5. Juli 2014

„Ersatzleben der Heimatlosigkeit“: Norman Maneas Roman „Die Höhle“

Vorsichtig tastet sich der Roman von Norman Manea an seinen Erzähler heran. Erst liest man nur von einem Arm, der sich ein Taxi bestellt, dann wird dieser zum Passant erweitert, zum Schachspieler, zu Peter, zum Passant Peter, zum redseligen Fahrgast, zum Kranken, zum Patient, zum Gespenst, um schließlich zu seinem Namen Peter Gașpar zu finden. Doch damit wurde nur einer der mindestens drei Erzähler vorgestellt. Ein zweiter, aus dessen Perspektive auch in der dritten Person erzählt wird, ist der Professor Augustin Gora. Und der dritte schließlich, das ist die Ich-Person, die irgendwo mitten im Buch auftaucht und die übrigens auch das Schlusswort hat. Das ist der Namenlose.
Zusammengehalten werden sie alle drei, wie übrigens das ganze Buch, von der geheimnisumwitterten Lu. Ludmilla Gora ist die Frau des Professors Augustin Gora, die sich geweigert hat, mit ihm nach Amerika auszureisen, und die später mit ihrem Cousin Peter Gașpar in die neue Welt kommt. Sie taucht meist nur in Erzählungen und Traumszenen auf. Die Liebe zu ihr ist der gemeinsame Nenner, der die drei Erzähler des Romans vereint.

Ein anderer Faden, der den Roman zusammenhält und der mindestens genauso geheimnisvoll ist wie Lu, wäre Mihnea Palade. Dieser ist Universitätsprofessor und Schüler des berühmten Gelehrten Cosmin Dima. Er wird unter ungeklärten Umständen auf der Universitätstoilette ermordet. Peter Gașpar, der Erzähler, soll wiederum eine Rezension zu Dimas Buch schreiben und bekommt dann auch wie Palade Morddrohungen.

Viele Zutaten, um einen spannenden Roman zu schreiben, und „Die Höhle“ liest sich auch ganz gut. Griffige Sätze, viele Dialoge, ein flotter Stil und dann gibt es noch die Möglichkeit, sich gleich mit drei Erzählerfiguren zu identifizieren. „Unreliable narrator“ (246) nennt es Manea selbst im Text, den unzuverlässigen Erzähler. Während Gașpar und Gora recht ausgeprägt sind, muss man beim namenlosen Erzähler in der Ich-Form aufpassen, dass man ihn nicht überliest.

Das Buch selber kann auf mehrere Arten gelesen werden, entweder als halbfiktionaler Schlüsselroman, bei dem man den unglücklichen Mihnea Palade entlarvt als Ioan Petru Culianu (1950-1991), den Religionswissenschaftler und Schüler von Mircea Eliade, wobei Dima dann Eliade darstellen soll. Dabei muss aber gesagt werden, dass der Roman keine großen Enthüllungen präsentiert und man daher mit Ted Antons halbfiktionalem Buch „Der Mord an Professor Culianu“ vielleicht sogar besser bedient ist. Bei Manea geht es vielmehr um die Morddrohungen, die Peter Gașpar erhält und die er in Verbindung zu seiner kritischen Rezension zu Dima bringt, und es geht darum, was diese in ihm auslösen.

Oder – und das ist die ausgiebigere Variante – man liest „Die Höhle“ als Exilroman, in dem sich die drei Erzähler, inklusive Palade, die sich aus heimlichen Treffen in einer Mansarde in Bukarest kennen, nun in Amerika wiederfinden. Jeder ist dabei auf seine Weise in der neuen Welt gestrandet. Das autobiografisch angehauchte Grundthema – auch Manea lebt im amerikanischen Exil – ist dann nämlich das (Ersatz)Leben in Amerika und die Heimatlosigkeit, mit der die Protagonisten zurechtkommen müssen.

Gleichzeitig experimentiert Manea auch ein bisschen; nicht genug, um einen experimentellen Roman zu schaffen, aber doch so viel, dass er die realistische Erzählweise durchbricht. Nicht nur der Erzähler ist unzuverlässig, auch die Fiktion. Einerseits erzählt er realistisch, dann wiederum baut er Szenen aus der Erinnerung oder der Fantasie ein. Auch den Anfang des Buches erzählt er gleich zweimal. Das zweite Mal, etwas anders. Man hätte sich als Leser etwas deutlichere Experimentierfreude gewünscht, denn das ist das Neue am Roman.

Und streitbar ist das Buch. In den Teilen, in denen aus der Perspektive Gașpars geschrieben wird, werden Theorien verfochten, Thesen aufgestellt, interdisziplinäre Parallelen gesucht, von denen nur eine Borges Erzählung der „Tod und der Kompass“ ist.

Auf jeden Fall ist es ein interessantes und gut lesbares Buch, das in der Übersetzung von Georg Aescht im Hanser Verlag erschienen ist und einiges über die rumänische Diaspora in Amerika aussagt.

Edith Ottschofski


Norman Manea: „Die Höhle“, Roman. Aus dem Rumänischen von Georg Aescht, München, Carl Hanser Verlag, 2012, 368 Seiten, gebunden, 24,90 Euro, ISBN 978-3-446-23985-2
Die Höhle: Roman
Norman Manea
Die Höhle: Roman

Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
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Schlagwörter: Rumänien, USA, Roman, Rezension

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