22. Dezember 2021

Traian Pop Traian, Dorfschreiber von Katzendorf 2021, in der Reihe „Lebendige Worte“ (XXIV)

Traian Pop Traian wurde 1952 in Kronstadt geboren und lebt seit 1990 als Schriftsteller, Verleger, Übersetzer und Journalist in Ludwigsburg, wo er den Pop Verlag sowie die Redaktionen der Zeitschriften für Literatur und Kunst Matrix und Bawülon leitet. Während des Ingenieursstudiums und danach arbeitete er als Toningenieur, Texter und Bühnenarbeiter bei Rock- und Jazz-Gruppen sowie beim Deutschen Staatstheater Temeswar. Parallel dazu veröffentlichte er aufmüpfige Texte in Zeitschriften und eigene Bände.
Traian Pop in Temeswar, 2018. Foto: Marga Bilec ...
Traian Pop in Temeswar, 2018. Foto: Marga Bilec
In der literarischen Szene Rumäniens gehörte er Anfang der achtziger Jahre zu jener Generation junger Lyriker, die von der rumänischen Literaturkritik in Anlehnung an die Beat Generation in den USA als Generation 80 bezeichnet wurde. Einige Theaterstücke, u.a. „Die Stadt der Lügenzwerge“ (Dramatisierung für das Puppentheater Temeswar 1989) und „Schöne Aussichten“ wurden alsbald verboten. Preis des Rumänischen Schriftstellerverbandes, Temeswar (Timișoara) 2002, Andreas-Gryphius-Preis 2020 und Dorfschreiberpreis von Katzendorf 2021.


Das Licht ging an

sie sagten dir: ungeachtet von Geschlecht
Religion
Nationalität
oder einer anderen Art von Zugehörigkeit
und versuche hier nicht das Opfer zu spielen
fügte lächelnd einer mit Kaftan und langem
Obergewand hinzu
die Ausrottung des Bösen das wollen wir sagten sie
dir
ohne Wenn und Aber
fügte einer mit Kaftan und langem Obergewand
hinzu

das Licht ging an
das Bett war von der Wand geklappt
der alte Mantel reichte nur bis über die Knie
zuerst fror es ihn an den Zehen
dann an den Händen darauf im Rücken
im Genick am Hals am Kopf in den Lenden
im jugendlichen Alter übersteht man alles
sagtest du dir
erfasstest intuitiv
nicht gleichzeitig naiv und unschuldig sein zu können
Ludwigsburg, Juli 1998 (Übersetzung: J. L.)


Wer keinen blassen Schimmer hat

Man nehme einen Traum
egal welchen / denen
die endgültig wach geworden sind empfehlen wir
jenen
den sie gerade ausgeträumt haben / man wähle
daraus eine Person / einen
der klein beigibt
oder einen der die Front kennt / auf jeden Fall einen
der keinen blassen Schimmer hat
dass es um ihn geht / in seinem Namen
und für seine Taten
knöpfe man sich dann den ganzen Traum vor
verspotte ihn
verhöre ihn
verhackstücke ihn
vermische ihn sorgfältig mit dem eigenen Ungenügen
verziere ihn mit etwas Bedauern
schürze ein wenig Verzweiflung vor
serviere dann je nach Belieben oder Können
entsprechend den Umständen
in Hausschuhen oder Stiefeln
wenn sich die beabsichtigte Wirkung einstellt
wiederhole man das Ganze
wenn nicht lasse man etwas Zeit vergehen
und alle werden glauben
du inbegriffen
das ist es
war es
wird es sein
die Taten nämlich wurden lange schon verschlungen
wie die Rechte eines Autors
Ludwigsburg, Januar 2002 (Übersetzung: E. K.)


Cinéaste, le job le plus horrible que je connaisse ...

mein Freund drehte einen Film
der nie seine Kosten einspielte – musste er auch nicht
– sie verziehen
ihm und der Film gehört heute
zu den besten Filmen aus der Zeit nicht wie meiner
der seine Kosten einspielte
den aber niemand sehen will
mein Freund
verdiente sein Brot in einem Film der von der
Securitate kassiert
wurde (wer wird nach Jahren noch
wissen was dort los war?) sein wichtigster Mitarbeiter
hatte am Donau-Schwarzmeer-Kanal gearbeitet
(wer wird nach Jahren
noch glauben dass er einfach mit dem Leben
davonkam?)
meinem Freund aus der Deutschen Demokratischen
Republik
verpasste die STASI ein umfangreiches Script – ohne
das
jemals jemand von ihm Notiz genommen hätte –
und heute
ist er der erbittertste Feind des Kinos
der Totengräber des Kinos ist ein fuchsteufelswilder
Filmemacher
dessen Retter
ein gelangweilter Filmemacher
ein Dilemma für mich
aus dem herauszukommen mir auch meine
Mitgliedschaft
im Zuschauerverein
nichts nützte
das alles zu Papier bringen die Blätter auffordern
sich in die Lüfte
zu erheben wie Friedenstauben
(wieder so ein Bild das durch die neuen
Kräfteverhältnisse
in der Welt obsolet geworden ist)
sie zwingen an deinen krankhaften Vorstellungen
mitzuleiden
so zu deinen Leidensgenossen zu werden
zu unseren zu ihren zu euren – c’est merveilleux
c’est magnifique –
„wozu dieses Gequassel“ sagst du dir noch bevor du die frisch
gestrichene Klinke der Diensttür drückst ohne zu
wissen
dass dahinter die Realität – durch die Augen des
völlig besoffenen Verwalters betrachtet – ein Bankett
wie auf dem Theater inszeniert hat
„alles schön und gut“ wirst du in Richtung des
Darstellers
mit dem abgebissenen Ohr rufen darauf bedacht
dass es nicht ausgerechnet in deinem
Champagnerglas landet
der blutige Rest
dieser Auseinandersetzung
über Anschauungen
Cannes, Mai 1997 (Übersetzung: J. L.)


Ragout à la Bărăgan
Für Horst Samson

Schweine gezüchtet in Nischen den Grauzonen
der Planwirtschaft
waren seit geraumer Zeit besonders gefragt
vor den Feiertagen vermehrten sich auf wundersame
Weise
die Brat- und Leberwürste in den Kellergeschossen
des Kombinats für industrielle Fleischverarbeitung
verschwanden
fast ausnahmslos in den Speisekammern der Armen
vor Ort
oder jener die zufällig in der Gegend zu tun hatten
oder gezielt ihre Einkäufe hier machten
(nirgendwo in Zentral- oder Südosteuropa gab es einen solchen
geometrischen Ort an dem man sein Zelt
hätte aufschlagen können
um sich seiner mehr oder weniger voraussehbaren
Herkunft
zu rühmen
bei so viel frischem Fleisch Schuhen mit Ledersohlen amerikanischen Zigaretten
ein echter Schwarzmarkt wie zu Zeiten des Krieges
behaupteten
die Alten – wer hätte ihnen widersprechen können?)
es traf sich dass wir mit Fotos richtig Geld gemacht
hatten
nun (endlich?) in den Augen der Leute wer waren (und
selbst?) uns ein Schwein (na und?) kaufen
und dem Ritual
seiner letzten irdischen Dienstleistung beiwohnen
konnten
anstelle eines anderen war der Züchter der Metzger
was wir nicht wissen konnten gleichzeitig der Deportierte deshalb unsere
Verlegenheit
(die Brennnessel mehr als zwei Meter hoch verbiss
sich in den ungehobelten Dielen)
„und lege dich nicht mit den Leuten an sie sind
anständig
die Nachbarin hat sie geschickt“ so in etwa begrüßte
uns sein Weib
lauthals um ihn zu ermahnen
„gut dass sie uns keine Krankheit auf den Hals
geschickt hat“ „guten Tag“ „einen guten – ha? Kommunist der Herr? gut zu wissen
wenn ich das Schwein schlachten soll oder Securist? vielleicht Pope?
Gott möge mir verzeihen“ so das gesunde Lachen
eines Mannes
der sein Lebtag mit einem anderen verwechselt
worden war
„ihr müsst sein Krakeelen verstehen denn neulich
tauchte da einer auf
übernachtetet in der Schulbibliothek hörte sich im
Dorf um
und nach einer Woche hatten wir die Gendarmen am
Hals“
„wenn du mir mit Lügerei kommst schlachte ich dir
das Schwein nicht
mich haben schon ganz andere zu hintergehen
versucht“
es traf sich, dass das Schwein ein sehr starkes Herz
hatte
es röchelte gut zehn Minuten man konnte meinen
es wolle sein Blut aus der übervollen Schüssel
mit dem abgeplatzten Email saufen
„Mitternacht war vorbei mehr als ein Bündel durften
wir nicht
mitnehmen schreit nicht herum ihr weckt sonst die
Nachbarn
selber schuld wenn ihr nicht leben wolltet wie sie
wir erschießen euch wie ...“
„bist du Kommunist?“ dem Schwein war plötzlich die Lust
auf Blut vergangen es streckte dreimal die Beine von
sich
wie um sie sich zu vertreten und gab seinen Geist auf
„wenn es ein Irrtum war wird es sich erweisen
wir wollen nur Gerechtigkeit
Gleichheit
Brüderlichkeit“
„bist du Securist?“
die Borsten des Schweins waren abgesengt das Stroh
abgebrannt
die Hunde der Nachbarn begannen verrückt zu
spielen
„noch am selben Morgen hat er sich in unserem Haus
breit
gemacht in unseren Möbel unserem Bettzeug
nach einer Woche gab es kein Huhn mehr im Hof
keinen Tropfen Schnaps oder Wein mehr im Keller
sein Ruf als Wohltäter hatte sich rasch
herumgesprochen“
„bist du vielleicht doch Pope?“ der Anblick des
Schweins
war unerträglich geworden der mit Widerwillen
gekippte
Schnaps begann seine Wirkung zu zeigen
„es war schwer zu beweisen aber der Irrtum
bewahrheitete sich
aus dem Haus aber kriegte ihn niemand mehr raus
der Staat hatte es ihm überschrieben das Gericht es
bestätigt
„oder hältst du dem Kerl die Stange der seit einem
Monat so herumredet
man aber nicht weiß ob für uns oder für die dort oben
für gescheit halten die sich alle hol sie der Teufel“
der Kopf des Schweines verschwand plötzlich
seine Hinterbeine schickten sich zu einer Himmelfahrt an
die Haken in den Sehnen schienen Auftrieb
zu bekommen von irgendwoher die dicke Kette das Spreizholz
das irgendeinen Abstand bewahren sollte
„zum Glück ist er ein Hüne von Mann“ „sag doch
endlich wer dich mir auf den Hals gehetzt hat“ der Anblick des Schweins wurde mehr oder weniger
erträglicher
„das hat er auch hoch gekriegt.“
„es kommt doch nicht ausgerechnet einer zu mir
nimmt meine Hände meine Nerven meine Energie
in Anspruch mir nichts dir nichts“ das Schwein nahm
immer mehr die Gestalt an wie wir die Städter der
zweiten
Generation es kannten den Gerüchen von Knoblauch
Pfeffer
rotem Paprika fehlte nur noch der Beigeschmack von
Geräuchertem
„an früher reicht das nicht heran, nie und nimmer“
„vielleicht hat der Herr Fotograf dich zufällig zu mir
geschickt
obwohl ich’s nicht glaube, er ist über beide Ohren
bei mir verschuldet“ die Würste lagen brav
zusammengerollt
auf der gehobelten Tischplatte die Heerschar von
Katzen
fasste erneut Mut
bekam aber nicht viel ab
auch der streunende Hund
hatte nicht mehr Glück
„besser so“
„ich habe denen die zu mir gekommen sind gesagt
– nur abwarten
wegen der Schweine werden eines Tages auch
die anderen
in meinem Hof auftauchen keiner kommt davon – von Anfang an
hab ich es ihnen prophezeit nur glauben wollte mir
keiner“
ein Huhn von den Gerüchen betäubt schnappte sich
ein Stück
Schwarte nach drei Schritten jedoch flogen schon
die Federn
mit erstarrten Augen schaute es dem kauenden Hund
zu
„warum sich noch immer giften“
„mir reicht es schon, es ihnen ins Gesicht zu sagen
um den Rest
hat sich wer zu kümmern“ die mit Salz gepuderten Schinken und
Speckseiten ergingen sich in Umarmungen
das Fass wird gleich gestrichen voll sein
„manchmal packt es ihn einfach er weiß selbst nicht
was“
„du meinst die Russen haben es wieder
durchgegeben
der steckt doch mit denen unter einer Decke weil
sie ihm drohen
sonst hätte doch niemand etwas davon gehört
wir opfern
mal wieder bisschen was für ein Ragout à la Bărăgan
das ist mir von den fünf Jahren geblieben nicht viel aber immerhin“
die Haken und die Kette begannen sich
zu langweilen
diese Geschichte hatten sie bestimmt zum hunderten
Male gehört
„wenn es nicht nur wieder so kommt dass wir
die Last
wieder mal tragen müssen“
„ein paar haben sich versammelt
vielleicht reicht das für ein Dekret oder zwei um
unserem Dasein
den schönen Schein zu verleihen“ der Tisch war
abgeräumt
heißes Wasser spülte ihn Zentimeter um Zentimeter
„wir können doch nicht schon wieder von vorne
beginnen“
„komme was wolle heute abend schaue ich dort mal
vorbei“
es roch nach Wermut wie im Bărăgan (woher hatte das jetzt
schon wieder jemand?)
die Katzen und Hunde der Nachbarn wehklagten
schon wieder
bekamen ein Stück Speck das in den Dreck gefallen
war
bekamen Flüche zu hören einen Maisstengel
nachgeworfen
einen Stein oder was sonst gerade zur Hand war
ein Fotoalbum von einem anderen Ende der Welt
machte am Tisch die Runde und der kleine Kessel
aus Gusseisen mit dem Ragout
es war
der 15. Dezember 1989 das bloß
um intakt und wie es sich gebührt
das scharfe Gedächtnis wachzuhalten an jene Zeit
die wir zweifellos anders nicht hätten verbringen
können
Cannes, Mai 1998 (Übersetzung: J. L.)


Die Übersetzungen aus dem Rumänischen stammen von Johann Lippet (J. L.) und Edith Konradt (E. K.) aus folgenden Bänden:
Die 53. Woche, 133 Seiten, 15,00 Euro, ISBN 978-3-86356-062-1
Bleierne Flügel, 86 Seiten, 16,90 Euro, ISBN 978-3-86356-168-0,
Absolute Macht. Roman(z)e(n) aus einem vertraulichen Tagebuch. Roman(ț)e dintr-un jurnal discret. Deutsch-Rumänisch, 394 Seiten, 29,00 Euro, ISBN 978-3-86356-204-5.
Alle drei Bücher von Traian Pop Traian sind im Pop Verlag, Ludwigsburg, erschienen und können in jeder Buchhandlung oder direkt beim Verlag, E-Mail: t.pop[ät]pop-verlag.com, bestellt werden.

Schlagwörter: Pop, Temeswar, Literatur, Verlag, Katzendorf, Dorfschreiber, Lebendige Worte, Lyrik

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