23. Juli 2012

Homerisches Gelächter und der Tod

Carmen Elisabeth Puchianus erster Roman „Patula lacht“, Karl Stutz Verlag, Passau, 2011, 313 Seiten, Leinen, 19,80 Euro, ISBN 978-3-88849-149-8, erhältlich im deutschen Buchhandel.
Stirbt in einem Roman oder Theaterstück einer der Hauptcharaktere, dann braucht das seine Zeit. Er stirbt nicht von einer Sekunde auf die nächste, wird nicht wie eine Randfigur mit wenigen Worten ins Jenseits katapultiert. Der Prozess seines Ablebens wird ausgeschmückt: Er hat ein letztes Mal die Möglichkeit, in einem finalen Kampf um sein Leben zu ringen, oder ihm wird Zeit für einen Rückblick auf sein Leben eingeräumt. Was die Rezeption dieser Sterbeszenen angeht, so ist die Meinung des Publikums darüber meist zweigeteilt: Die einen schätzen die schriftstellerische Leistung, die sich gerade in der Beschreibung solch entscheidender Situationen offenbart, lauschen gebannt den letzten Worten des Helden und schwelgen in der kunstvollen Verzögerung der Endgültigkeit. Die anderen können es gar nicht erwarten, dass die Spannung aufgelöst wird, so dass die „eigentliche“ Handlung weitergehen kann. Sie sind es, die fragen: „Warum redet der eigentlich immer noch, obwohl er schon vor Minuten erschossen wurde?“

Was passiert nun, wenn der Prozess des Sterbens nicht nur wenige Seiten in einem Roman einnimmt, sondern zu seinem Hauptmotiv avanciert? Was passiert, wenn eine der Haupteigenschaften der Protagonistin ihr langsames Dahinscheiden ist? In Carmen Elisabeth Puchianus erstem Roman „Patula lacht“ ist genau dies der Fall. Patula, die beinahe 90-jährige Protagonistin, stirbt. 313 Seiten lang. Von Beginn des Romans an steuert die gesamte Handlung auf Patulas Tod hin. Zwei Handlungsebenen, die beide durch sehr explizite Todesmetaphorik gekennzeichnet sind, beschreiben diesen vorgezeichneten Weg der Hauptfigur. In der ersten Ebene, die in der Gegenwart spielt, wird in drei Episoden das Leben der alten Patula beschrieben. Zunächst befindet sie sich zu Hause, in ihrer kleinen Wohnung. Sie ist unglaublich müde, fühlt sich krank, hat keine Kraft mehr. Die Anzeichen eines Schlaganfalls mehren sich. Nachdem dieser eingetroffen ist, findet sie sich im Krankenhaus wieder. Sie ist halbseitig gelähmt und hat Schwierigkeiten zu sprechen. Wieder zurück zu Hause, scheint es, als würde sie sich sowohl physisch als auch mental erholen, doch letzten Endes gibt sie doch dem Todesdrang nach. Die zweite Handlungsebene spielt in Patulas Vergangenheit. In scheinbar freier Assoziation werden Ereignisse aus Patulas Leben erzählt, wobei sich einem Kaleidoskop ähnlich Geschichten und Motive wiederholen und immer wieder neu mischen.

Viele der von Patula erinnerten Geschichten spielen sich im Kreise ihrer Familie ab, wobei ein besonderes Augenmerk auf den vielen Todesfällen liegt, die die Verwandtschaft immer weiter dezimieren, bis letztendlich nur noch Patula selbst übrig bleibt. Patulas familiärer Hintergrund ist typisch für die Region, in der sie aufgewachsen ist: Obwohl im Roman die Heimatstadt der Protagonistin immer nur in abgekürzter Form „K.“ genannt wird, ist es aus dem Kontext ersichtlich, dass es sich nur um die siebenbürgische Stadt Kronstadt handeln kann. Das multikulturelle Nebeneinander in dieser Stadt spiegelt sich wider in Patulas Familie: Sie selbst wurde genau wie ihre Mutter deutsch erzogen, ihr Vater ist ganzer Rumäne, ihre Großmutter Erzébet Ungarin und ihr Großvater wiederum Siebenbürger Sachse.

Zu ihrer Mutter hat Patula ein sehr spezielles Verhältnis. Die Beziehung, deren Wesen sich der Leser aus zahlreichen kleinen Anekdoten erschließen kann, ist sehr eng und freundschaftlich, in manchen Stellen sogar erotisch aufgeladen. Ein immer wiederkehrendes Motiv der Mutter-Tochter-Beziehung ist das „Homerische Gelächter“. Dieses scheinbar nicht enden wollende Lachen, in das die beiden immer wieder einstimmen, kann sowohl als Zeichen ihrer Zusammengehörigkeit und Abgrenzung gegenüber allen anderen gedeutet werden, als auch als Schutzwall gegen die traurigen Nachrichten, die sie immer wieder erreichen. Nichts und niemand scheint diesen Schutzwall zu durchdringen. Immer wieder wird die Reaktion der Außenstehenden als blankes Unverständnis beschrieben, wenn Mutter und Tochter aus heiterem Himmel oft unter traurigen Umständen in schallendes Gelächter ausbrechen. Aus dem Motiv des homerischen Gelächters heraus erklärt sich so auch der Titel des Buches: Patula lacht nicht aus Freude, sondern als Kompensation der Trauer. Das Gelächter ist der emotionale Gegenpol, den sich auch die alte Patula bewahrt hat. Das Buch fordert daher vom Leser mehr als Bestürzung und Empathie. Nach mehr als dreihundert Seiten Vergänglichkeit dürfte ihm zum Weinen zu Mute sein. In Patulas Lachen findet sich ein Hinweis, wie er darauf reagieren könnte: in lautes Gelächter ausbrechen.

Angelika Stefan


Patula lacht: Roman
Carmen E Puchianu
Patula lacht: Roman

Stutz, K
Gebundene Ausgabe
EUR 7,20
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Schlagwörter: Rezension, Roman, Familie

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