3. September 2021

Podiumsgespräch im Erlanger Stadtmuseum über den Menschen Oskar Pastior

Zwei Weggefährten Oskar Pastiors, Oswald Egger und Ernest Wichner, sprachen im Rahmen des 41. Erlanger Poetenfests am 29. August im Innenhof des Erlanger Stadtmuseums über den Menschen Oskar Pastior und sein zeichnerisches Werk mit Rike Felka, Bildwissenschaftlerin, Autorin und Übersetzerin. Das Podiumsgespräch unter dem Titel „Zeichengebilde und Wortgebilde“ wurde begleitend zu der Sonderausstellung „Aubergine mit Scheibenwischer“ geführt.
Oswald Egger (links) und Ernest Wichner beim ...
Oswald Egger (links) und Ernest Wichner beim Podiumsgespräch in Erlangen. Foto: Malwine Markel
In der Begrüßung sagte Ernest Wichner, der Anlass dieses Podiumsgespräches sei die Ausstellung „Aubergine mit Scheibenwischer“. Seine Gesprächspartner waren Rike Felka Bildwissenschaftlerin, Autorin und Übersetzerin, und Oswald Egger, selbst auch zeichnender Dichter und Übersetzer. Ernst Wichner, ein enger Freund Oskar Pastiors, Herausgeber seiner Werke und Moderator, gab das Wort weiter an Frau Felka. Zur Einführung sprach sie über Anagramme und die 1984 entstandenen Anagramme in Rom von Oskar Pastior.

Anagramme sind poetischer Buchstabenaustausch, sie sind Ausdruck einer geistlichen Bezugnahme, eine Aufwertung. Es stehen nur 26 Buchstaben für Anagramme zur Verfügung, so verdichten sich visuell und phonetisch die Buchstaben und die Wörter zu einer Wortmalerei. Hier griff Pastior auf seine Vielsprachigkeit zurück und auf seinen siebenbürgischen Dialekt. Und ihm gelingt etwas Einmaliges. Man darf die Zeichnungen nicht analytisch bewerten, denn dahinter steckt eine Person und was sie damit verbindet. Auf einigen Zeichnungen sind die Wörter eine klärende Ergänzung. Verbindet man beides, so erschließt sich dem Betrachter der Sinn. Der „Römische Zeichenblock“ war für Oswald Egger auffallend. In erster Linie muss man den Autor Pastior sehen, dann den Menschen. Pastior hatte Angst vor dem Aufenthalt in Rom in der Villa Massimo. „Was soll ich dort? Rom ist voller Hügel und Täler. Ein Auf und Ab: Wien dagegen ist ein Kreis und eben“, zitierte Egger Pastior. Pastior suchte nach Auswegen und Entschuldigungen. Er suchte sich Aufgaben, um nicht hinzufahren und die Zeichnungen zu machen. Aber 1984 war es soweit. So entstanden die „urbanen kurvigen Zeichnungen“, also die Skizzen Hügel, Berg, Tal, in „Römischer Zeichenblock“, die Rike Felka Topografie und Architekturen nennt.

Laut Egger war Pastior die Aufhebung der Zeit sehr wichtig, wie kommt eins zum anderen. Pastior brachte alles in einen Raum, wie zum Beispiel den Leibniz-Keks und Mozzarella. Er arbeitet immer aus der Misere und der Unkenntnis heraus. Die Gedankengänge von Pastior waren auf das Realistische gelenkt. Er kombiniert und reduziert, dreht das Wort im Kreis herum, verändert es und gibt ihm einen neuen Sinn. So wurde zum Beispiel aus „überlisten“ das Wort „Listen“. Die Sprachwurzel der Wörter war ihm sehr wichtig. Oft arbeitete er auch aus diesem Sichtfeld heraus. Da kommt der Forscher aus ihm heraus, der Wissenschaftler, der vieles hinterfragt. Zu dem Buch „Krimgotischer Fächer“ sagte Egger, dass sich Pastior auf den Rheinischen Fächer bezogen habe, der das linguistische Niederfränkisch über das Nordmittelfränkisch und Moselfränkische zum Rheinfränkischen ist. Bei dem Wort „Krimgotisch“ hat Pastior sich auf die krimgotische Sprache bezogen von der Insel Krim; die Krimgoten betreffend, eine kleine Randbevölkerung, die Nachkommen der Ostgoten waren. Hier bei diesem Werk gehen Zeichnungen und Text ineinander über, und es sind verschiedene Sprachen enthalten. Da kommt wieder seine Vielsprachigkeit hervor. Oswald Egger liest das Gedicht „Ballade vom defekten Kabel“ vor, aus dem Buch „Krimgotischen Fächer“. „Auge und Ohr, das eine geht ohne das andere nicht bei Oskar Pastior“, kommentiert Egger.

Die Sprachwurzel und die Aufhebung der Zeit zeigen sich hier wieder. Die Geschichte der Linie ist die Abstraktion, das Gefächerte. Zeichnungen sind Gedichte, Gedichte sind Zeichnungen, so Oswald Egger zu „Krimgotischer Fächer“.

Der Begriff „am Rande“ hat für Oskar Pastior eine ganz persönliche Bedeutung. Er selbst war meistens „am Rande“ in seinem Leben. Und so begibt er sich schreibend in die Mehrheit vom Rande aus. Zum Beispiel war für ihn Siebenbürgen am Rande Europas, oder er war am Rande der Gesellschaft, denn seine Homosexualität konnte er nicht öffentlich machen. Versteckt in seinen Werken gibt es auch darauf Hinweise, wenn man den Menschen Oskar Pastior gut kennt. Schon als Kind hat Pastior gezeichnet, traute sich aber nie, seine Zeichnungen zu veröffentlichen, solange sein Vater lebte, denn sein Vater war Zeichenlehrer. In Pastiors Text „Vater war Zeichenlehrer“ (veröffentlich in der Literaturzeitschrift „Text + Kritik“) kann man das nachlesen. Diesen Text las Ernest Wichner vor.

Für Pastior bedeutet Isolation bei sich zu sein, also nicht isoliert und nicht allein, sondern beschäftigt mit den Gedanken zu verschiedenen Themen, hineintauchen in die Welt der Dichtung.

Zu dem Buch „Aubergine mit Scheibenwischer“ erklärt Oswald Egger, wie es zu diesem Titel kam, was die Aubergine für Oskar Pastior war. Für Pastior war die Aubergine schön, weich, cremig. Sie muss erst zerstört werden, um hässlich zu sein. Wie kam Pastior auf diesen Titel? Indem er wieder wie so oft mit den Wörtern spielt. Im Wort „Zauberberg“ verbergen sich die Wörter „Aubergine“ und Berberitze“. Und „Scheibenwischer“? Da sind zwei Wörter in einem enthalten. Wie entstehen Scheiben? Da wären wir wieder beim Zerstören, Kombinieren und neu Zusammensetzen. Bezieht man dies auf Pastiors Leben, dann hat man oft etwas zerstört bei ihm und es wurde neu zusammengesetzt. Egger sagt, „seine Gedichte, Zeichnungen, Anagramme, seine Zeichengebilde und Wortgebilde sagen Oskar Pastior etwas zu ihm selbst“, und zwar zitiert er Pastior: „nicht von mir, sondern über mich das ich so nie erfahren hätte.“ „Der Text spricht mit Oskar Pastior“, sagt Ernest Wichner.

Die Zeichnung zeigt eine Aubergine mit dem Scheibenwischer, Kreuzvorgänge nennt es die Bildwissenschaftlerin Rika Felka. Die Werke von Oskar Pastior zeigen viel von ihm selber, seinem Wesen, ohne sein Inneres zu entblößen. Sie regen eher dazu an, sich darüber Gedanken zu machen. Man bewundert ihn. „Es sind seine Rückzugsräume, seine Schutzräume“, sagte Felka.

Man darf die Gedichte von Oskar Pastior nicht verstehen wollen, sondern sollte sich spielerisch darauf einlassen. Seine Gedichte haben einen Rhythmus, der Spaß macht und ein Lächeln hervorlockt. Sein Findergeist für neue Wörter mit anderem Sinn, seine Lust mit der Sprache zu experimentieren, sie macht Laune. Oswald Egger sagt: „Es steht alles in den Worten, nicht zwischen den Zeilen.“

Malwine Markel

Schlagwörter: Erlangen, Podiumsdiskussion, Oskar Pastior, Literatur

Bewerten:

18 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.