26. Juni 2021

Jessica Wädt in der Reihe „Lebendige Worte“ (XV)

Jessica Wädt (*1991 in Schwäbisch Gmünd) studiert im letzten Mastersemester Anglistik und engagiert sich nebenbei im Bereich „Transhumanist Studies“ und im Space-Projekt der School of Talents an der Universität Stuttgart. Bereits in jungen Jahren hat sie ihre Liebe zu Wörtern und Sprache entdeckt und war in ihrer Schulzeit Teil der Theater-AG, des Schulchores und verschiedener literarischer und künstlerischer Projekte. Die Autorin besitzt eine tiefe Verbindung zu England und Skandinavien – Länder, die sie gerne bereist hat. Es sind aber nicht die Orte, die für sie so magisch sind, sondern die Begegnungsmomente mit Menschen. Die Autorin setzt sich für interkulturellen Austausch und für ein lebenslanges Lernen voneinander ein, insbesondere weil das Thema Reisen im siebenbürgischen Kontext untrennbar mit Freiheitsdrang und Selbstbestimmung verknüpft ist. Die Frage nach (Selbst-) Identität findet sich in ihren postmodernen Gedichten wieder.
Jessica Wädt. Foto: privat ...
Jessica Wädt. Foto: privat

Drei Fragen an Jessica Wädt

Sie wurden als Autorin durch Ihre Leidenschaft zu Sprachen geprägt. Sie haben bereits zu Schulzeiten Englisch, Latein und Französisch gewählt – was begeistert Sie an Sprache und Literatur?
Dass beides überrascht und sich ständig im Wandel befindet. Was noch vor hundert Jahren eine bestimmte Bedeutung hatte, wird heute durch andere Wörter ersetzt. Ich liebe die Spontanität der Sprache, die es erlaubt, diverser und inklusiver zu werden. Sprache schafft auch einen Raum des Gemeinsamen. Sie und ich und die Leser hier verstehen uns, weil wir dieselbe Sprache sprechen, obwohl wir zu jedem Wort ein eigenes Bild im Kopf haben. Faszinierend, nicht? Und wie schön ist es, wenn Sie an einem kleinen Ort irgendwo auf der Welt sind und Sie begegnen einem Menschen und unterhalten sich. Es sind diese Begegnungen, die frei machen. Weil man überall Freunde finden kann, ob in einem Buch, einem Gedicht oder in einer flüchtigen Unterhaltung.

Welches Thema verbindet Sie mit Ihrem Leser/Ihrer Leserin?
Intimität. Ich möchte, dass mein/e Leser/in einen Moment mit mir teilt, in dem sie in einen Teil meiner Seele blicken. Wenn sie mir im Text begegnen, dann begegnen sie auch sich. Wir verbinden uns über menschliche Intimität, Authentizität und Miteinandersein. Das erste Lesen eines Textes kann nie wieder wiederholt werden und ist ein einziges Mal präsent. Was danach folgt, ist ein Zurückgehen zu bestimmten Stellen. Man versucht denselben Moment zu erhaschen, weil er zu flüchtig war. Diese intime Flüchtigkeit ist, was uns Menschen so an Literatur fasziniert.

Wieso bedient sich Ihre literarische Kunst gerade des Lyrik-Genres?
Ich spiele gerne mit dem Metalevel von Lyrik, welches von homophonen Wörtern und metaphorischen Bildern lebt. Außerdem leben meine Gedichte als Produkt von Erinnerungen weiter. Viele sind dadurch entstanden, dass ich mich mit Menschen über ihre Lebensgeschichte unterhalten habe. Themen wie Identitätsfindung, Freiheit, Heimatgefühle und Zukunftswünsche sind in jedem von uns sehr präsent. Wörter verbinden nicht nur, sie gestalten. Ich spüre und sehe genau die Momente, die jemand mit mir teilt und es berührt mich. In dem Moment treffen wir uns und ich schütze das Gesagte, indem ich es abstrahiere. Die abstrahierte Erfahrung im Gedicht schafft es aber dennoch durch das bloße Gefühl ganz viele Menschen in ihrer Seele zu treffen. Lyrik braucht Spielraum, es bedarf aber auch der Dichtheit der Sprache. Lesen Sie bitte zum Beispiel die Lyrics von Bruce Springsteen – er ist ein Genie in diesem Bereich („One minute you’re here/Next minute you’re gone“).

Danksagung und Erklärung zum Gedicht „Oleanderregen“

Das Gedicht ist meiner Oma, Anna Sedler aus Malmkrog/gelebt in Zied, gewidmet und allen Siebenbürger Sachsen und Sächsinnen, die sich in Gerüchen, Erinnerungen und ihrer selbsterarbeiteten Ernte wiederfinden. Ich möchte den vielen abgearbeiteten Händen einen dankenden poetischen Händedruck anbieten. Für mich sind die Gerüche nach Erde und das Hacken im Garten eine unglaublich starke Kindheitsimpression. Meine Oma ist mir ein Garten voller blühender Erinnerungen. Ich schreibe, damit man die vertrauten Gerüche in Worten festhält, sie immer und immer wieder liest und sie in der eigenen Identität verankert. Ich empfinde es als großartiges Geschenk, dass solche Lebensgeschichten existieren, sie sind eine Sprudelquelle für meine künstlerische Interpretation.

Oleanderregen

Die Blütezeit schlingt sich sanft um die Erinnerung.
Der Duft der rosigen Blüten breitet sich aus wie das Meer,
die Duftwellen schlagen leicht an die Nase,
kitzeln und streicheln sie
sie kommen und gehen
sie gehen und kommen
sie sind aber nur
weil einst jemand war.

Es arbeiten zwei Hände für sechs.
Und säen säen säen.
Sie lassen die Samen flüstern und
tief in den warmen Erdboden rieseln.
Die Erde aus der wir geschaffen sind,
riecht
 nach gestern, nach heute
 und nach morgen.

Das Tuch gebunden am Kinn,
geschnürt zu einem willensstarken Knoten,
die zwei Enden zeigen in verschiedene
Richtungen, wohin fließen die Gedanken?

Irgendwo schöpft ein Mühlenrad
Wassertropfen,
es knarzt und ächzt und trägt
auf dem Rücken.
Den Namen zeichnet das Mehl
sorgfältig auf die Fläche
verstreut ihn kreuz und quer,
schlägt ihn zusammen,
die Eier,
die Hefe,
 das Wasser quietscht,
das Mühlenrad dreht sich,
 Die Tropfen plätschern in der
 Umdrehung
geben sich die Hand
und formen sich erst einzeln
dann miteinander.

Fleiß ist die Tugend der einsamen Kinder.

Es arbeiten zwei Hände für sechs.
Sie schneiden Schnitten auf Millimeter,
das Messer trennt die Schichten,
schneidet ein Muster in die gebackene Geschichte
 und hinterlässt eine Lücke.

Die Schnittenstücke formen ein Geduldsspiel,
 doch dann drehen die Finger
den Tellerrand und lassen ihn schweben –
vom Stück der Schnitte
verschwindet eins im Mund,
und noch eins und noch eins,
der Teller leert sich,
bis nur noch Krümel
den Weg zur Sättigung zeigen.
Die mühselige Arbeit blickt zwei
Augenpaaren starr entgegen.
Man spürt die sengende Hitze im ­Nacken,
die Sense fliegt durch die Luft und zeichnet
Muster ins Gras.

 Es riecht nach gestern, nach heute
 und nach morgen.

Der Baum senkt die Krone zu einer Verbeugung,
wirft den Schatten zu,
man ergreift ihn dankend,
legt seinen Körper für den Moment
ab.
Einen Augenblick brennt die Haut ­weniger.
Sie ruht kurz im Menschsein.
 Atmet.

In den Reihen stehen die Tomaten ­Spalier,
sie neigen ihre Köpfe
und warten geduldig,
dass sie die Blätter entmachten
und dann ihren eigenen Weg
einschlagen.

Das Brunnenwasser gluckst und ­gluckert
im Eimer
es ist eiskalt,
es sticht an den Händen,
die kurz im Eimer verweilen,
verweilen so
als ob sie nach Liebe suchten.

Abends dann
lockert sich das Tuch am Kinn,
das Gesicht zeigt die Tagesspuren,
die Müdigkeit sitzt tief in der Seele,
sie ist immer dort
steckt fest
und rückt nicht ab
 gestern, heute und auch nicht
 morgen.

Fleiß ruht nicht, er klopft an –
 an den Schläfen
 an den Augen
 an dem Herz.

Es arbeiten zwei Hände für sechs.
Unermüdlich.

 Sie wollen, weil sie müssen.
 Sie müssen, weil sie wollen.
Ich bin teils dort, ich bin teils hier.
Aber meistens bin ich meins.
Ich bin die Blüte des Oleanders,
die aus einer tiefen Wurzel entspringt,
gestern, heute und morgen.
Und ich regne hinab,
so tief,
so willensstark,
dass die Wassertropfen mich einschließen.

Ciao Șescu! (Let’s Go West)

Wörter,
mit Fingern auf
angeschlagenen angelaufenen
Scheiben geschmiert.

Ein Blick des Bösen
darauf gerichtet,
die englischen Buchstaben
erheben ihre Hände und
rufen Freiheit.

Auf der Wache.
Ein wachsamer Blick,
verstohlen,
Papiergeraschel,
Vorwürfe,
verdrehte Wörter,
 ein Vergehen?

Das ausgefüllte Papier
festgehaltene Fetzen
eines Wunschmoments,
Schnipsel und Fragmente
von dem was Wörter sagen
oder unwahr?

Let’s Go West!

Geschmiert mit Lächeln und Freude,
still geschmiert auf Fahnen
steht in Gesichtern leuchtend,
ein Zug in Richtung –
freie Wörter.

Gedanken nur gedacht,
nicht gesprochen,
überall wachsame Augenpaare,
schauen durch Wände,
hören den Atem,
wittern die unsichtbare
Verschwörung,
die den Kopf noch nicht verlassen hat.

Türen und Wände,
rücken und drücken auf Köpfe und Körper.

Let’s Go West!

Ein Versprechen,
von der Seele geschmiert,
gezeichnete Gemüter,
aber
offen rebelliert,
weg,
Aufbruch!
weg,
Aufbruch?

Der Blick verblasst,
die gewagten Buchstaben feuerrot
im Himmel gemalt,
Wolken gerichtet nach Westen,
ziehen und ziehen
die Gedanken weg von hier.

Die Angst
dort gelassen,
wo der Finger das nackte Glas ­berührt hat.

Lebensfreunde

Man kann Dunkelheit nicht nur nachts finden,
man kann sie im Herzen tragen

Bereits Kinderfüße,
die den Schmutz der Vergangenheit
an den Sohlen aufsaugen,
können schweren Schrittes kaum ­voran
kommen. Die Hitze des Sommers brennt,
die Steine pressen sich zwischen die Zehen
und schneiden kleine beinahe unsichtbare
Schmerzen in die Füße

Die Kinder spüren ihre Füße
und den unsagbaren Hunger,
den sie tragen

Hunger trägt man auf der trockenen Zunge,
man trägt ihn in den Händen,
die gierig nach mehr suchen,
man trägt ihn in den Fasern der ­Kleidung,
die manchmal wochenlang nach Schmutz riecht,
aber nach Essen schreit.
Die Kehle aber bleibt stumm,
das Essen muss für alle reichen,
ohne dass man einen Handrücken auf dem Gesicht spürt.

Zwei Gesichter
treffen sich
irgendwo zwischen Stirn und Augen.
Bei beiden zeichnet sich
ein freches Grinsen ab.
Ihre Fußsohlen laufen auf der Straße
im Trapp,
im Gleichschritt,
ihre Gedanken verschaffen sich ­Einklang,
teilen sich so wie sie sich gegenseitig genug
sind.

Nichts zu haben bedeutet nicht
nichts zu sein.
Denn gemeinsam sind sie alles.
Zwei Füchse
auf der Straße,
die mal ein Ort der Ankunft und
ein Ort des Verlassens ist

Sie laufen manchmal gemeinsam und
stehlen hier und da etwas.
Einen Bissen
Knabbern lange daran und schwimmen
dann gemeinsam im Fluss

Zwei Füchse.

Die Höhle, die sich beide im Kopf gebaut
haben, ist frei von dem Geschmack nach Angst.
Es riecht nicht nach vergangenem Schmerz.
Sie sind auf Lebenserkundungen,
erkunden das Leben so wie es ihnen beliebt

Was hat die Natur nur für einen
rauschenden Schutz zu bieten.
Sie lässt eintreten, wer eintreten möchte.
Sie ist eine barmherzige Herberge für Barfüßige.
Sie ist Heimat für Lebewesen und
ihr Wesen ist grün,
so immergrün
wie der Himmel nachts dunkelt

In der goldgelben Sonne tragen die Füchse ihr Kleid,
den Hunger nicht bei sich,
aber dafür ihren jugendlichen Leichtsinn.
Der Sinn steht einem freilich oft frei
und leicht nach dem, was Geld kaufen kann

Einst hatten sie nichts außer sich,
doch Freiheit hat ihren Preis.
Wenn man nach Größerem fischt,
vergisst man manchmal das kleine Glück.
Heute wahrscheinlich würde der Fuchs dem
anderen die Hand reichen, ihm
sagen,
dass er anders und klüger handeln solle,
so wie es ihm sein Wesen auch zu sein scheint

Der eine Fuchs würde,
den Schalk im Nacken,
dem anderen ins Ohr flüstern,
dass er wohl eine Scheibe Speck ­auftreiben könne.
Der Geruch nach einem gemeinsamen Essen
liegt in der Luft und immer noch in der Nase

Es gibt einen Ort, an dem beide
sich selbst getragen haben,
nicht Hunger auf trockener Zunge -
Sie haben geschickt eingefädelt,
wo sie Nadel und Faden fanden und das Kleid,
das sie genäht haben,
hängt immer noch dort, wo man Liebe findet

Sie waren Brüder,
zwei Füchse,
deren Pfotenabdrücke ein Leben lang
nebeneinander liefen

Und horcht man der Natur der Dinge,
dann kann man die Schritte im Staub hören,
ein Lachen inmitten der Familienhöhle,
man riecht das Benzin der Fahrten
ins Blaue,
spürt die warmen Hände
die unzähligen Male auf den Ohren
des Fuchses lagen,
ihn streichelten und ihn im Herzen umarmten

Man kann Helligkeit nicht nur tagsüber finden,
man kann sie auch im Herzen tragen.

Laut und Leise

Die Mutterwolke gebärt sich,
sie öffnet die Arme,
und haucht ihr Herz in meines.

Heimat.
Dort wo die Wurzeln die Erde
Festhalten, dort wo das Leben
richtiger erscheint.

So erstaunlich, dass du mich
Nie gekannt und
doch erkannt hast.

Berühre mich auf den Linien
der Menschen, die zuvor den Boden
betreten haben.

Dein Reichtum liegt
in meiner Seele.
Liegt in meinen Gedanken
und meiner Liebe zu Dir.

Heimat.
Auf dem Weg zu mir.

Schlagwörter: Lebendige Worte, Literatur, Lyrik

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