26. Dezember 2017

Kronen aus Noten, Not und Holz und Licht/Begegnungen in fünf kurzen Monaten als Stadtschreiberin in Kronstadt 2017

„Nach Kronstadt mit Freudenkrone“, habe ich vor knapp einem Jahr geschrieben, in einem Statement für das Deutsche Kulturforum Östliches Europa. Die in Potsdam ansässige Institution hatte mir eben das Stadtschreiberstipendium 2017 verliehen. Gemeinsam mit dem Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien, denn das Stipendium wandert jedes Jahr in ein anderes osteuropäisches Land und sucht jeweils Partner vor Ort.
Paula Schneider in Kronstadt vor der Zinne, ...
Paula Schneider in Kronstadt vor der Zinne, September 2017. Foto: R. Dannenberg
Der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Kronstadt, Thomas Șindilariu, fuhr uns persönlich mit rotem Kleinbus vom Bukarester Flughafen durch die walachische Tiefebene und die Karpaten das erste Mal bis an die Zieladresse. Mich und meinen auch freiberuflichen Lebenspartner, ohne dessen Unterstützung so ein erkundender, literarisch-künstlerischer Arbeitsaufenthalt nicht möglich gewesen wäre. Denn mit uns reiste noch jemand in die Region der sagenhaften Riesen: ein Zwerglein, das half, die große rumänische, siebenbürgische, Kronstädter Kinderfreundlichkeit auszuloten, und im Gegenzug wohl den Stadtschreiberinnendrive ein wenig drosseln musste unwillkürlich hie und da. Als eine Art des Dankesagens an alle Seiten nun: ein kleiner Reigen Gesichter unter ganz verschiedenen Kronen, immer aber in Kronstadt.

Heiß war der Mai, gleich bei Ankunft. Kurz darauf, trotz tapfer Deutsch gegen den Regen singender rumänischer Honteruslyzeumsschüler, war er nass. So nass, dass eine der wohl weltgrößten EU-Fahnen am Europatag zum Wasserfall, dann zum Notfall wurde, der in der stadtältesten Kirche Bartholomä zum Trocknen ausgebreitet werden musste. Ein paar Tage später schickte der nahe Karpatenfelsenknick wieder Kaiserwetter: Staatspräsident Klaus Johannis kam zum Bäumchenpflanzen vor die Forstfakultät der Transilvania-Universität. Eine Eiche wurde öffentlich gepflanzt im Mai, kein Apfelbäumchen wie Monate später mit anderen Beteiligten beim Reformationsjubiläums-Kirchentag. Im Trubel um das zweimillionste Hoffnungsbäumchen stand der siebenbürgisch-sächsische, frühere Herrmannstädter Bürgermeister selber wie eine Eiche, groß, ernst, mit hölzernem Charisma, gestärkt noch von Zigtausenden, die ein Vierteljahr vorher mit ihm im Bukarester Schneeregen gegen korruptionsgünstige Gesetze demonstriert hatten.
Aufstellung zum Bäumchenpflanzen vor der ...
Aufstellung zum Bäumchenpflanzen vor der Forstfakultät Kronstadt, 22. Mai 2017. Staatspräsident Klaus Johannis mit Spaten, neben ihm Caroline Fernolend. Fotos: Paula Schneider
Ihn nicht, doch Politikkollegen konnte ich sprechen in Kronstadt, einen nachdenklichen Wolfgang Wittstock etwa, einen zwischen Wirtschaftstreffen, Stadt- und Katakombenerhaltungskampf und siebenbürgischem Oktoberfest umtriebigen Cristian Macedonschi. Oder auch Caroline Fernolend, beeindruckende Motiviererin durch Siebenbürger Sachsen zurückgelassener Dörfer; nicht nur ihres Heimatorts Deutsch-Weißkirch mit Kirchenburgjuwel und prinz-(Charles-)licher Unterstützung. Einen Weg bin ich mit ihr gegangen, den ich danach oft genommen habe. Vorbei an Kronstadts ältestem Wappenrelief, das wie ein Stirnmal zwischen zwei grimmigen Schießschartenaugen des Katharinentors sitzt: seltsam dünnstämmig frierend unter einer wie zu schweren Krone. Entlang dann an der Arena des Sportgymnasiums, die sich auf die Stadtmauer stützt. Vorbei an Ausnahmehäusern der Hirschgasse, die den alles vernichtenden, kircheschwärzenden Brand überstanden haben, Ende des 17. Jahrhunderts, als zwischen Habsburgern und Siebenbürgern Fremdheit war und Hass.

Viele Häuser wollen viel erzählen, wenn man in ihre Fassadengesichter schaut. Ob im historischen Befestigungsring in der an den Karpatenrand geflochtenen Oberen Vorstadt oder den graugedehnten, neueren Vierteln. Stuckfräuleins erzählen andere Geschichten als Kabel-Urwälder, Schusssalven andere als Graffitigesichter oder politische, mitunter jahrzehntealte Parolen.

Und auf dem Land? Erzählen die Sachsendorfhäuser. Schön sind sie. Einander ähnlich mit ihren Toren, Fensterläden, schmiegsamen Farben, doch überall einzigartig. Und – allzu oft nur verlassene Hülle. Wie wunderschön also erst, wenn sie nicht zu Tausenden zurückgelassen warten, im Justizstreit verrotten, sondern irgendwie in Händen sind. Ob behütet von Rückkehrern, Sommersachsen, oder von neuen Händen, die Motivation entwickeln, ihnen fremdes bauliches Kulturerbe zu pflegen, Touristen zum Beispiel zu empfangen.
Einzig möglicher Fahnen-Trocknungsort nach ...
Einzig möglicher Fahnen-Trocknungsort nach verregnetem Europatagsingen am 9. Mai 2017: Kirche St. Bartholomä, ältestes Gebäude Kronstadts. Im Hintergrund die Honterus-Archivare T.S. und B.H.
In armen Dörfern vielleicht nicht, wohl aber in Kronstadt haben Zukunftswillige lange Wochen Anfang 2017 ausgeharrt, unter dicken Mützen, im Fahnen- und Lichtermeer aus rumänischem Blau-Gelb-Rot, gesprenkelt manchmal von EU-Sternenzacken. In Bukarest habe ich sogar im Juli noch Einzelne gesehen, die den Protest weiter köcheln ließen auf dem Siegesplatz. Und im November, als erneut die rückwärtsgewandte PSD-Regierung die Justiz korruptionsgünstig stutzen wollte, ist er ja neu aufgeflammt, der Protest, landesweit. Tragen also bald in Kronstadt wieder Forumsmänner wie T. S. enorm große Flaggen bis in die Berge? Wer weiß. Der Winter hat ja gerade erst begonnen.

Tradierter Demonstrationsplatz in Kronstadt ist zwischen Heldenboulevard und Regierungsschlösschen, wo vor 30, 40 Jahren Massenchoreographien zur Huldigung des Conducators schritten und sich an einem stillen Wahlsonntag spontan Wut entlud: in einer ersten breiten Aktion gegen Not unter Ceaușescus Regime. Kraftvoll, doch für einen großen Umsturz zwei Jahre zu früh. Auch bei den aktuellen Demonstrationen mitunter und 1987 hier zum ersten Mal seit Jahrzehnten öffentlich gesungen wurde ein Lied, das zu einer anderen Morgendämmerungszeit gedichtet wurde, 1848, in Kronstadt. – Und Nationalhymne mittlerweile. „Erwache, Rumäne, aus deinem Schlaf des Todes ...“. Der Text verdient eigene Aufsätze, im Zusammenhang mit den historisch wie gegenwärtig präsenten Minderheitenrumänen etwa. „Senden wir Beweise an die Welt, dass in diesen Adern noch Römerblut fließt ...“.
Vorpremiere „Brașov 1987, Doi ani prea ...
Vorpremiere „Brașov 1987, Doi ani prea devreme“ beim Fest für Film und Geschichte Rosenau, 6. August 2017.
Einmal aber konnte ich den Puls, der für bemerkenswert viele Landsleute hinter der Hymne pocht, spüren. In Rosenau, einer in Kronstadts Speckgürtel gut gedeihenden Gemeinde. Nicht in den Ruinen ihrer eindrucksvollen Bauernburg, eines ganzen Höhenfliehdorfs, neuerdings mit gläsernem Fahrstuhl – sondern im Ort unten. Mein einziges Mal von Mai bis September war das in einem Kinosaal. Um rumänische Kinos steht es bekanntlich nicht gut. Um rumänische Filme schon besser, und hervorragend um Filmkarawanen. Vier, fünf Freiluftlichtspiele habe ich selber erlebt, im milden Dunkel unter Kronstadts Hausbergwald. Noch häufiger als Kinokarawanen trifft man im Siebenbürger Sommer Festivals jeder Art. Das „für Film und Geschichte“ in Rosenau sticht als ambitionierte Kreuzung heraus. Ausstellungen, Konzerte in der Weite der Vorburg, und im Kino die Vorpremiere eines Dokumentarfilms über besagte Arbeiter-Revolte, „Brașov 1987. Doi ani prea devreme“. Zehn Männer stehen im Anschluss vorn, und zwei Frauen, die die Parteizentrale gestürmt hatten vor 30 Jahren und Übles hatten durchmachen müssen nach diesem in der Ceaușescudiktatur einmaligen Streikmarsch. Es wird diskutiert, mit dem regen Leiter des Kronstädter Geschichtsmuseums, Nicolae Pepene, und mit Regisseur Liviu Tofan, der bescheiden am Rand steht, trotz langer Erfahrung als Journalist beim Radio Freies Europa und, heute, einer der nicht eben zahlreichen rumänischen Engagierten für Aufarbeitung der jüngeren Geschichte. Nach einer Stunde ist der Saal still. Schweigeminute. Danach die Hymne. Kurz, zwei Strophen statt vier oder elf, aber, ja, etwas wohl pocht dahinter. Darben, Frieren. Schläge im Verhör. Verbiegen, Ducken. Schüsse. Chaos. „Webe Dir ein anderes Schicksal.“
Weitere Kronstädter Musikfamilien: Kurt Philippis ...
Weitere Kronstädter Musikfamilien: Kurt Philippis „Stadtmusikanten“ mit u. a. Pfarrerstochter und Einschenk-Enkeln. Links Organistin Ursula Philippi. Kronstadt, Weberbastei, beim „Bunten Abend“ des Forums im Juni 2017.
Einige Denkmäler gibt es in Kronstadt, die an Diktatur und Revolution und ihre Opfer erinnern. Sie tun es, vielleicht macht das auch Sinn, in würdig gedeckten Farben. Wird nicht gesondert darauf hingewiesen, wollen sie erst entdeckt, erkannt werden. Schwarze, geschnitzte Holzkreuze etwa habe ich später auch in Bukarest gesehen. Nach und nach zu realisieren, dass ich täglich, schon auf dem Weg zum netten, deutschsprachigen Kindergarten unter den Spielzeugfelsen von Bartholomä, an mehreren Gedenkorten vorbeiging, das hat mich berührt.
Mahner Octav Bjoza, Vorsitzender des Verbands ...
Mahner Octav Bjoza, Vorsitzender des Verbands ehemaliger politischer Häftlinge, im versteckten Museum für die Opfer der Diktatur, Kronstadt.
Opferverbände sagen, es seien nicht Denkmäler genug. Octav Bjoza zum Beispiel, der mit Zellenkälte in der Stimme von bestialischen Foltermethoden in Gefängnissen der ersten, stalinistischen Diktaturjahre erzählt. Wenn dann noch eine Besucherin vor einer Fotowand in seinem „Museum für die Opfer des Kommunismus“ still in Tränen ausbricht und mühsam nach draußen tastet, was will man als zugereiste Jüngere dagegen sagen.
Ehepaar Arnulf und Gundel Einschenk in ihrer ...
Ehepaar Arnulf und Gundel Einschenk in ihrer traditionellen Musikinstrumentenhandlung und -werkstatt in Kronstadt.
Nur zwei, drei Minuten entfernt vom ehemaligen Parteihaus, aus dessen hohen Fenstern am 15. November 1987 Salami und Apfelsinen und ein brennender Ceaușescu flogen und in dem heute der umstrittene Bürgermeister sitzt, lag meine, unsere Wohnung. An einer hölzernen Schlucht von Hof, aus der, unter der Woche, manchmal Musik nach oben in die Schreibkammer stieg. Akkordeon, Geige, Klarinette, und an besonderen Tagen Klavier. Mal von Musikschüler-, mal von Konzertmeisterhand: aus dem Hof der trotz oft schwieriger Jahre der Stadt nicht verloren gegangenen Musikinstrumentenhandelsfamilie Einschenk. Hätte ich nicht andere Aufträge gehabt, ich hätte jeden Tag einfach hören können. Unter dem Zinnenwald, in Kirchen oder Kirchenburgen, großen oder abgelegenen, siebenbürgische Musiker, rumänische, europäische; meist unglaublicherweise kostenlos, wie die anderen Festivals auch.

Wenn es musikalische Städte gibt, ist Kronstadt eine. Vielstimmig. Eine wunderbare Lesung mit DJ hatte ich hier. Und noch nie habe ich mit so vielen OrganistInnen an einem Tisch gesessen. Tradiert spielen können sie, volkstümlich, virtuos, neuere Musik. Ingeborg Ackers Canzonetta lässt Kinder singen, flöten, trommeln, in den Sprachen der Welt. Die erwachsenen beiden Acker-Kinder, Petra und Michael, sind noch moderner, jazzen, grooven auf viele Weisen. Auch auf Haferlandwoche, Heimattreffen, Kirchentag. Vielleicht nicht zum Verständnis jedes Mitglieds der älteren Generation. Aber als ein Zeichen, dass die nach außen sehr traditionell wirkende Siebenbürger-Sachsen-Gemeinschaft im 21. Jahrhundert lebt.
Tänzerin Petra A. Binder in schulnaher ...
Tänzerin Petra A. Binder in schulnaher Kronstädter Gasse. Und ganz links: „Sehnsucht“!
Inspirierend auch für die Zukunft ist sie jedenfalls. Der Auftrags-Stadtschreiberinnenblog wird nicht die Hauptveröffentlichung bleiben. Ich kann nur einladen, jetzt oder später zu stöbern. Internetsuchwörter wie „Stadtschreiberin Kronstadt Brașov 2017“ zeigen schon jetzt interessante Wege in Wort und Bild und Film.

Paula Schneider

Schlagwörter: Stadtschreiberin, Kronstadt, Geschichte, Blog

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