem schlechten Licht dar, so der Leiter des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS). Ruth Kisch hatte Pastior ermahnt, so die Aktenlage laut Wichner, engagiertere Gedichte zu schreiben. Insgesamt ist es also eine magere Ausbeute gemessen an 214 Seiten der Opferakte von Pastior und im Vergleich zu anderen „engagierteren“ Spitzeln. Dies wurde von der Kulturmanagerin und Übersetzerin Corina Bernic, die ihrerseits Hunderte von Akten studiert hatte, im Wesentlichen bestätigt. Sie richtete den Blick auf Rumänien, auf den Fall Pastiors, der die Öffentlichkeit dort eben nicht bewegt. „IM Otto Stein hat total unbrauchbare Berichte der Securitate geliefert“, unterstrich Bernic. Und anlässlich der Errichtung einer Skulptur von Adrian Păunescu konstatierte sie: „Eine Welt, wo Ceaușescus Hofdichter gepriesen und Oskar Pastior als Otto Stein etikettiert wird, ist eine verkehrte Welt.“ Stefan Sienerth, vor knapp zwei Jahren Entdecker der Securitate-Akte, richtete sein Augenmerk auf Oskar Pastior als Verfolgten, im Dichterkreis, der sich in seinem Hause traf, an dem Georg Hoprich, Richard Adleff und Ingmar Brantsch teilnahmen. Dieter Schlesak gehörte auch am Rande dazu. Obwohl die Gruppierung nicht politisch agierte, kein Programm und kein Presseorgan hatte, wurde sie trotzdem von der Securitate beobachtet und Georg Hoprich wurde verhaftet.
Oskar Pastior und Herta Müller (1. von links) ...
Oskar Pastior und Herta Müller (1. von links) bereisten im Frühsommer 2004 die ukrainischen Lager, in denen er als Deportierter von 1945 bis 1949 gearbeitet hatte. Foto: Ernest Wichner
Die Essayistin Sabina Kienlechner analysierte aus moralphilosophischer Perspektive, wie ein Spitzel zu beurteilen ist, wobei sie sich vor allem auf den IM Walter alias Werner Söllner und die Aktionsgruppe Banat bezog. Sie bedauerte, dass Spitzel, die sich offenbarten, besser behandelt würden als solche, die gar keine Spitzel gewesen seien. – Anmerkung der Verfasserin: Trotz des Unterschieds zu Werner Söllner, der wohl nicht mehr die schweren Repressalien aus den 60er Jahren befürchten musste, kann man als Außenstehender einwenden, dass Pastior sein ganzes Leben lang versäumt hat, Buße zu tun. Wer allerdings den Presserummel um die Entdeckung seiner Spitzeltätigkeit im September 2010 verfolgt hat, kann dunkel erahnen, warum.

„Kein Dementi schafft Nachrichten aus der Welt“, schrieb Pastior einmal. Ob er sein Leben lang deswegen ein schlechtes Gewissen hatte, darüber kann man nur spekulieren, auf jeden Fall hat er durch seine Offenbarung gegenüber den deutschen Behörden (Bundesgrenzschutz) versucht, reinen Tisch zu machen, wie einer Notiz aus dem Nachlass zu entnehmen ist, so Wichner. Doch ob dort oder eventuell auch bei der CIA etwas aktenkundig wurde, blieb unklar.

Herta Müller erleichtert

Umso interessanter war der zweite Teil der Tagung, in dem Jacques Lajarrige und Michael Lentz, jeder auf seine Weise, in Oskar Pastiors Werk nach Spuren suchten. Der Germanist Jacques Lajarrige fand nicht nur in den frühen Gedichten, wie etwa „Verhör“, sondern auch in den späteren, etwa in den Petrarca-Gedichten, einen biografischen Hintergrund, wobei er mahnte, vorsichtig zu sein und nicht in die Realismusfalle zu tappen. Er schälte einen Subtext heraus, zwar verstreut in den diversen Texten, der aber durchaus als Kommentar zu Pastiors Spitzeltätigkeit zu werten sei. Dabei meine die Zeile „Pappkamerad? – oder Komplize?“ aus den Petrarca-Gedichten sehr wohl den papierenen Kameraden Petrarca, sie könne sich aber auch auf die anderen Dichter beziehen, die Pastior bespitzeln musste.

Der Lautpoet Michael Lentz untersuchte ebenfalls Pastiors Texte „auf der Folie seiner Spitzeltätigkeit“ und definierte ihn als latenten Komplizen Otto Steins. Zur Sprache kam auch die staatstragende Poesie, „sozialistisch-realistischer Agitprop“, den Pastior auch geschrieben hat. Lentz sprach von einer „Poetik der Latenz“ bei Pastior, denn er musste zugeben: „Man wird bei Oskar Pastior keinen Text finden, der über seine Spitzeltätigkeit ohne Umschweife spricht“, seine Texte seien „erhellend dunkel“.

Thomas Eder stellte sich mit Oskar Pastior die Frage, wie schuldhaft Sprache sei, wobei er sich aber eher auf die Sprache des Nationalsozialismus bezog, die von den Opfern verwendet wurde, aufgrund von Heimrad Bäckers „nachschrift“. Offen blieb die Frage, „ob die Schuld, die der einzelne auf sich geladen hat, ausgelöscht werden kann durch einen avantgardistischen Umgang mit Sprache, wie bei Oskar Pastior“.

Insgesamt war es eine differenzierte und auch literaturwissenschaftlich sehr ergiebige Tagung, die das Dilemma um diesen ambivalenten und großen Dichter nicht auflöste, sondern im Gegenteil ausgeleuchtet hat. Der Tenor ging jedoch in Richtung einer Entlastung. Die Diskussionen haben gezeigt, dass noch viele Fragen offen blieben. Mehr Kontroverse hätte sich allerdings auch Klaus Ramm gewünscht. Herta Müller, die auch im Publikum anwesend war, gab zu, froh zu sein, dass ihr Freund Pastior, mit dem sie an ihrem preisgekrönten Roman Atemschaukel zusammengearbeitet hatte, ihr nichts von seiner Informantentätigkeit gesagt hatte. Sie hätte ihm die Tür zugeknallt und nichts gewusst, weil man die Akten damals noch nicht lesen konnte. Sie hätte ihm nicht geglaubt und ihm die Freundschaft gekündigt. Nachher bekräftigte sie jedoch, dass sie ihn dazu gebracht hätte, seine Akte zu lesen und dass sie ihn umarmt hätte. Denn es gebe angesichts der Spitzeltypen, bei Oskar Pastior keine kriminelle Energie, kein Bedürfnis und kein Interesse. Er habe offenbar versucht, sich nicht schuldig zu machen, soweit es gegangen ist. Wenn man die Akten gelesen habe, müsse man individuell auf die Dinge schauen. Natürlich fände sich das auch in seinen Büchern wieder. „Gerade um sich damit auseinanderzusetzen, hat er so geschrieben und zwar natürlich alles. Er war der genaueste Mensch, den ich kenne, und er hat millimeterweise gedacht. Und dieses Problem hat er immer mit sich herumgeschleppt“, so die Nobelpreisträgerin. Im November sollen die Vorträge in der Zeitschrift „Text und Kritik“ veröffentlicht werden [Sonderband „Versuchte Rekonstruktion – Die Securitate und Oskar Pastior“, November 2012, etwa 160 Seiten, Preis: ca. 26 Euro. ISBN 978-3-86916-199-0].

Die Oskar Pastior Stiftung wird sich in zwei Jahren entscheiden, ob der gleichnamige Preis vergeben wird und wie sie weiterhin mit diesem nicht unumstrittenen Erbe umgehen wird. Das Symposion war ein guter Ansatz zur Aufarbeitung. Es hat gezeigt, dass man es einerseits mit einer dürftigen Aktenlage zu tun hat, zur weitgehenden Erleichterung, was die Täterakte betrifft, und andererseits mit einem verschlüsselten Werk. Was einen immer wieder auf die Texte zurückwirft und was Oskar Pastior sich vielleicht für sich selber auch so gewünscht haben mag. Um mit seinen Petrarca-Worten zu schließen, denn „auch Poesie ist Nachricht“: „Entworfen also – und dann aufgestellt, genau, und freigegeben: Pappkamerad? – oder Komplize? Da fällt Sonne, da schmilzt Schnee, da ist ‚Wachs‘ ein Notwort für ‚Bestürzung‘.“

Edith Ottschofski

Schlagwörter: Tagung, Oskar Pastior, Securitate, Herta Müller

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