8. Dezember 2002

Aufschlussreiche Statistiken

Rosemarie Hochstrasser hat die Studie „Die siebenbürgisch-sächsische Gesellschaft in ihrem strukturellen Wandel 1867-1992. Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Hermannstadt und Brenndorf“ zunächst als Diplomarbeit und dann erweitert als Dissertation an der Universität Graz eingereicht. Das Buch bietet zwar keine grundlegend neuen Erkenntnisse, dafür aber erstmals einen zusammenfassenden Überblick und eine aufschlussreiche Dokumentation über den strukturellen Wandel der siebenbürgisch-sächsischen Gesellschaft in der Zeit von 1867 bis 1992.
Die Arbeit gliedert sich in vier Teile: die demographische Entwicklung der Siebenbürger Sachsen; der Wandel ihrer Gesellschaftsstruktur; identitätsstiftende Institutionen; der Beitrag der Siebenbürger Sachsen für Siebenbürgen. Angesichts der prekären Quellenlage versucht die Verfasserin am Beispiel der Stadt Hermannstadt und der Gemeinde Brenndorf die Thematik mit selbst recherchierten Daten als Fallstudien zu konkretisieren. Dazu zog sie die Heiratsmatrikeln von Hermannstadt und Brenndorf heran, in denen jeweils der Beruf der Vermählten und der ihrer Eltern angegeben ist. Während für Brenndorf alle Hochzeitspaare von 1865 bis 1991 erfasst wurden, konnten für Hermannstadt bloß einzelne Zeitabschnitte bearbeitet werden, immerhin von 13 366 Trauungen in der evangelischen Kirche 4 603 Paare, was einem Prozentsatz von 34 entspricht. Hermannstadt und Brenndorf sind zwar nicht repräsentativ für eine städtische und ländliche Siedlung, da die „Haupt- und Hermannstadt“ eine andere Wirtschafts- und Sozialstruktur als Kleinstädte aufweist, und die in Stadtnähe gelegene wohlhabende Burzenländer Gemeinde Brenndorf, in der sich auch eine Zuckerfabrik befand, ein anderes wirtschaftlich-gesellschaftliches Bild abgibt als der Großteil der sächsischen Dörfer. Nichtsdestotrotz wird bei den beiden Fallbeispielen der Unterschied zwischen Stadt und Land sichtbar. Zu den allgemeinen statistischen Übersichten werden als Vergleich die recherchierten Daten von Hermannstadt und Brenndorf gegenübergestellt. Sie können gelegentlich als Korrektiv herangezogen werden. Zudem werden Vergleiche zur Sozialstruktur der übrigen Völkerschaften Siebenbürgens präsentiert. Dieser Vergleich macht deutlich, dass die Sachsen bis 1945/48 einen höheren gesellschaftlichen Status als die übrigen Landesbewohner besaßen.

Als Ausgangszeitpunkt ihrer Studie setzt die Historikerin das Jahr des österreichisch-ungarischen Ausgleiches (1867), weil, wie sie meint, danach die Sachsen aus einer privilegierten Standesnation zu einer nationalen Minderheit wurden. (Wir würden den Beginn dieses Prozesses eher 1848 ansetzen.) Als weitere Zäsuren in dem wirtschaftlich-sozialen Wandlungsprozess wurden die Jahre 1918/19 (Anschluss Siebenbürgens an Rumänien), 1944/48 (sozialistische Umgestaltung mit Enteignung bzw. Verstaatlichung des sächsischen Besitzes) und 1990 (Sturz des kommunistischen Regimes und Massenexodus der Siebenbürger Sachsen) genommen.

Es kann in diesem Rahmen nicht auf den Inhalt dieser auf zahlreichen statistischen Daten fußenden Dissertation eingegangen werden. Was die demographische Entwicklung betrifft, werden außer dem jeweiligen zahlenmäßigen Bevölkerungsbestand statistisch die Unterwanderung und Überfremdung der sächsischen Städte und Dörfer mit nichtsächsischen, insonderheit rumänischen Bewohnern belegt, ebenso die Verluste des Zweiten Weltkrieges sowie die Auswanderungsquoten, so dass bereits im Jahre 1977, bevor der große Exodus begann, der Anteil der deutschen Bevölkerung Siebenbürgens in den Städten bei 4 Prozent und auf dem Lande bei 3,6 Prozent lag. Im Jahre 1869 hatte der sächsische Anteil in Siebenbürgen bei etwa 10 Prozent gelegen.

Es wird ferner hervorgehoben, dass die Sachsen bis 1945 in der Landwirtschaft, im Gewerbe, in der Industrie und im Handel führend waren. Die Bestimmung der beruflichen Struktur erfolgt nach den Wirtschaftbereichen Landwirtschaft und Forstwirtschaft (Bauerntum), Gewerbe (Handwerker), Industrie (Fabrikanten, Angestellte, Arbeiterschaft), Handel (Kaufleute), Bank- und Kreditwesen (Beamte), öffentlicher Dienst (Angestellte oder Beamte in der Verwaltung, Amts- und Kassenärzte u. a.). Am Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgte ein Einbruch, der die Sachsen aus selbstständigen Bauern, Gewerbetreibenden, Fabrikbesitzern und Kaufleuten zu einer unselbstständigen, lohnabhängigen landwirtschaftlichen und industriellen Arbeiterschaft degradierte. Es verstärkte sich jedoch nun der Trend zu fundierter fachlicher und auch universitärer Ausbildung, um einerseits die fehlende wirtschaftliche Basis durch eine gute Berufsausbildung zu ersetzen und um im Hinblick auf eine eventuelle Auswanderung nach Deutschland günstigere Startmöglichkeiten zu haben.

Das Buch von Hochstrasser bietet leider keine Sozialgeschichte, sie geht auf die sozialen Probleme, die sich aus der beruflich-wirtschaftlichen Struktur ergeben, nicht ein. Als identitätsstiftende Institutionen untersucht die Verfasserin die Bruder- und Schwesterschaften, die Nachbarschaften, Kirche und Schule und das Vereinswesen. Kirche und Schule bildeten bis in die Gegenwart den stärksten Rückhalt gegen ethnische und religiöse Assimilation. Der Bildungsstand der Sachsen lag immer über dem Landesdurchschnitt. Nach den von Eduard Albert Bielz im „Handbuch der Landeskunde Siebenbürgens“ (Hermannstadt, 1857) und Oskar v. Meltzl in „Statistik der sächsischen Landbevölkerung in Siebenbürgen“ (Hermannstadt, 1886) veröffentlichten Daten besuchten 1851 bzw. 1883 gar 98,8 bzw. 98,1 Prozent der sächsischen Kinder die Schule. Die Sachsen besaßen auch im sozialistischen Rumänien allgemein eine höhere Ausbildung als ihre Mitbürger, und das einschließlich des akademischen Bereichs. Entgegen der Behauptung von R. Hochstrasser ist korrigierend anzumerken, dass mit einigen Abstrichen die Schule auch im sozialistischen Rumänien zur Stärkung und Erhaltung der Identität der Sachsen beigetragen hat.

Im letzten Teil ihrer Arbeit stellt die Verfasserin schlussfolgernd fest, dass seit dem 18. Jahrhundert ein sukzessiver Bedeutungsverlust der Sachsen innerhalb der siebenbürgischen Gesellschaft eingesetzt hat. Dem kann man zustimmen, sollte aber nicht aus den Augen verlieren, dass die Sachsen bis 1944 adäquate Strategien und Abwehrmechanismen für ihr völkisches Fortbestehen entwickelt haben.

Michael Kroner


Rosemarie Hochstrasser: Die siebenbürgisch-sächsische Gesellschaft in ihrem strukturellen Wandel 1867-1992. Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Hermannstadt und Brenndorf. Hermannstadt: Hora Verlag; Heidelberg: Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde. 2002, 263 Seiten, 19,00 Euro, ISBN 3-3929848-28-7

Schlagwörter: Zeitgeschichte, Burzenland, Brenndorf, Hermannstadt

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