27. Mai 2015

Zur Neuauflage von Karin Gündischs Buch „Das Paradies liegt in Amerika“

Karin Gündisch gehört zu den Autoren, die eine Welt, die zusehends vergessen wird, in Worten zu bewahren suchen, um die Welt begreifbar zu machen, in der wir leben. Ihre Romane schildern das Leben und Leiden der Nachfahren jener Deutschen, die vor Jahrhunderten in das Gebiet des heutigen Rumänien ausgewandert sind – und zum Teil erneut zu Umsiedlern wurden: zu Umsiedlern nach Deutschland.
In der neu edierten Erzählung „Das Paradies liegt in Amerika“ von Karin Gündisch erzählt ein Junge die Geschichte einer großen Auswanderung: Ein paar Jahre, nachdem seine Familie aus Siebenbürgen in die Vereinigten Staaten von Amerika ausgewandert ist, fordert die Mutter ihn auf, alles aufzuschreiben, was sie erlebt haben – damit man sich „später daran erinnern“ kann. Literatur als Erinnerung, die durch die moderne Lebenswelt bedroht ist, eine Welt, die nur im Jetzt lebt und damit sich nicht mehr versteht: „Du wirst noch viel erleben, und allmählich werden deine Erinnerungen an das Land, in dem du geboren bist, an unser Leben dort und an die große Reise verblassen“. (7)

Das Buch von Karin Gündisch ist zu empfehlen, weil es nicht einfach in eine Geschichte stolpert und diese (wie eine Lehrerin feststellt) „gut“ erzählt (7), sondern zudem ein Buch ist, das über das Erzählen selbst nachdenkt, es rechtfertigt: Nur im Erzählen behalte man Vergangenheit in ihrer Bedeutsamkeit gegenwärtig – und nur in der Schrift (also im Lesen) überdauert diese Erinnerung den Tod: „Ich habe mir überlegt, dass ich unsere Geschichte wegen Eliss aufschreiben muss, sonst vergessen wir sie. Eliss hat keinen Grabstein bekommen, weil wir kein Geld hatten“. (7)

Gündisch stellt diesmal die wichtigen Themen ihrer Bücher in einen größeren Rahmen. Es geht um das Grundsätzliche der Erfahrung von damals und heute, Erinnerung und Zukunft, Abschied und Ankunft, Fremdsein und Fremdwerden. Erzählt wird die Geschichte der Auswanderung der Familie Bonfert. Zeit ist die Wende zum 20. Jahrhundert. Die Geschichte beginnt in Siebenbürgen in dem Ort „Heimburg“ – den man auf keiner Landkarte findet und den doch jeder dort kennt. Der Vater der Familie Bonfert muss sich wie so viele eingestehen, dass die Wirtschaftslage für seine Familie bedrohlich wird – und so wird er aktiv und plant die Auswanderung ins Arbeitsparadies: „Das Paradies liegt in Amerika“. Der Vater packt ein paar Habseligkeiten zusammen und reist voraus, um das Paradies vor Ort zu prüfen. Die Familie muss vorerst zurückbleiben, weil das Geld für die Reise aller fehlt. Der Vater soll erst einmal Geld verdienen, damit die Familie nachkommen kann. Aber wird er das Geld auch wirklich schicken? Viele Männer seien – so hörte die Familie – mit diesem Versprechen in die Staaten gegangen … und hätten nie wieder von sich hören lassen. Diesem Verdacht und dem Spott sieht sich die Familie Bonfert ausgesetzt: Wer aufbricht, ist nirgends willkommen. Doch endlich kommt genug Geld aus Amerika. Die Mutter kann nun mit den vier Kindern von Siebenbürgen nach Bremerhaven reisen. Von dort geht es mit dem Schiff nach New York – eine grausige Überfahrt, auf der der Tod so manchen daran hindert, seinen Traum zu erreichen. Die letzten Kapitel erzählen von der Zeit der Eingewöhnung in das amerikanische Leben.

Karin Gündisch gelingt wieder einmal eine schlichte, aber überaus tiefsinnige Geschichte voll zarter Beschreibungen. „Die Nachbarn überreichten Mama einen Strauß mit Garten- und Feldblumen, wie das üblich war, wenn jemand wegzog. Diese Blumen sind längst vertrocknet, aber Mama hat sie nicht weggeworfen. Sie sind mit uns aus der Front Street umgezogen und haben inzwischen die Farbe fast ganz verloren. Sie riechen aber immer noch wie das Heu auf den Wiesen von Heimburg. Jetzt liegt der Strauß in Papier verpackt in unserem Wäscheschrank. Mama will ihn nicht wegwerfen. Regina meint, erst wenn der Strauß zu Staub geworden ist, werden wir richtige Amerikaner sein, und das dauert sehr lange. In Siebenbürgen waren wir Amerikaner, noch bevor wir das Land verließen, und hier (in den USA) sind wir vorläufig nur ausgewanderte Europäer.“ Wer zwischen den Welten lebt, ist nirgends zu Haus. Er hat sein „Heim(!)burg“ verloren.

Volker Ladenthin


Karin Gündisch: „Das Paradies liegt in Amerika“, Schiller Verlag, Hermannstadt – Bonn, 2014, 74 Seiten, 9,70 Euro, ISBN 978-3-944-52944-8, zu bestellen beim Schiller Verlag/Erasmus Buchhandlung

(Dieser Text erschien bereits in Volker Ladenthins Buch „Was im Gedächtnis bleiben soll. Das literarische Werk von Karin Gündisch“, Schiller Verlag, Hermannstadt – Bonn, 2014, und wurde vom Verfasser für die Veröffentlichung in der Siebenbürgischen Zeitung überarbeitet.)

Schlagwörter: Gündisch, Buch, Neuauflage, USA

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