15. Juli 2012

Es kam nicht das Ende, es kam die Diaspora

Hans Klein bietet mit seinem Buch „In eine offene Zukunft“ einen aufschlussreichen Einblick in Wesen und Werden der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien nach der politischen Wende 1989/90. Der 227 Seiten starke Band enthält 28 Beiträge und wurde 2011 vom Martin-Luther-Verlag in Erlangen herausgebracht.
Der Autor des Bandes, Professor Dr. Hans Klein, lebt heute als Emeritus in Hermannstadt. Der anerkannte Theologe in Hermannstadt war nach der politischen Wende engagierter Stadtpfarrer, Bischofsvikar und Gründungsmitglied des Deutschen Forums. Insoweit vertritt er ein breites Spektrum von Fragen und Themen, die dem Leser nahe bringen wollen, dass auf dem alten historischen Boden der siebenbürgischen Kirchenburgen, auf welche wir manchmal betroffen hinüberschauen, Orte und Oasen entstehen, wo Neues aufbricht und wächst. Die „Vorträge und anderen Texte“ stammen alle aus der letzten Schaffensperiode des Autors. Der lange Atem der Geschichte haftet ihnen an und lesend nimmt man Anteil am Weg der siebenbürgischen Kirche nach 1989/90. Durch die Auswanderung ihrer Glieder hat diese Kirche nicht nur den größten Teil ihrer Gemeindeglieder verloren, sondern auch die tragenden Wesenszüge einer geordneten Volkskirche. Tradierte Lebensformen brachen durch die anhaltende Schrumpfung zusammen. Aber es kam nicht das Ende, es kam die Diaspora.

Der erste Hauptabschnitt, „Die evangelische Kirche“, stellt mit 13 Beiträgen grundlegende Fragen für Siebenbürgens Kirche an der „Zeitenwende“. Wir werden in den gesellschaftlichen und kirchlichen Wandel nach der Wende hineingeworfen und zugleich auf die bleibenden Werte und Erfahrungen in und mit der Kirche hingewiesen: was die Kirche zur Kirche macht. Das erste, auffallendste und sichtbare Merkmal für die Betroffenen war eindeutig und ernüchternd zugleich: Die stark geschrumpfte lutherische Minderheitskirche entdeckte sich in ihrem alten und neuen Lebensraum in einer doppelten Diaspora: ethnisch und religiös. Sie war an einem Zahlenlimit angekommen, wo man sagen muss: eine lutherische Kirche als Diaspora.

Diese Herausforderung verlangte einen seelsorgerlich behutsamen Umgang mit der kleinen Zahl und die in Siebenbürgen zurückgebliebenen Gemeindeglieder mussten sich angesichts der neuen Lage entscheiden, inwieweit sie sich dieser Kirche als „zugehörig“ erklären wollten. Die Frage, wem und wohin gehöre ich unter all den andern und vielen, die eine andere Sprache sprechen und ihren Glauben anders leben und feiern, wurde neu gestellt. Die Frage nach dem Glauben war plötzlich nicht nur eine Frage nach der ethnischen Zugehörigkeit. Damit wird das zweite wichtige Merkmal deutlich gemacht: die geistliche Dimension des Glaubens, auf welche der Autor immer wieder hinweist und die er theologisch reflektiert: „Kirche aus der Kraft des Evangeliums“, „Kirche aus der Kraft des Geistes“ als Kirche , wie sie der 7. Artikel des Augsburger Glaubensbekenntnisses beschreibt, als Versammlung der Gläubigen, wo Gottes Wort verkündigt wird und die heiligen Sakramente gefeiert werden. Damit wird ein Arbeitsgebiet anvisiert, das auf ein gewisses Grundwissen über Bibel, Glauben sowie die Praxis der Kirche in ihren Gottesdiensten in die Mitte rückt.

Ebenso wird die Frage nach den Werten gestellt, wenn gefragt wird: Welche traditionellen Werte der sächsischen Kirche und Gemeinschaft haben Bestand für die Zukunft? Mit einiger Gewissheit antwortet der Autor, indem er auf den von der Reformation Martin Luthers geprägten Glauben hinweist, weil er Selbstvertrauen und Freiheit schenkt.

Andererseits geht es schon unter die Haut, wenn gefragt wird, „was in unserer Kirche bleiben wird und bleiben muss“, und damit im Zusammenhang eine Vision vom Kommenden entwickelt wird. Bleiben muss die Bindung an das Evangelium, die immer neue theologische Reflexion der Situation und ihrer Begleitumstände, die theologische Fortbildung, die Ausbildungsstätte für Theologen, die Verantwortung für die Menschen und „bleiben muss das Wissen, dass all unser Tun nur Wasser tragen ist, damit der Herr der Kirche daraus Wein mache“ (Johannes 2). Die Jahre der kommunistischen Diktatur werden aus den Texten nicht ausgeklammert, denn die „zensurierte Kommunikation und Publikation“ bildete immer neu einen Anlass für Kummer, Leiden, Demut und diversen Ärger.

Mit Betroffenheit liest man ebenfalls den Text über die „Unterforderung und Überforderung“ der Pfarrer im riesigen Diasporagebiet mit den vielen kleinen und Kleinstgemeinden einerseits und andererseits der Überlast an Verwaltungsarbeit seit den durchgeführten Restitutionen. Nicht zu vergessen ist die Einsamkeit der Kollegen und Kolleginnen sowie ihrer Familien bzw. die fehlende Supervision. Im vorgegebenen Rahmen einer Buchbesprechung kann leider nur auf einige wenige Streiflichter eingegangen werden.Der Autor nennt immer wieder Grund-Sätze der Kirche, die sich nicht wandeln, da sie zu den zukünftigen „Kernaufgaben“ gehören. Die drei folgenden Hauptabschnitte: 2. „Kirche und Gesellschaft“, 3. „Ökumene“ und 4. „Auf dem Weg in die Europäische Union“ behandeln das bewirkende Handeln der Kirche als sekundäre Zeichen, abgeleitet aus den primären Kennzeichen der Kirche: Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung.

Das reformatorische Erbe ermöglicht der kleinen lutherischen Kirche A.B. in der Diaspora eine große Öffentlichkeitswirkung zu erzielen. Es ist erstaunlich, mit welcher Intensität nach der politischen Wende und der Gründung der Evangelischen Akademie „Hans Bernd von Haeften“ der offene Dialog zwischen Kirche und Gesellschaft stattfindet. Zweifellos eine große Errungenschaft. Da Christen ihre Sozialisation wie alle Menschen erleben, aber auf christlicher Grundlage, haben Christen und ihre Kirche das Recht, ihre Mitwirkung an den gesellschaftlichen Bildungsprozessen durch ihre Kernaufgaben deutlich zu bekunden: Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sind und bleiben die großen Arbeitsfelder. Der Bildungsauftrag der Kirche hat seinen Ort auch in den öffentlichen Schulen und in anderen öffentlichen Bildungseinrichtungen der modernen Gesellschaft.

In diesen breitdiskutierten gesellschaftlichen Zusammenhängen, gestärkt durch die dritte Europäische Ökumenische Kirchenversammlung 2007 in Hermannstadt, trug die Kirche wesentlich dazu bei, den Weg Rumäniens in die EU zu öffnen bzw. zu ebnen.

Alles in allem ein bemerkenswertes Buch. Die 28 Texte bieten ein sehr lebendiges Bild von der klein gewordenen evangelisch-lutherischen Kirche A.B. in Rumänien. Sie ist bereit, „in eine offene Zukunft“ hineinzugehen, wozu wir Gottes Segen wünschen.

Dr. August Schuller




Hans Klein: „In eine offene Zukunft. Vorträge und andere Texte zur Lage der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien zu Beginn des 21. Jahrhunderts“, Martin-Luther-Verlag. Erlangen 2011, 227 Seiten, 14 Euro, ISBN 978-3-87513-172-7, erhältlich im Buchhandel.

Schlagwörter: Rezension, Kirche und Heimat

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