12. Januar 2013

Tagung: Facetten siebenbürgischer Musikgeschichte

Die deutsche Musikforschung hat nach wie vor große Probleme, den Blick auf die Deutschen in Südosteuropa zu richten, was natürlich mit unserer Geschichte im 20. Jahrhundert zu tun hat. Sollen wir uns überhaupt noch damit befassen, da ja spätestens nach der Wende der große Exodus dazu geführt hat, dass sich eine deutsch geprägte Kultur in Siebenbürgen, im Banat, in der Batschka und anderswo demnächst von selbst erledigt? Dr. Franz Metz entgegnet ein entschiedenes „Ja. Durch die EU-Erweiterung in Richtung Südosten bestehen reelle Chancen für eine ehrliche Kulturforschung, auch im Bereich der hier lebenden Minderheitenkulturen.“ (Bericht über das internationale musikwissenschaftliche Symposium 6.-9. September 2003 in Hermannstadt).
Es sieht so aus, als würde die Musikforschung ein solches Votum aufgreifen. Zumindest kann man diesen Eindruck gewinnen, wenn man sieht, dass bei der Tagung in Bad Kissingen Wissenschaftler referierten, die ungarischstämmig sind oder Amerikaner sind und aus der Pfalz kommen. Mit ihrem unverstellten Blick holen sie Aspekte ans Tageslicht, die für die Seminarteilnehmer neu und anregend waren. Zeitweilig von Dr. Ulrich A. Wien, dem Vorsitzenden des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, moderiert, entfaltete sich ein breites Spektrum der Musikgeschichte und -praxis Siebenbürgens vor den Teilnehmern der Tagung.

So hat Dr. Tamás Szöcs in Wien ein unveröffentlichtes Manuskript einsehen können, in dem der Forscher E. H. Müller von Asow (1892-1964) sich in den dreißiger Jahren mit der Musikgeschichte Siebenbürgens bis 1800 befasst hat („Geschichte der Musik bei den Siebenbürger Sachsen“). Selbst wenn die Person Müller von Asow mit Vorsicht betrachtet werden muss, da er sich während des Dritten Reichs weit aus dem nationalsozialistischen Fenster gelehnt hatte, so ist diese Arbeit doch frei von jeglicher Einseitigkeit oder Polemik und enthält umfangreiche Forschungsergebnisse.

Die Amerikanerin Greta Konradt befasste sich mit den Passionsmusiken in Siebenbürgen. Das ergab einen Streifzug durch die Entwicklung der Kirchenmusik, die sich sehr an die reformationszeitliche Passionsmusik Kursachsens anlehnte, aber doch auch Eigenständigkeiten bewahrte, indem sie nicht alles übernahm, was in Deutschland „neu“ war. Die bewahrenden Kräfte wirkten insbesondere in sächsischen Dörfern, wo im Unterschied zu den Städten die Jahrhunderte alte Musikpraxis – mit leichten Modifikationen – bis zum Ausgang des 20. Jahrhunderts durchgehalten wurde (Beispiel Großpold).

Dr. Wolfgang Sand sprach über das Musikleben in ...
Dr. Wolfgang Sand sprach über das Musikleben in Kronstadt. Foto: Ulrich Wien
Dr. Wolfgang Sand stellte eine Art Fortsetzung der Geschichtsschreibung Müller von Asows vor: Er hat sich mit dem vielfältig diversifizierten Musikleben in Kronstadt im 19. Jahrhundert befasst. Und da geht es nicht nur um die Musik in der Schwarzen Kirche, sondern um die Bildung der Männergesangvereine, um den Frauenchor, um die Gründung der Philharmonischen Gesellschaft (1878) und die Aufführung von Kammermusik, die der Kirchenmusiker und Komponist Rudolf Lassel organisierte. Alles in allem also um das ganz normale Musikleben in einer bürgerlichen Stadt des 19. Jahrhunderts, so wie es auch in Deutschland und Österreich stattfand.

Wenn man sich so intensiv mit der Theorie befasst, ist es eine Freude, auch die Musik selbst zu Wort kommen zu lassen. Annette Königes (Gesang) und Prof. Heinz Acker stellten Lieder der Sachsen in der Mundart vor, vom Mittelalter bis zum Kunstlied des 19. Jahrhunderts, das durch einen angenehm modernen Klaviersatz nicht nostalgisch daherkam. Eingebettet wurde das Ganze in eine lockere und doch substanzreiche Moderation, die so einiges über die Geschichte des Volkslieds in Siebenbürgen enthielt.

Weitere musikalische Beiträge erhielten die Seminarteilnehmer durch die Organistin Ilse-Maria Reich. Sie stellte ein mit lang anhaltendem Applaus bedanktes, farbig registriertes, vielfältiges Konzertprogramm in einem reinen Orgelkonzert mit Werken siebenbürgischer Komponisten wie Waldemar von Baußnern, Franz Xaver Dressler, Horst Gehann, Wilhelm Georg Berger und Rudolf Lassel vor. Wie sehr diese Komponisten von der Entwicklung in Deutschland geprägt waren (wo sie herkamen oder zumindest studiert hatten), zeigte die Gegenüberstellung mit je einem Werk von Johann Sebastian Bach und Felix Mendelssohn-Bartholdy.

Sehr kenntnisreich und aus eigener Erfahrung erzählte der Hermannstädter Orgelbauer Hermann Binder von der Geschichte der siebenbürgischen Orgeln: dass die älteste bereits 1226 nachgewiesen ist, dass die älteste noch existierende Orgel in Reps aufgestellt wurde (wohl vor 1668), was ein „Orgelschrei“ ist und wie viele kunstvolle Schnitzereien noch heute an den Instrumenten zu bewundern sind.

Der Kronstädter Kantor Steffen Schlandt berichtete von seinen Bemühungen, die nach dem Krieg zerstörte Musikbibliothek wieder zusammenzufügen, um den Rest wenigstens zu retten. Das ist eine mühsame Arbeit, bei der zu befürchten steht, dass die Musikwerke (Notenmaterial) kaum noch komplett zu rekonstruieren sind.

Wie es trotz aller politischer Schwierigkeiten in den 50er und 60er Jahren immer wieder, auch in den Dörfern, einzelne Menschen gab, die Kultur „lebten“ und damit einen großen Einfluss auf die Jungen in ihrem Umfeld ausübten, davon erzählte sehr farbig der langjährige erste Solo-Cellist der Berliner Philharmoniker, Götz Teutsch. Sein Weg zur Musik und zur Literatur führte in seinem Geburtsort Reps über den Apotheker des Ortes, Walther Mederus, bei dem er die ersten Cellostunden bekam und der ihm durch das praktische Spielen von Kammermusik und seine enormen Kenntnisse die Begeisterung und das Verständnis für die Musik einpflanzte, das für seine weitere Karriere von wesentlicher Bedeutung war.

Die rundum gelungene Tagung hat auf hohem Niveau sowohl geistig angeregt als auch das Thema nicht nur akademisch, sondern auch abwechslungsreich praktisch präsentiert. Ihr ist eine Fortsetzung zu wünschen.

Elisabeth Deckers

Schlagwörter: Musikgeschichte, Tagung, Bad Kissingen

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Neueste Kommentare

  • 12.01.2013, 21:05 Uhr von bankban: Falscher Titel. Treffender wäre: "Facetten siebenbürgisch-sächsischer Musikgeschichte". Denn von ... [weiter]

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