21. Juni 2018

Selbstverordneter Idealismus: Nachdenken über Verlorenes und Suche nach Neuem

Ruxandra Hurezean ist nicht nur eine Publizistin, die in Deutschland Gefahr liefe, als „Edelfeder“ bezeichnet zu werden – allzu anspruchsvoll engagiert sie sich für intellektuelle Anliegen, die zumindest nicht jedermanns unmittelbare Sorge sind. Ihre Zeitschrift „Sinteza. Revistă pentru cultură și gândire strategică (Zeitschrift für Kultur und strategisches Denken)“ trägt den Anspruch schon im Titel – und löst ihn mit jedem Aufsatz ein. Nein, sie ist noch dazu eine hochprofessionelle Soziologin, die gesellschaftliche und politische Zusammenhänge und Entwicklungen durch ein äußerst trennscharfes Prisma betrachtet. Was nun bringt eine Persönlichkeit dieses Kalibers dazu, in einem Buch „Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben erzählen“ zu lassen, wo doch von vornherein ausgemacht ist, dass die Erzählungen nicht besonders erquicklich und soziologisch von minderer Relevanz sein dürften?
Nun, Ruxandra Hurezean ist eben auch ein Mensch mit dem Gespür dafür, dass ausgerechnet Verluste Humanität zu befördern vermögen – und um Letzteres geht es ihr. Dabei benötigt man keine hochtrabende Begrifflichkeit, der bodenständige Wortschatz der lebenserfahrenen Menschen, die sie in Dörfern und Städten gesprochen hat und nun sprechen lässt, reicht völlig aus, die Dinge auf den Punkt zu bringen, wie etwa Frau Sophia aus Deutsch-Kreuz, die beklagt, dass in der Welt zu viel Ich und zu wenig Wir ist. Das vermeint man ja selbst zu wissen, jedoch muss es immer wieder gesagt werden. Auf dass es wieder und wieder gesagt werde, stand ein Gespräch mit der Regisseurin dieses durchaus eigenen, eigenartigen, informellen und doch so eloquenten Forums auf dem Programm des Heimattages in Dinkelsbühl 2018.

Hier nun saß sie mit Robert Schwartz von der Deutschen Welle und dem Publizisten und – diesmal vornehmlich – Übersetzer Georg Aescht Menschen gegenüber, die auf diesem Forum auch gar manches hätten vorbringen können. Hier nun wollten sie weniger die zum Teil schon bei anderen Gelegenheiten und vielleicht sogar wiederholt vernommenen Erzählungen von Ruxandra Hurezeans Gesprächspartner hören als ihre eigene Geschichte und die des Buches kennenlernen, etwas über ihre Beweggründe erfahren. Vor allem aber waren sie begierig zu hören, wie dieses publizistische Beginnen in Rumänien und von rumänischen Lesern eingeschätzt und ob es geschätzt wird.

Die Motivation der rumänischen Autorin liegt ebenso wie die der Menschen, die ihr Rede und Antwort gestanden haben, im Verlustempfinden einerseits und im Willen, diesen Verlust nicht fatalistisch hinzunehmen. Ruxandra Hurezean verbindet mit ihren Forumsteilnehmern von Johann Schaas aus Reichesdorf bis zu Friedrich Philippi in Hermannstadt und Caroline Fernolend in Deutsch-Weißkirch ein gedämpfter Idealismus, den sie sich nicht selbst ausgesucht haben, zu dem die Zeitläufte sie gezwungen haben, den sie sich aber so zu eigen machen, dass sie Kraft daraus beziehen.
Buchpräsentation in Dinkelsbühl, von links: Georg ...
Buchpräsentation in Dinkelsbühl, von links: Georg Aescht, Ruxandra Hurezean und Robert Schwartz. Foto: Hans-Werner Schuster
Rumänien hat sich geändert und wird sich ändern, sagt die rumänische Autorin, in Kronstadt etwa gibt es 92 Firmen mit deutschem Kapital, wirtschaftlich konsistente Interessen werden hier verfolgt, Geschäfte betrieben, die in ihren Augen durchaus Optionen auch für Aussiedler der zweiten oder dritten Generation eröffnen. Die Lücke, die der Abschied der Deutschen aus der rumänischen Geschichte gerissen hat, empfindet sie allerdings nicht nur als wirtschaftliche und kulturelle Einbuße, sondern auch als schandhaft für Rumänien, weshalb es ihr gleichsam unstatthaft erscheint, an einen – zumindest hypothetischen – Rückkehrwillen zu appellieren. Dennoch tut sie es verhalten, tun es – natürlich nur implizit – alle, mit denen sie geredet hat und die sie in ihrem Buch reden lässt. Dieses ist eine Dimension ihres ganzen Vorhabens, das utopisch zu nennen man geneigt wäre – hätte man nicht so reale Beispiele der Realisierbarkeit vor Augen. Das eine ist ausgerechnet der Förderer der beiden Publikationen, der Unternehmer Michael Schmidt, der mit seiner gleichnamigen Stiftung in die rumänische Öffentlichkeit hineinwirken will, nicht nur zum Gedenken an seinen Heimatort Deutsch-Kreuz, sondern überhaupt zum Nachdenken über das Verlorene und die Suche nach neuen Wegen. Damit verdient man weder Geld noch Lorbeeren, für Michael Schmidt aber ist dieses Wirken genauso eine Herzensangelegenheit wie für Peter Maffays Projekte in seiner ehemaligen Heimat, die ganz anderen Zwecken dienen als der schönen lauten Kunst oder dem schnöden Musikverkauf.

Es war zwar der Heimattag der Siebenbürger Sachsen, doch Ruxandra Hurezean weiß sehr wohl, dass diese der historischen Aufklärung (nicht nur) über Siebenbürgen vielleicht weniger bedürfen als ihre rumänischen Landsleute zumal jenseits der Karpaten. Nicht nur der kommunistische Staat hat seinen Bürgern die Wahrheit vorenthalten, auch im postkommunistischen Rumänien ist die Erleuchtung einstweilen ausgeblieben, und die – nicht nur in Rumänien – ins Kraut schießenden Nationalismen verpesten die intellektuelle Atemluft. Dennoch kann sie mit einiger stolzer Freude von 300 Kommentaren, nicht zuletzt aus Bacău, zu einem Blog-Text berichten und davon, dass die Reaktionen zu ihren Veröffentlichungen noch nie negativ gewesen seien, wenngleich man etwa im Schulunterricht die Thematik immer noch unters Katheder fallen lässt.

Die Menschen in Rumänien wollen wissen von denen, die das Land nicht mehr mit ihnen teilen. Viel ist zu Bruch gegangen, was weder mit Büchern noch mit Gesprächen zu kitten ist, vielleicht ist es möglich, die Bruchstücke neu zusammenzufügen. Ruxandra Hurezean sucht sie zusammen und hält sie ins Licht. Ihr Glaube ist so sehr Gegenwart, dass er keine Zukunft braucht. Den Weg dorthin kennt auch sie nicht, dass er mühsam ist, wissen alle, vielleicht verhält es sich ja aber mit diesem Weg wie mit der Straße nach Deutsch-Weißkirch. Sie ist wohl der schlechtesten eine im ganzen Land und wird doch tausendfach genutzt hin zum wohl bekanntesten, ja berühmtesten Dorf dieses Landes.

Georg Aescht


Ruxandra Hurezean: „Deutsch-Kreuz. Geschichte, Geschichten und Leben eines siebenbürgisch-sächsischen Dorfes“. Mit einem Vorwort von Emil Hurezeanu. Deutsche Fassung: Catrinel Pleșu. Honterus Verlag, Hermannstadt, 2017, 14 Euro.
Ruxandra Hurezean: „Zwischen den Welten. Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben erzählen“. Deutsche Fassung: Beatrice Ungar. Honterus Verlag, Hermannstadt, 2017, acht Euro. Jeweils zuzüglich zwei Euro Versand.
Bestellungen: www.fundatia-michael-schmidt.org/de oder telefonisch bei Alexandra Pascu: (0040-742) 22 24 52

Schlagwörter: Heimattag 2018, Buchvorstellung, Deutsch-Kreuz, Aescht, Michael Schmidt Stiftung

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