18. Februar 2014

Beeindruckender Liederabend in Bamberg

Mit einem musikalisch hochrangigen Kunstgenuss eröffnete das Bamberger „Kulturecho Ost-West“ – trotz des Überangebots an kulturellen Ereignissen – bei voll besetztem Saal des Studio 13 seine erste Veranstaltung. Das abendfüllende Programm enthielt den Liederzyklus „Winterreise“ von Franz Schubert (1797-1828) auf Texte des Dichters Wilhelm Müller (1794-1827). Die Interpreten waren der Bariton Christoph Reich und Ilse Maria Reich am Klavier.
Der Zyklus dieser „schauerlichen Gedichte“ hat Schubert mehr angegriffen, als dies je bei seinen anderen der Fall war. Aus der bloßgelegten Emotionalität der Gedichte und ihrer durch Schubert sensibel differenzierten wie genialen Vertonung schimmert jene dialektische Lebensauffassung der Romantik durch, die eine Verstärkung des Lebens durch den Tod erkennt. Die Winterreise, als Monolog eines in der Liebe verwundeten trostlosen, tieftraurigen Menschen, könnte nicht trefflicher durch den Satz Sigmund Freuds erfasst werden: „Niemals sind wir ungeschützter gegen Leid, als wenn wir lieben, niemals hilfloser unglücklich, als wenn wir das geliebte Objekt oder seine Liebe verloren haben.“ Die real erlebte Situation wird vom Dichter so intensiv verinnerlicht, dass er die Grenzen zwischen Innen- und Außenwelt aufzuheben beginnt: Naturphänomene wie Eis und Schnee, Wind, Sturm, Bach, Fluss, Irrlicht, Lindenbaum oder Werke des Menschen wie Wetterfahne, Wegweiser, Totenacker verwandeln sich in Ausdruck eigener innerer psychischer Befindlichkeit und Hoffnungslosigkeit. In der Verzweiflung über die eigene Orientierungslosigkeit, Entfremdung und Gefühlskälte verzehrt sich das Ich. Ein paar Träume werden zugelassen: „Ich träumte von Lieb und Liebe, von einer schönen Maid, von Herzen und von Küssen, von Wonne und Seligkeit“ (Frühlingstraum). Dass sich der verwundete Liebende aber etwas vormacht, erkennt er hellsichtig mit spürbaren Minderwertigkeitsgefühlen: „Ihr lacht wohl über den Träumer, der Blumen im Winter sah“; „Nur Täuschung ist für mich Gewinn!“ (Täuschung). Eine seltsame Kritik übt er an sich selbst: dass seine Tränen, obwohl „so glühend heiß“ aus der Brust dringend, doch nur so lau sind, dass sie zu Eis erstarren (Gefrorene Tränen).

Bereits im ersten Lied Gute Nacht gelang es dem Bariton Christoph Reich, sich in souveräner Manier mit der inhaltlichen Aussagekraft und Gemütstiefe des Wanderer-Gedichtes „Fremd bin ich eingezogen, Fremd zieh' ich wieder aus“ vollauf zu identifizieren und mit sprachlich eindringlicher Intensität und tonlich klangvoll-ausgereifter Bariton-Stimme seine ausgeprägte musikalische Sensibilität temperamentvoll gestaltend in die bezaubernde Schubertsche Tonsprache umzusetzen, die gleich zu Beginn die Zuhörerschaft in seinen Bann zog. In harmonischem Einklang mit der Singstimme, im Besitz einer beachtenswerten pianistischen Klangkultur, gestaltete die Organistin und Pianistin Ilse Maria Reich in feinsinniger wie temperamentvoller Ausführung den ergänzenden Klavierpart. So verdichtete sich der „Winter“ in seiner dichterisch-musikalischen Vertonung als Grundmetapher eines Zustandes der Einsamkeit, Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit, die den gesamten Zyklus zu einem beeindruckenden dramatischen, dichterisch-musischen Erlebnis werden ließ. Vor allem in den letzten zwölf spannungsgeladenen Liedern nach der Pause, u.a. Die Post, Die Krähe, Letzte Hoffnung, Der stürmische Morgen, Der Wegweiser, Das Wirtshaus, Mut und Die Nebensonnen erhielten diese durch die beiden Interpreten Christoph und Ilse Maria Reich eine überragende interpretative Aussagekraft, um mit dem abschließenden Lied Der Leiermann – zu dessen Liedern Schubert keine Musik mehr machen kann und mit einer eintönigen melodischen Floskel den leeren Bordunklang der ­Drehleier umspielt – den Zyklus in emotional verhaltener Stille ausklingen zu lassen.

Langanhaltender Applaus des begeisterten Publikums belohnte diese hochrangige Leistung beider Interpreten, die diesen Liederabend noch in unterhaltsamer Runde bei einem zur Tradition gewordenen Glas Rotwein und belegten Brötchen gemeinsam feierten. Dies taten sie in ehrfurchtsvoller künstlerischer Anerkennung anlässlich des Geburtstags Franz Schuberts am 31. Januar.

Peter Szaunig

Schlagwörter: Musik, Konzert

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