20. Dezember 2012

Unitarier, Pietisten, Reformierte

Zur internationalen Tagung „Luther und die Evangelisch-Lutherischen in Ungarn und Siebenbürgen. Augsburgisches Bekenntnis, Ethnie und Politik vom 16. Jahrhundert bis 1918“ hatten die Eberhard Karls Universität und das Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde (IdGL) vom 22. bis 24. November 2012 nach Tübingen eingeladen. Theologen, Historiker und Kulturwissenschaftler aus Deutschland, Österreich, Ungarn, Rumänien, Slowenien, der Slowakei und den Niederlanden waren im Evangelischen Stift zusammengekommen, um Luthers und auch Melanchthons Einfluss auf die Entwicklung des Protestantismus im „Stefansreich“ zu diskutieren. Die Tagung sei gewissermaßen eine Fortsetzung der Calvin-Tagung von 2008, sagte der Tübinger Historiker Prof. Dr. Anton Schindling, mit PD Dr. Márta Fata vom IdGL Organisator der Tagung, in seiner Einführung.
Der erste, grundlegende Vortrag „Merkmale der lutherischen Reformation im Donau- und Karpatenraum vom 16. bis zum 19. Jahrhundert“ von Prof. Dr. Zoltán Csepregi, Inhaber des Lehrstuhls für Kirchengeschichte an der Evangelischen Theologischen Universität Budapest, bereitete den Boden für alle folgenden Beiträge. Seine Dimension und Bedeutung wurde im Lauf der Tagung immer deutlicher, bezogen sich doch viele Referenten immer wieder auf Csepregis Ausführungen. Die starke sprachliche Bindung der verschiedenen Volksgruppen und die noch fehlende Kultur des Übersetzens stellten im 16. Jahrhundert eine Barriere für die Reformation dar, so Csepregis These. Erst mit dem Aufkommen von mehrsprachigen Dissertationen und Amtseintragungen im 17. Jahrhundert sei ein Übergang zur konfessionellen Identitätsbildung geschaffen worden, die im 18. Jahrhundert die geographische verdrängt habe. Als Beleg für diese Entwicklung führte er unter anderem die Gesangbücher der protestantischen Gemeinden an.

Weitere Themen an diesem ersten Tag waren die Bedeutung des Burgenlands als Auffangbecken für Religionsflüchtlinge und Lutheraner in der frühen Neuzeit, das Kollegium Eperies, eine einflussreiche Hochschule im Königreich Ungarn, an deren Bau sich auch siebenbürgische Stände finanziell beteiligten, sowie Entstehung und Vermittlung des Pietismus im 17. Jahrhundert.

Die Abendveranstaltung fand im Großen Senat der Universität Tübingen statt. Unter dem Leitwort „Evangelisch an der Donau heute“ sprachen Prof. Dr. Dr. h.c. Karl W. Schwarz vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur in Wien und Gergely Pröhle, Landeskurator der evangelischen Kirche in Ungarn und stellvertretender Staatssekretär im ungarischen Außenministerium. Prof. Schwarz schlug in seinem Vortrag „Solidarität und Einheit der Protestanten? Integration und Kooperation der protestantischen Kirchen im Habsburgerreich und heute“ einen Bogen vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart und betonte, dass der Protestantismus im Habsburgerreich niemals eine Einheit gebildet, sondern sich aus unterschiedlichen „Landeskirchen“ zusammengesetzt habe. Er stellte verschiedene Initiativen vor, deren Ziel es ist, diese heute noch spürbare Spaltung der Protestanten in den Donauländern zu überwinden, und legte den Tagungsteilnehmern besonders das Programm „Healing of memories“ ans Herz, das durch „das Verschriftlichen der belastenden Kapitel der Kirchengeschichte eine Verständigungsgrundlage zu schaffen“ versucht. Gergely Pröhle, ehemaliger ungarischer Botschafter in Deutschland und der Schweiz, präsentierte Zahlen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn (ELKU) von 2011 zu Kasualien, Gottesdiensten, Institutionen, Mitgliedern und Finanzen und stellte sehr anschaulich die aktuelle Situation der Protestanten in Ungarn dar. Ihr Anteil an der Bevölkerung von 1,34 Millionen im Jahr 1910 ist gut hundert Jahre später auf um die 300 000 gesunken, Tendenz: weiter fallend, woraus sich besondere Herausforderungen für die ELKU auf den Gebieten Bildung und Diakonie ergeben.
Von links: Prof. Dr. Krista Zach, Dr. Edit ...
Von links: Prof. Dr. Krista Zach, Dr. Edit Szegedi, Prof. Dr. Anton Schindling, Dr. Ulrich A. Wien. Foto: DR
Am zweiten Tag lag ein Fokus auf Siebenbürgen. Dr. Ulrich A. Wien von der Universität Koblenz-Landau sprach über „Politik – Macht – Glaube. Kontroversen, Konflikte und Konsensbemühungen in Siebenbürgen zwischen Landeskirche und Nationsuniversität von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts“. Der Vorsitzende des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde ging auf den Unterschied zwischen Königsboden und Komitatsboden sowie die Spannungen zwischen weltlicher und geistlicher „Universität“ ein, die in den Bemühungen um eine kirchliche Hochschule im 18. Jahrhundert gipfelten. Der Vortrag „Richtungskämpfe in der jungen sächsischen Kirche Siebenbürgens (1550-1600)“ von Dr. Edit Szegedi, Historikerin an der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg, begann mit der Feststellung, dass die Richtungskämpfe streng genommen bis zur 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts gedauert hätten, und machte deutlich, wie viele verschiedene konfessionelle Strömungen in der reformatorischen Zeit unter einen Hut gebracht werden mussten. Die Reformation in Kronstadt, so Szegedi, sei theologisch offen gewesen und Honterus könne nicht konfessionell festgelegt werden. Man sprach zunächst von einer „Kirche Wittenbergischer Prägung“, der Begriff „Lutherische Kirche“ wurde erst ab 1615 gebräuchlich. Prof. Dr. Krista Zach aus München beschloss den siebenbürgischen Reigen mit dem Vortrag „,Volkskirche‘ in Siebenbürgen im 19. Jahrhundert und am Anfang des 20. Jahrhunderts zwischen Differenzierung und Integration“, in dem sie den historisch problematischen Begriff „Volkskirche“ analysierte und sich dabei auf eine populärwissenschaftliche Schrift von Adolf Schullerus aus dem 19. Jahrhundert stützte. Leider war die Zeit so knapp, dass sie gezwungen war, ihre Ausführungen auf ein Minimum zu reduzieren – zu diesem Thema muss man das Erscheinen des Tagungsbands Ende 2013 abwarten.

Die Abendveranstaltung bestritt Prof. Dr. Volker Leppin von der Universität Tübingen. Im gut besuchten Großen Senat referierte der Kirchenhistoriker über „Luthers und Melanchthons theologische Wirkung in europäischer Perspektive“. Dass er fesselnd erzählen kann, wissen jene, die seine hochgelobte Luther-Biographie (2006) gelesen haben; alle anderen konnten sich an diesem Abend davon überzeugen. Er konzentrierte sich in seinen Ausführungen ganz auf Siebenbürgen und die von Dr. Edit Szegedi thematisierten Richtungskämpfe in der siebenbürgischen Kirche des 16. Jahrhunderts, den Streit um die Ausrichtung des Abendmahls und die „konfessionelle Selbstunterscheidung“ sowie die Rezeption der verschiedenen Fassungen der Confessio Augustana (variata und invariata). Den 2012 erschienenen Band „Das Fürstentum Siebenbürgen. Das Rechtsgebiet und Kirche der Siebenbürger Sachsen“ aus der Reihe „Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts“ würdigte er als wertvolle Quelle – auch für zukünftige Forschungen.

Der dritte Tag widmete sich dem Schwerpunkt Slowakei und schloss mit dem Vortrag „Luther und Melanchthon in der ungarischen Erinnerungskultur vom 19. bis zum 21. Jahrhundert – aus Sicht der Kunstgeschichte“ von Dr. Béla László Harmati, Direktor des Evangelischen Landesmuseums Budapest.

In der Schlussdiskussion bemerkte Prof. Dr. Nicolette Mout von der Universität Leiden schmunzelnd, dass es die Richtungskämpfe zum Glück nur in den Quellen und – trotz heikler Themen – nicht unter den Tagungsteilnehmern gegeben habe; das sei aus ihrer Erfahrung nicht selbstverständlich. Die bestens organisierte, international und interdisziplinär besetzte Tagung bot reichlich Stoff für Diskussion, Austausch und zukünftige Forschungsvorhaben.

Doris Roth

Schlagwörter: Luther, Tagung, Reformation, Tübingen

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