8. Oktober 2019

Dr. med. Karl Ungar zum 150. Geburtstag

Sein Name ist weit über seine Lebenszeit hinaus im kollektiven Gedächtnis der Hermannstädter Bevölkerung lebendig geblieben. Über viele Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts war seine bei Kraft und Drotleff 1925 erschienene „Flora Siebenbürgens“ ein wichtiger Begleiter botanisch interessierter Natur- und Wanderfreunde. Wer kannte es nicht, das handliche Bestimmungsbuch mit dem schlichten, vom Maler Hans Hermann gestalteten Buchdeckel, der einen stilisierten stengellosen Enzian zeigt. Bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde es auch in Schulen oder bei Schülerexkursionen zum Bestimmen von Pflanzen genutzt, bis es von neueren, bunt bebilderten Bestimmungsbüchern abgelöst wurde. Doch nicht allein durch seine botanische Tätigkeit, sondern auch für seine medizinischen Leistungen und vieles mehr war Dr. Karl Unger eine bekannte Persönlichkeit.
Karl Gustav Ungar wurde am 9. September 1869 in Hermannstadt, Sporergasse Nr. 619, Ecke Salzgasse (heute General Magheru), geboren. Sein aus Schäßburg gebürtiger Vater Friedrich Ungar war Webermeister, seine Mutter Johanna entstammte als Tochter des Webermeisters Samuel Martini ebenfalls dem Handwerkermilieu. Nach dem Besuch der Hermann­städter Volksschule und des evangelischen Gymnasiums, wo er sich unter anderen durch seine organisatorischen Fähigkeiten beim Verband der Gymnasialschüler (Coetus) auszeichnete, studierte er Medizin in Wien und Graz. Da der Vater inzwischen verstorben war und die Mutter wenig bemittelt zurückblieb, wurde Karl Ungar durch seinen älteren Bruder Friedrich finanziell unterstützt. Sein großes Interesse galt bereits in seinen frühen Jahren den exakten Wissenschaften, zunächst vorrangig der in seiner Zeit aufstrebenden modernen Medizin, neben der er aus Freude an Natur und Landschaft, insbesondere aber an der Botanik, intensiven Studien der heimischen Pflanzenwelt nachging.

Kurz nach seiner Promotion zum Dr. med. an der Universität Wien am 14. Juli 1894 kehrte er als junger Arzt nach Hermannstadt zurück, wo er bald die Ernennung zum Assistenzarzt-Stellvertreter beim Garnisons-Spital Nr. 22 in Hermannstadt erhielt. Kurz darauf heiratete er 1895 Alberta Mangesius (1870-1919), die Tochter des Forstmeisters der Siebenrichterwaldungen Albert Mangesius (1841-1912). Dem Ehepaar Ungar wurden drei Kinder geboren, zwei Töchter und ein Sohn, wobei die Jüngste bereits in frühem Kindesalter verstarb. Viele mit Humor an seine Tochter Berta während ihrer Ausbildung in Wien gerichtete Briefe lassen in ihm einen liebevollen, wenn auch oft sanft bis strenger ermahnenden, doch sehr verständnisvollen Vater erkennen.

Fast zeitgleich mit dem Beginn seiner beruflichen Tätigkeit als Arzt setzte 1895 mit Beginn seiner Mitgliedschaft im „Siebenbürgischen Verein für Naturwissenschaften in Hermannstadt“ seine ehrenamtliche Tätigkeit ein. Vom Bibliothekar der medizinischen Sektion (1903) zum Schriftführer (1904-1920) des Gesamtvereins und Kustos der botanischen Sammlungen (1906-1933) bis hin zum Vorstandsstellvertreter (1920-1925) und schließlich zum Vorstand (1925-1933) hat er in seiner ehrenamtlichen Tätigkeit unterschiedliche Ämter bekleidet.

Nach seinen beruflichen Anfängen als Krankenkassenarzt rückte Dr. Karl Ungar nach fünf Jahren, 1900, zum Sekundararzt am damaligen Franz-Josef-Bürgerspital auf. Ab 1909 war er dann 20 Jahre lang Primararzt und gleichzeitig Leiter der Abteilung für Anatomische Pathologie im Bürgerspital. Während des Ersten Weltkriegs leitete er die Chirurgische Abteilung am Garnisonsspital. Für diese Tätigkeit und die Verantwortung für Leben, Pflege und Gesundheit der Soldaten wurde er mit dem Franz-Joseph-Orden ausgezeichnet. In seinen letzten zwei Dienstjahren war er Chefarzt der Abteilung Infektionskrankheiten am Hermannstädter Krankenhaus. 1928 trat er in den Ruhestand, leitete aber danach noch drei Jahre lang die im Frecker Sanatorium, der ehemaligen Sommerresidenz Samuel von Brukenthals eingerichtete Kaltwasserheilanstalt.
Dr. Karl Ungar, Porträt aus jüngeren Jahren ...
Dr. Karl Ungar, Porträt aus jüngeren Jahren
Sein erfolgreiches, medizinisches Wirken kann aus heutiger Sicht in mehrere Teilgebiete gegliedert werden. In erster Reihe ist er als Mediziner und Forscher zu erwähnen, wobei er sich mit der Ursache der von ihm behandelten Krankheitsfälle befasste, Untersuchungen, die immer gründlich und genau, mit ausführlicher Quellenangabe versehen waren.

Einige seiner Arbeiten erschienen in den großen medizinischen deutschsprachigen Periodika in Wien und München. Zahlreiche ähnliche wissenschaftliche Publikationen sind in den Hermannstädter „Verhandlungen und Mitteilungen des Siebenbürgischen Vereins für Naturwissenschaften“ zu finden. In einem weiteren, dem medizinischen Tätigkeitsbereich weist sich Karl Ungar als Arzt für Volksgesundheit und Hygiene aus, der 40 Jahre lang einen bedeutsamen Anteil an der Bekämpfung von Seuchen wie Typhus und TBC in Hermannstadt und Siebenbürgen hatte.

Dr. Ungar war auch als Mikrobiologe und Bakteriologe tätig. So führte er bereits vor der Jahrhundertwende die mikroskopischen und bakteriologischen Untersuchungen am Hermannstädter Bürgerspital ein. Ferner war Dr. Ungar Initiator und Leiter der Kuranstalten im Brukenthal-Sanatorium Freck und Förderer des Höhenkurortes Hohe Rinne. Mit Letzterer verband er auch botanische Untersuchungen. So richtete er einen kleinen Alpengarten ein, um den Kurgästen die heimische Gebirgsflora näherzubringen. Seine Tätigkeit im Siebenbürgischen Karpatenverein war ebenfalls mit der im Kurort Hohe Rinne verbunden. Außer dem botanischen Garten legte er, um die Kenntnisse der heimischen Gebirgsflora zu fördern, ein Herbarium, bestehend aus zehn Faszikeln mit den wichtigsten Karpatenpflanzen, an, das heute noch im Naturwissenschaftlichen Museum in Hermannstadt vorliegt.
Dr. Karl Ungar bei einer Wanderung auf der Hohen ...
Dr. Karl Ungar bei einer Wanderung auf der Hohen Rinne. Fotoarchiv: Erika und Eckbert Schneider
Als Mediziner und Mensch mit hohem Ethos waren Dr. Ungar auch große sozial-politische Anliegen wichtig. Er schrieb über „Mäßigkeit und Enthaltsamkeit“ und „Die sittlichen Grundlagen des sozialen Lebens“ und war im Jahre 1917, entgegen dem damaligen Trend, ein Vorkämpfer für den Frieden. Ein nicht veröffentlichter Beitrag mit dem Titel „Die psychologischen Vorbedingungen des Völkerfriedens“ und der gedruckte Artikel „Krieg und Medizin“ sind Belege seines pazifistischen Weltbildes. Ungars naturwissenschaftliches Weltbild ist vom Darwin’schen Evolutionsgedanken geprägt. Dazu veröffentlichte er 1907 einen Beitrag in den Verhandlungen und Mitteilungen. Anlässlich einer Festrede des Vereins sagte er sinngemäß: Die Wissenschaft soll eine Fackel der ethischen und geistigen Bildung sein, die das Menschengeschlecht heraushebt aus seiner Dumpfheit und Stumpfheit.

Seine botanische Tätigkeit lässt sich, wie auch die medizinische, in unterschiedliche Schaffensperioden gliedern. Sie zeichnet sich mit seiner Wahl zum Schriftführer des Vereins (1904) und bald danach durch sein Amt als Kustos der botanischen Sammlungen deutlicher ab. Gleichzeitig verbindet sich mit dem Aufblühen des 1880 gegründeten Siebenbürgischen Karpatenvereins (SKV) Ungars Bestreben, einen Beitrag zur besseren Kenntnis der Alpenflora zu leisten. Dieser erschien 1913 in Form der „Alpenflora der Südkarpaten“, deren Herausgeber der SKV war. Mit ihren Farbtafeln (nach Gustav Hegi erstellt) wurde sie für botanisch interessierte Bergwanderer zu einem guten Wegbegleiter. In enger Zusammenarbeit zwischen dem Siebenbürgischen Verein für Naturwissenschaften und dem SKV veranstaltete Dr. Ungar auch Vorträge zur Alpenflora, wobei der Erlös der Ausgestaltung des bereits erwähnten Alpengartens auf der „Hohen Rinne“ zugutekam. Dr. Ungars Interesse galt jedoch nicht nur der Alpenflora, sondern der siebenbürgischen Pflanzenwelt insgesamt, die er mit besonderer Intensität nach 1918 anging. Mit der Herausgabe des Bestimmungsbuchs zur Flora Siebenbürgens verband er die Schaffung einer Siebenbürgischen Pflanzensammlung, die als Beleg zu seinem Buch gedacht war. Sie besteht heute noch und umfasst auch Teile der integrierten, alten Pflanzensammlungen vom Ende des 18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.

Mit Dr. Karl Ungar sind auch die Anfänge des Naturschutzes in Hermannstadt verbunden. Diesbezüglich knüpfte er fachliche Verbindungen mit Prof. Dr. Alexandru Borza, dem Leiter des Klausenburger Botanischen Gartens, der zu den ersten Verfechtern des Naturschutzes in Siebenbürgen und Rumänien zählte.

Ein Gesamtbild der Persönlichkeit Dr. Karl Ungars wäre kaum vorstellbar, sollte man seine Tätigkeit im gesellschaftlich-kulturellen Leben von Hermannstadt unerwähnt lassen. So war er auch ein großer Förderer der Musik und des Theaters im Hermannstädter Kulturleben. Er war Mitglied des bekannten Männerchors „Hermania“ und mehr als ein Jahrzehnt auch dessen Vorsitzender. Dank seiner guten Bass-Singstimme war er immer wieder ein mit hohem Applaus bedachter Solosänger in Aufführungen von Opern wie „Der fliegende Holländer“, „Lohengrin“, „Tannhäuser“ „Fidelio“, „Die lustigen Weiber von Windsor“ u.a.m. Im gesellschaftlichen Leben hatte Dr. Ungar in seiner Frau eine offene, geselligkeitsfreudige Partnerin an seiner Seite. Dr. Karl Ungar starb am 23. November 1933 in Hermannstadt. Sein Zeitgenosse und Kollege Dr. Viktor Weindel würdigte in ihm einen Mann, dem „seine vielseitigen und außerordentlichen Fähigkeiten als Mensch und Arzt, als Naturwissenschaftler und Botaniker sowie seine musikalische Begabung einen ungewöhnlichen Weg vorgezeichnet“ hatten, dessen volle Erfüllung ihm jedoch durch die „rauhe Hand des Schicksals“ nicht gegeben war.

Erika Schneider

Schlagwörter: Ungar, Mediziner, Wissenschaft, Hermannstadt, Jubilar

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