4. Januar 2015

Hans Moyrer: „Von der Großen Kokel zum Roten Main“

In seinem Buch stellt Hans Moyrer eine Verbindung zwischen seiner Geburtsstadt Schäßburg (Weltkulturerbe) in Siebenbürgen, an der „Großen Kokel“ liegend, und seinem neuen Heimatort Heinersreuth bei Bayreuth her. Er beschreibt die Flusslandschaft der Großen Kokel, die siebenbürgischen Berg-, Hügel- und Weinlandschaften und vergleicht diese äußerst anschaulich mit den landschaftlichen Gegebenheiten am „Roten Main“.
Moyrer bezeichnet sein Buch als prosaisches Erinnerungsbuch mit vielen Bildern. Es setzt sich zusammen aus 40 Kapiteln mit Überschriften und umfasst 150 Seiten. In die Thematik einiger Kapitel sind historische Hintergrundinformationen über die Herkunft und die Gründe der Ansiedlung in Transsilvanien eingestreut, dem Land jenseits der Wälder mit Bären und vor Hunger heulenden Wölfen. Die deutschen Siedler von der Mosel, dem Rhein, aus Luxemburg, Flandern und später auch anderen deutschen Landen machten das Land urbar und erschlossen es wirtschaftlich. Sie lebten in Dorfgemeinschaften und bauten später auch Städte wie Hermannstadt, Klausenburg, Mühlbach, Mediasch, Schäßburg, Kronstadt und Bistritz. Die Siedler nannten ihr Land Siebenbürgen und sich die Siebenbürger Sachsen. Für ihre Fahne wählten sie die Farben Blau und Rot. Sie waren eine Wertegemeinschaft in Recht, Glauben, Tradition und Sprache und bildeten, „da keiner Herr noch Knecht war“, die „Hospites Saxones,“ wie sie im Freiheitsbrief, dem „Andreanum“ von 1224, und anderen Dokumenten jener Zeit benannt wurden, ein wahres demokratisches Gemeinwesen bis ins späte 19. Jahrhundert, das 1944/1945 gänzlich zerschlagen wurde. Was folgte, bewirkte die Auswanderung/Rückwanderung der Siebenbürger Sachsen, zum Großteil in die Urheimat, aber auch nach Übersee …

Dieser Erinnerungsbogen oder Brückenschlag aus dem Jetzt und Hier, aus dem neuen Zuhause, der neuen Heimat auf die angestammte Heimat Siebenbürgen wird getragen und geprägt von dem Begriff „Heimat“ in seinen vielschichtigen Facetten: Heimat als geographischer Raum, als Wertegemeinschaft und Sprache und letztlich auch als Heimatverlust, Heimatsuche und Heimatfindung. In diesem Verständnis hat das Buch einen besonderen Aufbau, eine verbindende Gegenüberstellung von Texten und Bildern.

Der Umschlag mit den Wappen von Siebenbürgen und Oberfranken und dem Fluss als Lebensader mit dem Element Wasser im Sinne von „panta rei“, alles fließt, ist in ständiger Bewegung und Veränderung und bildet mit den beiden aussagekräftigen Bildern von der „Großen Kokel“ bei Pretai und dem „Roten Main“ in Heinersreuth (S. 150) und mit dem Bild vom Bahngleis in kahler und kalter Landschaft in Richtung getrübtem Sonnenuntergang (S. 110) den seelisch visualisierten Raum, von dem die Kapitel in ihrer Gesamtheit handeln.

Dem Leser werden der Einstieg und die weitere Orientierung mit Kartenmaterial anschaulich und interessant gemacht (S. 12 u. 17). Die Texte sind in einer verständlichen Sprache verfasst, die ab und zu ins Philosophische abhebt, wenn der Autor Ideen, Zitate oder Aphorismen aus der europäischen Geistesgeschichte einfließen lässt.

Von hohem wissenschaftlichem und pädagogischem Stellenwert sind die Kapitel „Bedeutende Persönlichkeiten Siebenbürgens, G. Schuster Dutz, M. Albert, G. D. Teutsch, F. Teutsch, St. L. Roth, H. Oberth“ (S.79-85) und „Bedeutende Persönlichkeiten Oberfrankens, R. Wagner, Markgräfin Wilhelmine, J. P. Friedrich Richter“ (S. 127-132). All diese geistigen Größen offenbaren sich dem Leser in Bildporträts, in ihrem Wirken und in ihren Werken und sind somit eine Informationsquelle ersten Ranges.

Dieses Buch ist in seinen vielfältigen Inhalten sehr authentisch, weil es das persönlich Erlebte und Gelebte in Form von Erinnerungen vor dem geistigen Auge des Autors wiederbelebt. Er erinnert sich an Siebenbürgen als ein „Land des Segens und der Fülle und der Kraft“, als ein Land der Duldung jedes Glaubens bis 1944. Die Heimaterde ist eine einzigartige Landschaft von Ebenen, Tälern und sanften Hügeln mit einer vielfältigen, reichen Flora und Fauna, umrahmt vom Berggürtel der Karpaten. Er erinnert sich an seine Kindheit und Jugend in Schäßbug, an seine Fahrten mit der „Wusch“ (Schmalspurbahn) von Schäßburg nach Agnetheln und Hermannstadt mit den vielen Geschichten, die sich entlang dieser Strecke von besonderer landschaftlicher Schönheit zugetragen haben. Er erinnert sich mit seiner Pauline an das beschauliche, eingeschneite Tobsdorf in den Bergen zwischen Hetzeldorf und Birthälm. Sie feiern ihre Verlobung und von draußen, von den bewaldeten Berghängen, vernimmt man das schaurige Heulen hungriger Wölfe. Auch erinnert er sich an seine Bergschule, das Seminar in Schäßburg und die Zeit als Dorfschullehrer. Hier hat der Städter das einfache Leben auf dem Lande und seiner Bewohner, der Sachsen, Rumänen und Zigeuner, kennengelernt. Er beschreibt dezidiert die Arbeitsvorgänge der Hanfwaschung und -röstung bis zum Endprodukt Garn/Leinen, das für die Dorfbevölkerung sehr wichtig war. Sehr aufschlussreich und nahegehend sind die Erinnerungen im Kapitel „Pretai, Tor zu Mediasch – unsere Wirkungsstätte als Erzieher“ (S. 66-74). Pretai wurde für 24 Jahre „mein Zuhause“, erinnert sich der gebürtige Schäßburger. Hier hat er seine Familie gegründet. Es sollte eine Zeit des Segens werden (drei Kinder) und ein mindestens ebenso großer Segen für die Gemeinde Pretai. Der deutschsprachige Kindergarten und die Grundschule wurden durch eine deutschsprachige Oberstufe erweitert, auch mit Schülern aus Tobsdorf. Gut ausgebildete Fachkräfte wurden angestellt und verbeamtet. In Sachen außerschulischer Kulturtätigkeit wurde das Kinderfest Blasius und das Kronenfest der Jugend (Peter- und Paulstag) neu belebt. Auch kamen Tanz und Brauchtumspflege nicht zu kurz. Das Tragen der sächsischen Tracht wurde gepflegt, auch bei Kirchgang, Taufe, Konfirmation, Verlobung und Hochzeit. Sie wurde im Laufe der Zeit auch ein Opfer des Wandels. Mit Wehmut und Stolz erinnert sich Moyrer an das von ihm gegründete „Deutsche Theater“, das in ganz Siebenbürgen bekannt wurde. Unter seiner Leitung machten die Pretaier/innen begeistert mit. Es wurden Theaterstücke in siebenbürgisch-sächsischer Mundart, aber auch in deutscher Sprache in fast allen deutschsprachigen Gemeinden Siebenbürgens aufgeführt. Im Einzelnen erinnert sich der Lehrer und Regisseur an die Titel und die Inhalte. Es war für ihn und seine Pretaier die schönste Zeit in seiner Lehrerlaufbahn, und das im tiefsten Kommunismus bis 1982.

In den 60er bis 80er Jahren setzte eine langsame „kontrollierte“ Aussiedlung nach Deutschland ein. Die Gründe sind in dem Kapitel „Auswanderung – der hoffnungsvolle Weg ins Mutterland“ (S. 108) mit all den damit verbundenen Vorkommnissen und Erinnerungen vermerkt. Es begann ein anderes Leben, das mittlerweile auch zu neuen Erinnerungen geführt hat, die in den Kapiteln 26-35 festgehalten werden.

Das heutige Siebenbürgen vermisst seine ausgewanderten Siebenbürger Sachsen. Unübersehbare tiefe Spuren sprechen von seinem schweren Leiden. Fast unverändert geblieben sind in Transsilvanien, dem Land jenseits der Wälder, die Freundlichkeit seiner Bewohner und wilde Naturlandschaften, durchstreift von viel Wild.

Weshalb Hans Moyrer dieses Buch, sein „Erinnerungsbuch, durchgehend reich bebildert“, geschrieben hat, sagt er selbst: „Heilung fängt mit Erinnerung an (S. 139) und als Eltern und Großeltern wünschen wir unseren Kindern und Enkelkindern eine glückliche Zukunft und das Rüstzeug dazu müssen wir ihnen auf den Weg mitgeben.“ Wir können dem zustimmen und dieses Buch zum Lesen empfehlen.

J. Ramser


Hans Moyrer: „Von der Großen Kokel zum Roten Main“, Layout – Manuskript – Überarbeitung – verbesserte Textauflage: Studienrätin Lilli Pelger (geb. Terplan), 150 Seiten, durchgehend reich bebildert, Karten zur Orientierung, 19,90 Euro. Bestelladresse: Hans Moyrer, Geschwister-Scholl-Straße 26, 95500 Heinersreuth, Telefon: (09 21) 4 66 90.

Schlagwörter: Buch, Erinnerungen, Siebenbürgen

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Neueste Kommentare

  • 04.01.2015, 13:04 Uhr von BaBan: Wunderschön! Hoffentlich gibt es eine Fortsetzung zu diesem Buch. Denkbare Titel wären: "Von der ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

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