18. Juni 2014

Podiumsdiskussion in Dinkelsbühl über "Heimat ohne Grenzen"

Dinkelsbühl – Auf dem Programm des Heimattages steht am Pfingstmontagvormittag traditionell die Podiumsdiskussion. Die Stuhlreihen im Kleinen Schrannensaal waren voll besetzt, als Dr. Dr. Gerald Volkmer, Stellvertretender Direktor des in Oldenburg ansässigen Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, die Podiumsteilnehmer vorstellte und in das Thema einführte: „Heimat ohne Grenzen“. Die Diskussionsteilnehmer am Podium waren Werner Hans Lauk, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Bukarest, Dr. Hans-Georg Franchy, Vorsitzender der HOG Bistritz-Nösen, Bettina Mai, Vorstandsmitglied der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend in Deutschland (SJD) und von Studium Transylvanicum, sowie Robert Sonnleitner, Internetreferent des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland.
In seiner Anmoderation versuchte Gerald Volkmer das amorph anmutende Thema griffiger zu machen per Definition des Heimatbegriffes. Unter Zuhilfenahme verschiedener Brockhaus-Bände referierte der Historiker, was in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, was im ausgehenden 20. Jahrhundert unter „Heimat“ zu verstehen gewesen sei: der Herkunftsort (auch die Landschaft) eines Menschen, wo seine frühe Sozialisation einhergehend mit sinnlich-haptischen Erfahrungen erfolgte, wo Identität und Mentalität, Einstellung und Weltauffassung sich von Kindheit an ausprägten. Der Begriff „Heimat“ lasse sich in seiner räumlichen, zeitlichen, sozialen, kulturellen, emotionalen oder juristischen Dimension (Stichwort Heimatrecht) ausleuchten, so Volkmer, jedoch ohne die Konnotation des im Diskussionsthema verwendeten Begriffes „Grenzen“. Mit dem Verweis auf einen Beitrag von Georg Aescht, „Mit der Heimat wird man nicht fertig“, leitete der Moderator über zu den Eingangsstatements der Podiumsteilnehmer.

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Bettina Mai machte den Anfang. Die 28-Jährige studiert in München Europäische Ethnologie mit dem Nebenfach Rumänisch und plant einen Studienaufenthalt in Klausenburg. Ihr Beitrag wies sie als Vertreterin einer Generation von jungen Menschen aus, deren Eltern aus Siebenbürgen stammen, die, selbst dort vielleicht noch geboren, in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert sind. Aus Sicht der „Einheimischen“ sei man aufgrund der Aussprache, von Traditionen, Bräuchen „nicht ganz deutsch“, man empfinde sich aber „auch nicht ganz siebenbürgisch-sächsisch“. In Siebenbürgen müsse sie sich für die Auswanderung rechtfertigen, hier für das ins Auge gefasste Studium in Rumänien. „Grenzen und Grenzlinien beginnen im Kopf“, meinte Mai, die dafür plädierte, dass im 21. Jahrhundert jeder Mensch mehrere Heimaten besitzen könne. Der Wegfall der Grenzen und der EU-Beitritt Rumäniens vereinfachten heute die Identität eines Grenzgängers, der sich trotz Lebensmittelpunkt in Deutschland auch in Siebenbürgen aufhalte.

Werner Hans Lauk leitet die deutsche Botschaft in Bukarest seit knapp einem Jahr. Die deutsche Minderheit und mithin auch die Siebenbürger Sachsen würden nach einer aktuellen Umfrage des Rumänischen Instituts für Evaluierung und Strategie (IHRES) in Rumänien eine hohe Wertschätzung genießen. Das gelte insbesondere auch für deutsche Schulen und den dort in deutscher Muttersprache angebotenen Unterricht. Deshalb appellierte Botschafter Lauk mit großem Nachdruck: „Wir müssen zusammenwirken, dass die jahrhundertealte kultur- und bildungsgeschichtliche Tradition der Siebenbürger Sachsen erhalten bleibt“, auch für die Mehrheitsbevölkerung. Dazu müsse die Lehrerfortbildung intensiviert und die Lehrergehälter angehoben werden. Dieses Engagement sei „wichtig für das friedliche Zusammenleben in Europa“.
Dr. Dr. Gerald Volkmer (Dritter von links) ...
Dr. Dr. Gerald Volkmer (Dritter von links) moderierte eine lebendige Podiumsdiskussion im Kleinen Schrannensaal. Die weiteren Podiumsteilnehmer, von links: Dr. Hans-Georg Franchy, Botschafter Werner Hans Lauk, Bettina Mai und Robert Sonnleitner. Foto: Christian Schoger
In seinem thesenartigen Beitrag betrachtete Robert Sonnleitner das grenzenlose weltweite Netz als Heimat, denn „auch im Internet kann man Siebenbürger Sachse sein“. Heimat sei ein sozialer Raum und vor allem ein Gefühl, bestehe aus Freundschaften, Bekanntschaften, Nachbarschaft. Sonnleitner wies auf Mentalitätsänderungen hin, die mit der Globalisierung einhergingen: „Geografisch, beruflich, geistig, kulturell sind wir mobil.“ Das Internet ermögliche den Netzbürgern „permanente Kontaktpflege“, in unserer zunehmenden Single-Gesellschaft „besteht die Familie aus tausend Freunden“. Der Webexperte lieferte auch mittels bewusst provokanter Zuspitzungen reichlich Diskussionsstoff.

Heimat als Gefühl – diesem Ansatz vermochte Hans-Georg Franchy einiges abzugewinnen. Heimat bedeute Geborgenheit. Als sich vor 70 Jahren der Treck der Nordsiebenbürger Sachsen in Bewegung setzte, sei die Geborgenheit verloren gegangen. Der Heimatverlust sei gleich einer Amputation eine traumatische Erfahrung gewesen. Inzwischen hätten die Landsleute „eine neue Heimat gefunden“: „Wir sind angekommen und angenommen!“ Die Heimatortsgemeinschaften spielten eine wichtige Rolle im Zusammenleben der Siebenbürger Sachsen, also auch Heimattreffen und Heimatbücher. Es sei nun unsere Aufgabe, das hinterlassene kulturelle Erbe zu bewahren, darunter über 150 Kirchenburgen, In diesem Zusammenhang appellierte Dr. Franchy: „Wir verschiedenen Ethnien müssen nicht wie bisher nebeneinander, sondern miteinander leben.“

Auf die Frage des Moderators, ob „Heimat als Gemeinschaft mit den Rumänen nur konstruiert, nicht praxisnah“ sei, erwiderte Hans-Georg Franchy, dass HOGs anlässlich ihrer Heimattreffen durchaus ins Gespräch mit den rumänischen Bewohnern kämen und dieser Austausch zur Normalität werden solle, so auch beim diesjährigen Sachsentreffen in Mühlbach. Bezug nehmend auf das Netz als virtuelle Heimat warnte Botschafter Lauk davor, dass das Internet mit all seinen Möglichkeiten gleichwohl nicht dazu führen solle, „dass sich Menschen nicht mehr physisch begegnen“. Bettina Mai betonte, dass junge Siebenbürger Sachsen sich nicht auf eine Heimat festlegen lassen und über die Integration hinaus nicht völlig assimilieren wollten. Robert Sonnleitner räumte ein, das Internet sei kein vollwertiger Heimatersatz, doch eine „ergänzende Dimension“.

Im weiteren Verlauf wurde das Saalpublikum in die Diskussion einbezogen. Aus Platzgründen können hier nur einige wenige Wortmeldungen berücksichtigt werden. Altbischof Christoph Klein sprach vom Haus als Metapher für Heimat, für die prägenden persönlichen Beziehungen, die Eltern, Erziehung, Schule, Freunde und Nachbarn. Heimat lasse sich „definieren als das, was man verloren hat, aber auch das, was man noch hat.“

Dr. Bernd Fabritius äußerte seine Freude über die beim Heimattag zu erlebenden Identitätsbekundungen jugendlicher Siebenbürger Sachsen (u.a. in Form von T-Shirt-Aufdrucken) und beklagte im Gegenzug abwertend gemeinte Zuschreibungen wie „Sommersachsen“. Auf die rhetorische Frage „Können wir mehrere Heimaten haben?“ antwortete der Bundesvorsitzende persönlich: „Ich habe nur eine Heimat, das Siebenbürgisch-Sächsische!“

Christel-Ungar Țopescu, Chefredakteurin der deutschen Sendung im rumänischen Fernsehen TVR, meldete sich kritisch zu Wort: „Dass Rumänen sich nicht verantwortlich fühlen für unsere Kirchenburgen“, daran seien die Siebenbürger Sachsen selbst schuld, die sich von der rumänischen Mitbevölkerung aus Ignoranz abgegrenzt hätten. Die Siebenbürger Sächsin ist verheiratet mit dem rumänischen Sportjournalisten Cristian Țopescu, dem im Vorjahr anlässlich einer Feier in der Kirchenburg Honigberg der Ehrentitel „Kulturbotschafter der Kirchenburgen“ verliehen wurde.

Die Stellvertretende Bundesvorsitzende Doris Hutter bat das Publikum um praktikable Vorschläge für die Verbandsarbeit. Es gab vielfältige Rückmeldungen. So wurde u. a. empfohlen, durch sachliche Informationsvermittlung dem in den Medien verbreiteten negativen Image Rumäniens entgegenzuwirken. Vor dem Hintergrund fehlender personeller Ressourcen warb Landeskirchenkurator Friedrich Philippi dafür, dass sich Siebenbürger Sachsen nach ihren Fähigkeiten persönlich in Siebenbürgen engagieren könnten, und verwies dazu auf die Jobbörse auf der Internetseite der Evangelischen Kirche, wo Gemeinden ihren konkreten Bedarf bekannt machten. Die intensive Heimat-Debatte erreichte nach zwei Stunden ihre zeitliche Grenze.

Christian Schoger

Schlagwörter: Heimattag, Dinkelsbühl, Podiumsdiskussion, Heimat

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