31. Mai 2014

Erzähler, Graphiker, Schauspieler und Lebenskünstler: Gregor von Rezzori zum 100. Geburtstag

Am 13. Mai hat sich der Geburtstag von Gregor von Rezzori zum 100. Mal gejährt. Es ist etwas still um den großen Erzähler geworden, dessen „Maghrebinische Geschichten“ in den Nachkriegsjahren ein Millionenpublikum begeisterten. Rezzori gilt als einer der letzten großen Zeitzeugen einer untergegangenen Epoche, der bunten und schillernden k.u.k.-Zeit im Osten Europas. Er bezeichnete sich selbst als „Epochenverschlepper“. Er hat es – wie kaum ein Zweiter – verstanden, die Besonderheiten und Merkwürdigkeiten dieser ausklingenden Epoche „Kakaniens“ (nach Robert Musil) mit spitzer Feder und humorvollem Augenzwinkern einzufangen.
Geboren wurde Rezzori nach eigener Aussage „im letzten Zipfel der einstigen k.u.k. Monarchie“, in Czernowitz, dem kulturellen Zentrum der Bukowina, das gerne auch als „Klein Wien“ oder auch „Jerusalem am Pruth“ bezeichnet wurde und in dem ein buntes Völkergemisch von unterschiedlichen Volksgruppen (Ukrainer, Russen, Rumänen, Polen und vor allem Juden etc.), Ethnien, Religionen und Weltanschauungen den Nährboden für eine ebenso vielfältige und bunte Kulturlandschaft boten. „Außer mir – sagt Rezzori augenzwinkernd – sind noch viele Große dieser Landschaft entsprungen: ein Paul Celan, Rose Ausländer, der Filmmogul Preminger u.v.a.m.“, die alle von der kulturellen Vielfalt dieser Region geformt sind.

Neuerscheinung in der Editura ...
Neuerscheinung in der Editura Universității „Alexandru Ioan Cuza“, Jassy, bzw. Hartung-Gorre Verlag Konstanz, 2013, 39,90 Euro, ISBN 978-973-703-921-7 bzw. 978-3-86628-468-5
Auch Rezzoris Kindheit, dessen Stammbaum von Sizilien über Norditalien bis Wien reichte, wird in Czernowitz von ganz unterschiedlichen Einflüssen geprägt. Es sind insbesondere fünf Gestalten – so erzählt er in seinem Roman „Blumen im Schnee“ –, die ihn in unterschiedlicher Weise prägen: neben den Eltern, einem etwas verstiegenen staatsbeamteten Vater und einer zartbesaiteten Mutter, und einer privilegierten älteren Schwester ist es vor allem seine huzulische Amme, genannt Kassandra, die mit ihrer bunten Phantasie- und Flickensprache seine Liebe zum Fabulieren weckt und insbesondere „Straußerl“ (Lina Strauß), eine weltgewandte Gouvernante, die bereits die Begleiterin Marc Twains gewesen war. Die Schulzeit aber verbringt Gregor in Siebenbürgen, denn der Vater misstraut den „Balkanisierungstendenzen“ der neuen Machthaber. Die Bukowina war nach dem 1. Weltkrieg von Rumänien annektiert worden. Die einzigen verlässlichen deutschen Schulen des neuen Großreiches waren – so der Vater – nur in Siebenbürgen zu finden. In seinen Memoiren spricht Rezzori mit großer Hochachtung von den Kulturleistungen der Siebenbürger Sachsen und erinnert sich dankbar an seine Schulzeit am Kronstädter Honterusgymnasium, denn sie prägt ihn weiter im Sinne westlicher Kultur. Das ändert sich schlagartig, als der Neunzehnjährige zum Studium nach Bukarest kommt (aus dem dann allerdings eine Ausbildung als Gebrauchsgraphiker wird) und hier eine völlig andere Welt kennen lernt, die ihn auf Anhieb fasziniert. Es ist das lotterig Balkanische dieser Stadt, mit ihrem bunten Völkergemisch, die Fusion des Abendlandes mit dem Orient, die ihn gefangen nimmt und zum „Maghrebinier“ konvertieren lässt. Hier sammelt er all die skurrilen Erfahrungen, die er später genussvoll erzählerisch in seinem erfundenen Land „Maghrebinien“ ansiedelt (ein fiktives Land, in dem man aber unschwer das rumänische Altreich wiedererkennen kann). Mit diesen schnurrigen „Maghrebinischen Geschichten“, die zunächst als Sendungen des NDR im lockeren Erzählton des Autors ausgestrahlt wurden, ist Rezzori schlagartig berühmt geworden. Gleichzeitig sind sie auch zum Verhängnis dieses Schriftstellers geworden, dem fortan das Etikett des schlitzohrigen Entertainers anhing. Rezzori aber wollte mit seinen großen Romanen – etwa „Oedipus siegt vor Stalingrad“ oder „Der Tod meines Bruders Abel“ – als ernstzunehmender Schriftsteller wahrgenommen werden, was nur zum Teil gelang. Dieser stets elegant erscheinende Grandseigneur war ja auch schwer einzuordnen: als Schriftsteller so unterschiedlicher Werke (die doch alle in hohem Maße autobiographisch waren), als begabter Graphiker und Illustrator seiner eigenen Werke, als anerkannter Schauspieler, der mit Größen wie Marcello Mastroianni und Brigitte Bardot drehte („Vie privée“, „Viva Maria“) und letztlich als fantasiereicher Lebenskünstler, dem es gelungen war, sich durch alle Unwegsamkeiten der Kriegs- und Nachkriegszeit als staatenloser Weltbürger (sein Heimatland gab es nicht mehr) unbeschadet hindurch zu lavieren, um seinen Lebensabend schließlich in der Zurückgezogenheit seines toskanischen Landsitzes mit Grandezza und Stil 83-jährig (1998) zu beenden. Ein Freigeist, der nach dem Motto lebte, „wenn man sich zu benehmen weiß, kann man sich benehmen, wie man will“. Die emanzipierte Frauenbewegung hatte kein Verständnis für den Frauenheld alten Schlages, der drei Mal verheirat war und der von sich behauptete, er habe mit einem männlichen Heuschreck mehr Gemeinsamkeit als mit einer Menschenfrau, die etwas völlig anderes wäre, vor deren Wunder er sich aber verneige. Sein galanter Handkuss für Alice Schwarzer habe ihm bei einer Talkshow beinahe „eingeschlagene Zähne“ gekostet, berichtet amüsiert der Bonvivant. Mit seinen Spätwerken „Greisengemurmel“ und „Mir auf der Spur“ hat Rezzori dann doch noch so etwas wie eine Autobiographie vorgelegt, in der er die Welt mit ironischem Augenzwinkern reflektiert. Im inszenierten Rezzorischen „Geschlechterkampf“ setzen wir uns – meine Frau und ich – schon seit Jahren mit Vorträgen für das Werk dieses oft Verkannten ein und können nur empfehlen: Wer in diese vergangene bunte Welt eintauchen will, darf lustvoll zu den Büchern dieses „Epochenverschleppers“ greifen.

Prof. Heinz Acker


Schlagwörter: Porträt, Geburtstag, Schriftsteller, Buch

Bewerten:

243 Bewertungen: ––

Neueste Kommentare

  • 31.05.2014, 10:56 Uhr von ClamoInvano: Große Gefühle, Zärtlichkeit, affektiertes Pathos, mit vielen Adjektiven gesäumte Texte und immer ... [weiter]
  • 31.05.2014, 09:56 Uhr von bankban: Seltsam (und bezeichnend?), dass die besten Artikel in der SbZ derzeit solche melancholisch ... [weiter]

Artikel wurde 2 mal kommentiert.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.