5. September 2013

Literatur und Zeitgeschichte: Neues Heft der „Spiegelungen“

Heft 2/2013 der vom Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS) herausgegebenen Vierteljahresschrift "Spiegelungen" eröffnet mit lesenswerten literarischen Texten unterschiedlicher Genres.
In dem Fragment aus dem Roman Los, klauen wir Melonen von Nora Iuga gestaltet die bekannte rumänische Autorin und Übersetzerin deutscher Literatur auf mehreren Zeitebenen teils beklemmende Lebenssituationen ihrer Hauptfigur, die ebenfalls Nora heißt und Geschehnisse aufleben lässt, die in die Bukarester Vorwendezeit zurückführen, aber auch die Gegenwart tangieren. Die bekannte Berliner Romanistin Anke Pfeifer übersetzte den Text. Ebenfalls einem Roman, Die falschen Fuffziger, sind die zwei Fragmente entnommen, in denen der Temeswarer Prosaautor Robert Schiff (München) ironisch grundiert von erotischen wie auch politischen Bedrängnissen erzählt, die seinem Haupthelden in eben jenen fünfziger Jahren zu schaffen machen.

Eine „Rückkehr ohne Gepäck“ thematisieren Gedichte von Kristiane Kondrat (Augsburg), der unter diesem Wahlnamen in Deutschland publizierenden Reschitzaerin Luise Fabri, die in ihrer Lyrik märchenhaft-bildhaft einstige heimatliche Lebensumwelten evoziert. In ihrer Weise eine Rückkehrerin ist auch Diana Feuerbach (Leipzig), Kind vertriebener Ungarndeutscher, die im Erzgebirge zur Welt kam und in Chemnitz aufwuchs. Ihre Prosa handelt von einer Reise nach Fünfkirchen/Pécs, die sie in die neugierig erkundete Herkunftslandschaft ihrer Vorfahren führte und eine Willkommensbegrüßung (Üdvözöljük!) ganz besonderer Art für sie bereithielt.

In der anschließenden Rubrik „Literaturwissenschaft“ widmet sich Ute Weidenhiller (Rom) eingehender dem neuesten Buch Herta Müllers, ihrer Collagen-Sammlung Vater telefoniert mit den Fliegen (Hanser, 2012). In diesen „Wort-Bild-Gedichten“ präsentiere sich dem Leser „eine groteske und oft spiegelverkehrte Welt“. Bedrohung und Gespaltenheit seien der Grundtenor der Collagen in den Worten wie auch den Bildern. Insgesamt fünfzehn Neuerscheinungen der Bereiche Belletristik, Geschichte und Ethnografie werden in dieser Ausgabe der Spiegelungen besprochen. Der „Lexikon“-Artikel der Zeitschrift, gezeichnet von Paul Tischler (München), ist dem deutsch-jüdischen, im Pressburger Land geborenen Lyriker, Erzähler, Übersetzer und Journalisten Hermann Adler (1911–2001) gewidmet.

Ortfried Kotzian (Augsburg), langjähriger Direktor des Hauses des Deutschen Ostens München, legt einen farbigen Erinnerungsbericht über eine Rumänien-Reise vor, die er im Sommer 1986 gemeinsam mit einer Besuchergruppe aus Deutschland unternahm, der als prominentester Mitreisender der bekannte Kinderbuchautor Otfried Preußler (1923–2013) angehörte. Der Schriftsteller unternahm diese Reise nicht zuletzt auch darum, weil er die ihm zustehenden Tantiemen für eine Lizenzausgabe des Räuber Hotzenplotz im Bukarester Kriterion-Verlag den damaligen Bestimmungen zufolge nur in Rumänien verbrauchen durfte. Die Route der Gruppe führte über Temeswar, wo Kontakte zur Neuen Banater Zeitung aufgenommen wurden, durch das Banat (Guttenbrunn, Lenauheim) nach Siebenbürgen, u. a. in die Redaktion der Kronstädter Karpatenrundschau, und nach Bukarest. Immer wieder werden in dem Bericht auch Eindrücke vom Alltagsleben und der Elendslage der Bevölkerung in dem kommunistisch regierten Land vermittelt.

Unter dem Titel Nieder mit dem Schlächter untersucht Friederike Mönninghoff (Bremen) die Wahrnehmung Rumäniens und der Revolution von 1989 im Spiegel der deutschen Medien am Beispiel der Süddeutschen Zeitung, der Bild-Zeitung und des Wochenmagazins Der Spiegel, beginnend mit den Protestversammlungen in Temeswar bis hin zur Erschießung des Diktatorenehepaares Ceaușescu und zu der Zeit unmittelbar danach. Während Enikő Dácz (Budapest) sich mit der Kronstädter Zeitung am Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigt (Der Erfolg eines „programmlosen“ Blattes), liefert Juliane Brandt (München) eine größere statistische Untersuchung über Konfessionalität und Beschäftigung in Kaschau um 1900, mit der sie an ihren im vorangegangenen Heft der Spiegelungen veröffentlichten Beitrag über Kaschau und seine Sprachen um die Jahrhundertwende anknüpft. Jan Schrastetter (Pressburg/Bratislava) stellt „Cassovia Digitalis“ vor, ein internationales Digitalisierungsprojekt zum europäischen Kulturhauptstadtjahr Kaschau 2013. Den größten Teil des Materials, das dem Benutzer so zur Verfügung gestellt wird, machen mit etwa 123 000 Seiten die Periodika aus, darunter die Kaschauer Zeitung (1872–1914), deren rund 52 000 Seiten sogar volltextdurchsuchbar sind. Ausführlich wird über die internationale Tagung über Parlamentarier der deutschen Minderheiten in Europa in der Zwischenkriegszeit berichtet, die im April am Historischen Seminar der Universität Mainz stattfand. In der von Hans-Christan Maner moderierten Sektion über deutsche Parlamentarier in Südosteuropa legten Gerald Volkmer (München) und Vasile Ciobanu (Hermannstadt) einschlägige Referate über Rumänien, Zoran Janjetović (Belgrad) über Jugoslawien und Juliane Brandt über die Slowakei vor.

Unter dem Titel Germanist in zwei Welten würdigt Spiegelungen Prof. h. c. Dr. Stefan Sienerth zum 65. Geburtstag. Eduard Schneider umreißt die Tätigkeit des langjährigen Wissenschaftlichen Mitarbeiters und Direktors des IKGS, der Ende Mai 2013 in den Ruhestand trat. Der gebürtige Siebenbürger Sachse Stefan Sienerth, Honorarprofessor der Universität Bukarest (2002), der seine Laufbahn in Lehre und Forschung in Rumänien begann, konnte diese Arbeit nach seiner Ausreise 1990 am Münchner Südostdeutschen Kulturwerk, dem heutigen Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München, das er ab 2005 leitete, fortsetzen. Sienerth, so wird hervorgehoben, wirkte vor allem als Literaturwissenschaftler und verfasste grundlegende Werke zur Geschichte der siebenbürgisch-deutschen Literatur. Dafür wurde er 2010 mit dem Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis ausgezeichnet (gemeinsam mit Peter Motzan). Seinen Interview-Band „Dass ich in diesen Raum hineingeboren wurde“ (1997; 2006), der rund zwanzig Gespräche mit deutschen Schriftstellern aus Südosteuropa umfasst, bezeichnete die Frankfurter Allgemeine Zeitung als „ein schicksalsschweres Buch“.

Auslieferung, Vertrieb und Abonnementbetreuung erfolgt über: Intime Services GmbH, Postfach 13 63, 82034 Deisenhofen, Telefon: (0 89) 85 70 91 12. Preis: Einzelheft 6,15 Euro (zuzüglich Porto und Versand), Abonnement 22,50 Euro (einschließlich Porto und Versand).

Schlagwörter: Spiegelungen, IKGS, Südosteuropa

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