25. Dezember 2018

Weihnachten vor 30 Jahren in Siebenbürgen

Die Idee entstand spontan, wie so oft bei meinen regelmäßigen Reisen nach Siebenbürgen. Wieder einmal erkundete ich im Spätsommer dieses Jahres den faszinierenden Landstrich im Südosten Europas. Zusammen mit Dagmar Dusil, der Dorfschreiberin von Katzendorf, ihrem Mann und weiteren Begleitern aus Deutschland. Unsere Gruppe erreichte Hetzeldorf. Ein Ort, der mir keineswegs fremd war.
Vor genau 30 Jahren verbrachten vier Individual-Touristen aus der DDR dort das Weihnachtsfest. Die Anreise gestaltete sich seinerzeit etwas umständlich. Per Anhalter reisen ging natürlich nicht bei den damals herrschenden Minustemperaturen und dem vielen Gepäck. Öffentliche Verkehrsmittel fuhren eher selten. Mein Kumpel Heiko kannte in dieser Siedlung die Familie Alischer und nahm mich einfach mit. Unsere Gastgeber konnten ihre Aufregung nicht verbergen, als vier Weitgereiste wie aus dem Nichts in ihren Heiligabend hineinplatzten. Nach einer herzlichen Begrüßung besuchten wir allesamt den Gottesdienst. Meine damalige Freundin lief nach alter Sitte gemeinsam mit den Frauen zur Kirche. Und wir Männer bildeten ebenfalls eine Gruppe. In der Kirche galt selbstverständlich eine genaue Sitzordnung. Auffällig war, dass viele Männer wunderschöne weiße und bestickte Mäntel trugen. Und die Bescherung für die Kinder, die vom Pfarrer einzeln aufgerufen wurden, wäre ohne die vielen Hilfssendungen aus der damaligen Bundesrepublik wohl so nicht möglich gewesen. In einer realsozialistischen Mangelwirtschaft, die sich kurz vor dem Kollaps befand.
In diesem Haus wurde der Autor Weihnachten 1988 ...
In diesem Haus wurde der Autor Weihnachten 1988 freundlich aufgenommen. Foto: Roland Barwinsky
Anschließend genoss ein putzmunteres Quartett das beschauliche Zuhause unserer Gastgeber. Erinnern kann ich mich vor allem an die aufgeweckte Moni, die damals das Gymnasium in Mediasch besuchte. Und an ihren Vater, der leidenschaftlich gern auf die Jagd ging und oft von seinen Erlebnissen erzählte. Auch in Hetzeldorf organisierten die Siebenbürger Sachsen im Dorf anlässlich des Weihnachtsfestes einen großen Kulturabend mit Theater in deutscher Sprache. Mit Liedern und Tanz bis zum frühen Morgen. Ein Gast teilte mir auf diesem Ball im Laufe des Abends mit, dass er vor Jahren die ostdeutsche Gruppe „Karat“ in Mediasch erlebt und sie ihm sehr gut gefallen habe. Viel später erfuhr ich dann die ganze Geschichte der Rumänientouren dieser Band, deren Überhit aus den 1970er Jahren „Über sieben Brücken“ von Peter Maffay gecovert wurde. Ausflüge in die Umgebung unternahmen wir nicht viele. Denn der Eisenbahn-Haltepunkt Ațel befand sich einige Kilometer vom Dorf entfernt, und es wurde ja schnell dunkel.

All diese Bilder tauchten bei meiner Reise nach Rumänien im September 2018 plötzlich wieder recht lebendig in meinem Kopf auf. Aber wo lag eigentlich das Domizil unserer damaligen Gastgeber? Ich überlegte: eine Brücke, ein Bach, ein verschlossenes Tor. Pustekuchen! Also umgehend zurück und von Neuem Anlauf genommen, dieses Mal von der anderen Seite. Ich musste erleben, dass ein neues Haus den Zutritt zum ehemaligen Alischer-Gehöft versperrte. Der ungarisch sprechende Besitzer bat uns herein. Auffällig war, dass sich auf der anderen Seite ein „lost place“, eine unbewohnte Liegenschaft ausbreitete. Die private Weihnachtsherberge von einst nutzte der neue Eigentümer nämlich als Lagerräume. Im ehemaligen Wohnzimmer, in dem ich 1988 übernachtet hatte, standen irgendwelche Säcke. Draußen wucherten bunte Büsche. Fast wie im Märchen, Dornröschen oder so ähnlich. Schnell ein paar Fotos gemacht.

Dann ging es weiter. In Hetzeldorf zeigte uns Dagmar Dusil, eine herzensgute Frau, noch weitere bemerkenswerte Sachen. Im Gepäck befand sich jetzt Selbstgebrannter. Hochprozentiger Tzuika von dem ungarischen Mann, dem es gefiel, dass jemand nach diesem Gehöft gefragt hatte. Einfach so. Weil eben selbst erlebte Geschichte lebenslang lebendig bleibt.

Roland Barwinsky

Schlagwörter: Weihnachten, Erinnerungen, Barwinsky

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