25. Juni 2018

Die Siebenbürger Sachsen im Spannungsfeld zwischen Integration und Assimilation

Ostern 2018, 35 Jahre nach der Ausreise erstmals wieder das Burzenland gesehen und begriffen, dass es kein Zurück gibt. Die Heimat, die verklärt und unverändert im Gedächtnis gespeichert war, war eine Illusion. Alles verfällt, was Siebenbürger Sachsen hinterlassen haben, oder wird höchstens noch als museumsreif erhalten. Was bleibt, sind Erinnerungen an eine Kultur, die aus der Ferne nicht aufrechterhalten werden kann. Ich möchte deshalb ein paar Gedanken teilen zum Thema Kultur, Gesellschaft und Gestaltungswille.
Ein junger rumänischer Kollege kennt die Sachsen als die „Flüchtlinge“, die in der D-A-CH-Region (D-A-CH: ein Kunstwort für Deutschland, Österreich und die Schweiz; die Redaktion) Unterschlupf gefunden haben. Trotz dieser befremdlichen Einschätzung brachte mich das auf den Gedanken, über meine Integration in der 1983 gewählten neuen Heimat nachzudenken.

Es wurde Zeit, Wikipedia zu bemühen, um zu erfahren, was Integration bedeutet, bevor ich den Erfolg meiner Integration beurteilen konnte. Kurz: Ich bin integriert und darf meine Kultur hier weiterpflegen – was für eine beunruhigende Aufgabe! Thomas Morus sagte im 15. Jahrhundert: „Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“ Sehr erklärungsbedürftig! Es stellt sich die Frage, wie es die Aussiedler mit ihrer Kultur halten. Wird sie wertgeschätzt? Geht sie in der hiesigen deutschen Mehrheitsgesellschaft unweigerlich unter oder sind speziell unsere Werte zukunftsweisend? Also Wikipedia weiter bemüht und folgende erhellende Hinweise von Soziologen gefunden:

Kultur und ihre Schwächen: Der Gesellschaftscharakter gibt dem Menschen gewisse Denk- und Verhaltensstrukturen vor. Diese werden von der Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder über die Familie als Werte und Normen wie eine zweite Natur übernommen und gewährleisten dadurch den Fortbestand der Kultur.

Wir alle sind Teil der Gesellschaft, der wir uns zugehörig fühlen. Je nachdem, wie groß der Kreis gezogen wird: Weltbürger, Europäer, Bayer oder Siebenbürger Sachse, beeinflusst dies auch die eigenen Kinder und deren Kultur.

Wir können uns in Deutschland nicht separieren, wie es in Siebenbürgen der Fall war, sondern haben unsere sozialen Kontakte so gepflegt, dass wir heute in einer Subkultur in Deutschland leben und die anderen Deutschen als Unseresgleichen akzeptieren. Bleibt das so statisch, würden wir die Asche bewahren, und sollten doch unsere Flamme weitergeben: das heißt unsere Stärken zur Gestaltung der Zukunft unserer (neuen) Gesellschaft einbringen!? Wo sind wir anders? Was können wir beitragen?

Die Recherche zur Situation der deutschen Mehrheitsgesellschaft und -kultur zeigt, dass Umdenken dringend geboten ist und besonders wir „Außenstehende“ können das erkennen und korrigieren helfen:

Die starke Konformität der modernen Gesellschaft hat Schattenseiten. Sie entfremdet den Menschen von seinem Selbst und zwingt ihn mit psychosozialen Störungen unter Aufrechterhalt des etablierten Gesellschaftscharakters zu leben. Harte Ansage des Soziologen:

• Das vernünftige Hinterfragen von Gegebenheiten und das Urteilen und Handeln nach fundierten Grundsätzen wird oft zugunsten der Konformität unterlassen.

• Anstatt sich mit Konflikten, die das eigene Selbst betreffen, auseinanderzusetzen, beschäftigt sich der Einzelne ständig mit neuen Vergnügungen aus der breiten Palette kultureller Opiate (Ausgehen, Kaufen, Kino, Urlaub, Digitale Welt, Erwerbsarbeit …). In unserer modernen Gesellschaft besteht deshalb nicht einmal mehr die Notwendigkeit, sich seiner selbst bewusst zu werden!

• Der entfremdete Mensch ist vor allem durch das hohe Maß an Manipulation sich selbst und anderen gegenüber gekennzeichnet. Die Beziehung zu seinen Mitmenschen kann somit zwangsläufig nur krankhafter Art sein und ist im Allgemeinen von Gleichgültigkeit durchsetzt. Hinter der aufgesetzten Freundlichkeit stehen nur der Wunsch nach Selbstbestätigung und die egoistische Motivation, dass der andere einem irgendwann von Nutzen sein könnte.

Nach dieser düsteren, aber links und rechts beobachtbaren Skizze Erich Fromms von der modernen Gesellschaft ist es meiner Meinung nach nicht erstrebenswert, darin aufzugehen (Assimilation). Wenn wir stattdessen helfen und gestalten wollen, müssen wir eine Subkultur pflegen! Denn nur wer nicht konform ist, kann die Gesellschaft weiterentwickeln. Integration versus Assimilation versus individuelle Inklusion

Was ist gesellschaftliche Integration?

• Integration ist der allgemeine Einbezug von bisher aus gewissen sozialen Aspekten ausgeschlossenen Men­schen und Gruppen.

• Integration von Zugewanderten und Ausländerintegration ist die Aufnahme von Immigranten in das nationale Sozialgefüge.

• Im Gegensatz zur Assimilation (völlige Anpassung) verlangt Integration nicht die Aufgabe der eigenen kulturellen Identität!

Unter Beibehaltung der eigenen kulturellen Identität bleiben laut dem Soziologen Hartmut Esser folgende Erfolgskriterien für die gesellschaftliche Integration einer Subkultur:

bezüglich Kulturation: die kulturelle Integration im Sinne des Erwerbs von Wissen und Fähigkeiten einschließlich der Sprache

bezüglich Platzierung: die strukturelle Integration, insbesondere im Sinne von Bildungsbeteiligung und Arbeitsmarktbeteiligung

bezüglich Interaktion: die soziale Integration im Sinne der sozialen Beziehungen im Alltag

bezüglich Identifikation: die emotionale Integration im Sinne eines persönlichen Zugehörigkeitsgefühls zur Gesellschaft

So richtig fortschrittlich gilt heute die Integration durch Inklusion.

Inklusion als verteilte Subkultur

Das Wort „Integration“ verwenden die zu Integrierenden nur ungern, weil die Mehrheitsgesellschaft damit eher Assimilations-Erwartungen hegt. Der Verband für Binationale Familien und Partnerschaften befürwortet zukunftsweisend den Begriff „Inklusion“. Dieser wird bisher nur für die Gruppe der Behinderten verwendet. Es geht dabei aber generell um die Vision einer Gesellschaft, die jeden einbindet. Es braucht anstelle von Assimilation oder Ausgrenzung „das gemeinsame Vergewissern, Balancieren, Aushandeln, wo man gemeinsam steht und wo man zusammen hin möchte“, um die Gestaltung einer „inklusiven Gesellschaft“ erfolgreich zu machen.

Gestaltungsdrang

Wie kann ein einzelner Siebenbürger Sachse seiner Schaffenskraft Richtung geben? Für den empfohlenen öffentlichen Verständigungsdialog der inklusiven Gesellschaft braucht es sich ihrer selbst bewusste Mitbürger, die für ihre Überzeugungen einstehen und nicht für Manipulation anfällig sind. Selbstbewusste Menschen brauchen keine Konformität mit dem Gesellschafts- oder Subkultur-Charakter, um sich wohl zu fühlen. Stattdessen entwickeln sie ihr eigenes Weltbild, eigene Werte und es reicht bereits ein einziger Gleichgesinnter, um nicht einsam zu sein.

In der inklusiven Gesellschaft gibt es weder Homogenität noch isolierte Subkulturen, sondern weit verstreute und trotzdem vernetzte Individuen unterschiedlichster Couleur. Der einzige notwendige Schritt, sich seiner selbst bewusst zu werden und gleichzeitig Manipulation zu unterbinden, ist achtsam seine Gedanken zu beobachten ist, denn:

1. unsere Gefühle sind die Triebfeder zu allerlei Handlungen und Haltungen

2. unsere Gedanken erzeugen unsere Gefühle. Auch fremde Gedanken können das. Wenn man etwas liest oder jemandem zuhört, macht man sich dessen Gedanken zueigen und liefert sich den damit erzeugten Gefühlen und induzierten Handlungen aus.

3. man kann und soll über sein Bewusstsein seine eigenen Gedanken beobachten und in Frage stellen. Steter Selbstzweifel ist notwendig für die geistige Gesundheit.

Meine Recherche endete hiermit. Statt Reisebericht gibt es diesen Appell von mir: anstatt konform zu gehen und sich kultureller Opiate zu bedienen, sich lieber seiner selbst bewusst zu werden, die Manipulation durch andere zu stoppen, Verantwortung in unserer hiesigen Gesellschaft zu übernehmen und an Lösungen für dringliche gesellschaftliche Probleme der Moderne mitzuarbeiten. Wir Siebenbürger Sachsen können das, da wir nicht assimiliert sind!

Klaus Weber

Schlagwörter: Diskussion, Integration, Assimilation

Bewerten:

20 Bewertungen: +

Neueste Kommentare

  • 25.06.2018, 08:41 Uhr von Äschilos: Wie sagte schon Ferdinand von Schirach ? Heimat ist kein Ort, es ist unsere Erinnerung [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.