25. Dezember 2014

Christleuchter und Quempassingen: Rückblick auf einen siebenbürgischen Weihnachtsbrauch

Das wichtigste kirchliche Fest war in Siebenbürgen zweifellos nicht Ostern, sondern Weihnachten, zumal in den Landgemeinden. Dies galt besonders für die Schulkinder und Konfirmanden. Wer nie eine Christmette mit Quempassingen unter einem „Lichtert“ miterleben durfte, vermag kaum zu ermessen, welch weihevolle Stimmung im Scheine ungezählter Kerzen über der dichtgedrängten Festgemeinde lag, welch rührende Innigkeit die Wechselgesänge zwischen den fünf Schülergruppen (Porten) und der Gemeinde erwecken konnten.
Die Volkskundlerin Pauline Schullerus fasste dieses „Weihnachtswunder“ im Jahre 1927 in den nüchternen Satz zusammen: „Die Christmette gilt wohl für die schönste Stunde des ganzen Jahres, da bleibt nicht einmal die alte Großmutter zu Hause.“

Es soll betont werden, dass der

Quem-pastores-Hymnus stellvertretend für alle anderen Lobgesänge, die am Weihnachtsmorgen in den Dorfkirchen Siebenbürgens erschallten, etwas ausführlicher behandelt wird, gilt er doch als das weitaus älteste Weihnachtslied.

Seine Ursprünge reichen wahrscheinlich bis ins Frühmittelalter zurück. Eine der wenigen schriftlichen Überlieferungen, die sämtlich aus Böhmen stammen, wurde in der Zisterzienserabtei Hohenfurth (heute Vyssi Brod an der österreichischen Grenze) entdeckt. Sie konnte beiläufig auf das Jahr 1450 datiert werden und wird in einem Prager Archiv verwahrt.

Im Laufe der Jahrhunderte hat der Quempas alle Änderungen der Gottesdienstordnungen, alle Wechsel des Zeitgeistes und gar zeitweilige Verbote überdauert, in Siebenbürgen ganz vereinzelt bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Seine Urform setzte sich aus zwei lateinischen Liedern zusammen, dem eigentlichen „Quem pastores laudavere“, und dem „Nunc angelorum gloria“, mit eigener Melodie.

Die erste Übersetzung ins Deutsche, die aber noch nicht gesungen werden konnte, stammt von Georg Witzel aus Thüringen (1550), mit dem späteren Text „Den die Hirten lobeten sehre“. Es folgten weitere, anderslautende Übertragungen ins Deutsche, auch des Nunc angelorum, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen wird.

Der in Havelberg als lutherischer Domherr lebende Matthäus Lüdtke (gen. Ludecus) ließ 1589 in Wittenberg ein Missale drucken, wo zum ersten Mal der schon vorher gebräuchliche deutsche Text des Quempas aufschien. Zu jener Zeit begann die Christmette bereits um 4 Uhr früh, wobei vier auf die Ecken der Kirche verteilte Knaben jeweils einen Vers des Quempas sangen, worauf der Chor mit dem „Nunc angelorum“ antwortete.

Einige Erweiterungen bei den Stimmbesetzungen und Vorschläge für eine Neugestaltung der Wechselgesänge kamen von Michael Praetorius, Hofkapellmeister in Wolfenbüttel. Zur Zeit des Pietismus wurde der lateinische Text in einem Gesangbuch weggelassen, weil er, wie es hieß, für die Gemeinde unverständlich und daher schädlich sei.

In einer von König Friedrich Wilhelm I. von Preußen an die Superintendenten erlassenen Weisung von 1739 hieß es u.a.: „So befehlen wir Euch hierdurch allergnädigst, den Tag vor Weihnachten die sämtlichen Kirchen des Nachmittags schließen zu lassen und überall ... scharf zu verbieten, dass so wenig die so genannte Christ-Abend- oder Christ-Nachts-Predigten weiter gehalten noch das Quem pastores weiter gesungen, oder andere dergleichen bisher üblich gewesene Alfanzereien (Possenreißereien – der Verf.) mehr getrieben werden.“

Bald nach seiner Thronbesteigung hob Friedrich der Große diese Verfügung seines Vorgängers jedoch wieder auf. Das Quempassingen erfuhr hernach eine weite Verbreitung in ganz Mittel- und Teilen von Ostdeutschland. Stammgebiete waren hierbei Schlesien, Brandenburg, Posen, die Lausitz, Sachsen und Pommern.

In Perleberg beim erwähnten Havelberg an der Elbe wurde noch im Jahre 1939 am Weihnachtsmorgen von vier Chören das Quem pastores lateinisch und deutsch gesungen. Auch in Bernau bei Berlin und in Genthin (Landkreis Magdeburg) lebten noch Reste dieses Lobgesanges. Aus dem erzgebirgischen Cranzahl wird berichtet, dass in einem alten Gesangbuch von 1777 das Weihnachtslied Quempas steht. Auch ist in diesem Zusammenhang von einem Adjuvantenchor (!) die Rede.

In Siebenbürgen muss die Quempassitte im 18. Jahrhundert noch allgemein bekannt gewesen sein, da der lateinische und deutsche Text im Hermannstädter Gesangbuch von 1774 zu finden war.

Christleuchter aus Rode, der in den 1970er Jahren ...
Christleuchter aus Rode, der in den 1970er Jahren bei der Jahreshauptversammlung der Nachbarschaft Traun gezeigt wurde.
Gelegentlich mehrerer Reisen durch das Sachsenland in den Jahren 1927 bis 1929 hat der Schäßburger Sprach- und Volksliedforscher Walther Scheiner u.a. auch Erhebungen zu dem Quempassingen durchgeführt. Wie er in einem Fachartikel von 1938 berichtet, hätte er diesen Christnachtsgesang an mehreren Orten gefunden. Dabei handelt es sich allerdings in den meisten Fällen nur um Spuren davon, weil in der Regel ein neuer deutscher Text nach der Quempasweise gesungen wurde. In Großscheuern etwa konnten sich ältere Bewohner daran erinnern, dass bis 1870 zum „Lichtert“ der Quempas dazugehörte, dann aber durch den Choral „Lobt Gott, ihr Christen“ verdrängt wurde.

In einigen Gemeinden konnte sich das Puer natus länger behaupten, so in Weilau, Kastenholz und in Alzen, wo außerdem mit dem Quempas und dem Rorarunt coeli zur Weihnachtszeit gleich drei lateinische Lieder gesungen wurden.

Aus dem Nösnerland ist vielfach der Weihnachtschoral „Kommt zusammen, Christi Glieder“ überliefert (so aus Birk und Lechnitz), der zum Teil nach der Quempas-Melodie gesungen wurde, woran sich die Gemeinde mit „Lobt Gott, ihr Christen“ anschloss.

Während in Zendersch, Keisd und Hammersdorf das von Christian F. Gellert geschaffene Kirchenlied „Dies ist der Tag, den Gott gemacht“ in der Frühkirche erklang, wählte man in Felmern und Draas hiefür das eher wenig bekannte „Heil uns Christen, Trost und Wonne“.

Laut einer Statistik der Lutherischen Landeskirche Rumänien von 1937 soll das Quem pastores noch in Nadesch, Kerz und Hamruden zu hören gewesen sein, in Hamruden freilich ohne die deutsche Version.

Zum Vergleich: Im Deutschen Reich verzeichnete man zu diesem Zeitpunkt lediglich in 18 Orten das Quempassingen am Weihnachtsmorgen, und davon bloß in fünf Gemeinden zweisprachig! Tatsache ist aber auch, dass durch den Christbaum, ebenso in Deutschland, auch in Siebenbürgen, der Leuchterbrauch an Boden verloren bzw. das Lichtertsingen auf den Heiligen Abend („Christsonnabend“) vorverlegt wurde.

In Mettersdorf tauchte der Weihnachtsbaum bereits um das Jahr 1900 auf, zehn Jahre später in Klein-Bistritz.

Ähnlich wie das Quempassingen war auch der Christleuchter in den mittel- und ostdeutschen Provinzen verbreitet, allerdings unter Bezeichnungen wie Weihnachts- oder Lichterpyramide, oder aber Weihnachtsszepter (in Schlesien), die man im Karpatenbogen nicht kannte. Hier war bekanntlich von Lichtert bzw. nösnisch Lichtertchi die Rede. Als Ursprungsform gilt die Lichterkrone, zum Aufhängen an der Stubendecke bestimmt. Sie wurde während der Mette in den Händen gehalten – von daher rührt auch die Redewendung „einen Lichtert halten“ her.

Typologisch weisen die sächsischen Lichtert die größte Ähnlichkeit mit den so genannten Reifenbäumen im thüringischen Landkreis Saalfeld auf.

So wie die Gestelle der Leuchter differierten, so unterschiedlich konnte auch ihre Ausschmückung in den einzelnen Dörfern sein: Immergrün, Binsenmark, Blasenkirschen, Efeu, Papierblumen und -ketten, Glaskugeln, Engelhaar, bunte Fähnchen, verschiedene Beerenfrüchte oder gar Puffmais.

Da es bis in die fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in sehr vielen Landgemeinden noch keinen elektrischen Strom gab, war die Alternative elektrische Kerzen für die Lichtert (gottlob!) nicht gegeben, sodass man vereinzelte Brandverluste in Kauf nehmen musste.

Als Brandverhüter respektive -bekämpfer betätigten sich im übrigen – zumindest in einer Weinlandgemeinde – die Väter der Lichterthalter, mitunter auch die Kirchenväter. Was die Anzahl der aufgestellten Christleuchter anlangt, so schwankte diese zwischen zwei (in Kleinstgemeinden) und acht (im 800 Seelen zählenden Maldorf). In Botsch und Birk sollen es je sechs Leuchter gewesen sein. Am häufigsten waren in den sächsischen Dorfkirchen wohl vier Leuchter anzutreffen, von den vier ältesten Konfirmanden „gehalten“. Der fünfte, für die Mädchen vorgesehen, kam erst später dazu. Doch es gab offenbar auch Fälle der umgekehrten „Exklusion“: In Felmern und Deutsch-Weißkirch sollen sich unter den Lichterten ausschließlich Mädchengruppen versammelt haben.

Die vier plus eins Aufteilung galt beispielsweise in Deutsch-Kreuz, Leblang und Rode. Aus letztgenannter Gemeinde kann aus eigenem Erleben Ende der fünfziger Jahre kurz berichtet werden. In diesem Weindorf war das Quem pastores noch zweisprachig zu hören, und das wie vor Zeiten am ersten Christtag in der Frühkirche um 6 Uhr. Das anschließende Lied „Freut euch, ihr lieben Christen“ wurde im Wechsel mit der Gemeinde gesungen. Der Text dieses auch in anderen Gemeinden verbreiteten Liedes entstand um das Jahr 1540, der Verfasser blieb unbekannt.

Den Abschluss des Christmettesingens bildete das von der Mädchengruppe gesungene, tiefreligiöse Empfindsamkeit ausdrückende Lied „Im finstern Erdkreis“. Dessen Text schrieb der Meißner Pastor und Dichter Johann Adolf Schlegel (1721-1793). Die Melodie geht auf das Kirchenlied „Nun freut euch, Christen, insgemein“ zurück.

Nach einer Umfrage des Landeskonsistoriums im Jahr 1988 fanden im Sachsenland noch in 40 Gemeinden Leuchterbinden und -singen zu Weihnachten 1987 statt. Jüngere Statistiken sind dem Verfasser nicht bekannt.

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass es in deutschen Landen ein kleines Rückzugsgebiet für den Quempas gibt. Südlich von Havelberg liegt Sandau a.d. Elbe, ein nur rund 900 Einwohner zählendes Dorf, wo noch vor 40 Jahren diese Weihnachtssitte in der Christmette gepflegt wurde, heutzutage freilich an Heiligabend. Ansonsten hat dieser altertümliche Choral auch in das Repertoire berühmter Knabenchöre, aber auch philharmonischer Gemischtchöre Eingang gefunden, sodass mittlerweile von Hamburg bis Stuttgart, und von Braunschweig bis Münster der Quempas auf diese Weise „umgeht“.

In einigen österreichischen Nachbarschaften und deutschen Kreisgruppen gab es schon vor Jahren einige anerkennenswerte Versuche, dieses Brauchtum um den Weihnachtsfestkreis wieder etwas zu beleben. Ob man dabei schon von einem Redivivus der Quempas- und Lichterttradition sprechen kann?

So schmerzlich es auch sein mag, um das unabänderliche Prinzip, dass viele Bräuche nun einmal an Ort und Zeit ihrer Entstehung gebunden sind, kommt man leider nicht herum. Unter ganz anderen kulturellen, soziologischen und sonstigen Rahmenbedingungen sind dementsprechend neue Konzepte und Ideen gefragt.

Walter Schuller

Schlagwörter: Weihnachten, Brauchtum, Siebenbürgen

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