28. März 2019

Von fremder DNA lernen

Zum Leipziger Buchmesseauftritt Rumäniens im März 2018 erschien Heft 224 der Zeitschrift „Sprache im technischen Zeitalter“ mit einem Schwerpunkt auf zeitgenössischer rumänischer Dichtung unter dem Titel „DNA-Sequenzen – Neue Lyrik aus Rumänien“. Der in Hermannstadt geborene Literaturwissenschaftler Radu Vancu hat vier Lyrikerinnen und vier Lyriker (beabsichtigte Geschlechtergleichheit!) aus verschiedenen Teilen des Landes ausgewählt – „jede und jeder von ihnen repräsentiert eine wesentliche DNA-Sequenz der rumänischen Literatur von heute – und damit auch implizit von Rumänien“, heißt es in Vancus einführendem Text. „Von Genetikern wissen wir, dass wir anhand der DNA anderer Lebensformen Wesentliches über unsere eigene DNA lernen können. Daher bin ich mir sicher, dass die genetischen Informationen dieser rumänischen Lyriker vitalisierend wirken können – auch für deutschsprachige Leser.“
Den Anfang macht Svetlana Cârstean (*1969), die fragt: „wie hoch von der Erde kann Poesie mich heben“ und mit den „Töchtern der alten Revolutionen“ Erinnerungsarbeit leistet, während Rita Chirian (*1982) die Dunkelheit begrüßt („hello darkness“) und „unter der knochenkapuze“ Stille einkehren lässt. Dan Coman (*1975) ist eine kleine Offenbarung: Wie er in „apfel mit keksen“ über einen Moment zwischen Vater und Tochter schreibt, fühlt sich nach Zuhause an, ist so intim und berührend. Allein der Titel des Gedichts verströmt einen Duft, hinterlässt einen Geschmack, hüllt einen in Kindheit, Geborgenheit, Liebe. Kraftvoll sind dagegen Teodora Comans (*1976) Gedichte, denn „das Tranchieren eines Problems erfordert:/ Kraft in den Armen/ ein Werkzeug von großer Genauigkeit/ und einen Gnadenstoß/ ohne methodische Erläuterungen“ – ihr Werkzeug ist die Sprache. Bei Domnica Drumea (*1979) begegnen wir einem passiven lyrischen Ich, das immer nur Objekt ist: Es wird dressiert, benutzt, überschwemmt, vernichtet. „mein leben ist ein endloses schneefeld. […] mein leben ist ein endloses schneefeld. […] ich bin ein endloses feld schmutzigen schnees.“ Wer denkt schon an Schmutz, wenn Schnee im Spiel ist? Teodor Dună (*1981) dekonstruiert den menschlichen Körper, seziert und poetisiert Tod, Knochen, Gewebe, Verwesung „jetzt, da der lärm des grases den des fleisches übertönt“, und Claudiu Komartin (*1983) sinniert: „da schau her, noch schreibe ich gedichte, oder was immer das sein mag,/ während man auf dieser welt unter gedichten/ tausenderlei/ und wohl dann und wann auch niemand mehr/ irgendwas versteht.“ Ist das Selbstironie oder Koketterie? Ștefan Manasia (*1977) schließlich dichtet Musik, harte, schnelle Rhythmen in einer Nacht, in der man trunken durch die Straßen zieht und sich fragt: „Wie sieht die Kindheit eines Außerirdischen aus?“.
Übersetzt wurden die Texte von Georg Aescht, Alexandru Bulucz und Ernest Wichner – aber über sie kein Wort in der Zeitschrift, dabei können die deutschsprachigen Leser nur dank ihrer die ausgewählte Lyrik in dem ihnen vertrauten Idiom lesen. Schade! Ein paar Zeilen zu jedem im Anhang – ähnlich wie zu den Autoren des Heftes – hätten Platz gehabt und ihn auch verdient, denn es lohnt sich sehr, Radu Vancus Lyrikauswahl zu lesen und diese acht verschiedenen „DNA-Sequenzen“ auf sich wirken zu lassen: Einige fühlen sich vertraut an, als wären es die eigenen, andere sind fremd und ungewohnt, aber alle lösen etwas aus und jede für sich ist eine Entdeckung.

Doris Roth


Sprache im technischen Zeitalter, Heft 224, Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien, 2017, 118 Seiten, 14 Euro, ISBN 978-3-412-50948-4.

Schlagwörter: Zeitschrift, Lyrik, Rumänien, Übersetzungen, Besprechung, deutsch-rumänische Beziehungen

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