2. April 2022

„Mit dem kalten Schmuck des Lebens“: Neuer Band mit Collagen der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller

Schon seit einiger Zeit hat Herta Müller ihr literarisches Interesse von der Prosa in Richtung Gedichtcollagen verschoben. Die Nobelpreisträgerin klebt dabei Wörter aus Zeitungsschnipseln zusammen, reimt sie und versieht sie mit einem kleinen Bild. Nun ist ein neuer Band in diesem Stil im Hanser Verlag erschienen: „Der Beamte sagte“, doch als Gattungsbezeichnung steht: „Erzählung“. Das ist im ersten Moment verwirrend, da die meist gereimten Collagen als eigenständige, in sich abgeschlossene Gedichte gelten können. Das Neue daran ist jedoch, dass sie allesamt eine zusammenhängende Erzählung bilden.
Wie es der Titel suggeriert, geht es im Buch um die Erfahrungen des lyrischen Ichs, oder sagen wir: der Erzählerfigur, mit der Bürokratie im Auffanglager Langwasser. Die Geschichte basiert auf einem autobiografischen Ansatz der Autorin, die sich mehrfach in Interviews dazu geäußert hat.

Asylsuchende wurden in der Regel im Nürnberger Lager „aufgefangen“, das sich in unguter Nähe zum Reichsparteitagsgelände befand, wie die Autorin in einem Interview monierte. Auch Herta Müller wurde dort tagelang verhört und bezichtigt, ein Spitzel zu sein. In der Erzählung wird die Ich-Figur ebenfalls vom „Beamten“ verhört. Dabei doppelt sich die Hauptfigur und spricht von einer mitgebrachten Wachsnasigen, die öfter zu Wort kommt. „Der Beamte“ ist eher eine Gattungsbezeichnung, denn es gibt jenen aus der Prüfstelle A, dann den sogenannten Herrn Fröhlich von der Prüfstelle B (Helmut Fröhlich, den einzigen namentlich Genannten), jenen mit dem Oh, Oh, Oh, jenen, der sich durch die Hosentasche kratzt, usw. Kennzeichnend für die Prosa gibt es auch andere wiederkehrende Figuren: den toten Freund, den Mann mit der Zahnlücke, die Frau mit dem Dutt, mit einer Brosche eines Vogels aus Perlmutt, die junge Frau, die Zucker streut, etc. Diese Figurenbeschreibungen werden jedes Mal litaneihaft in den Collagen wiederholt. Beim toten Freund, dem engsten Freund, der erhängt aufgefunden wurde, denkt man wahrscheinlich an Roland Kirsch, einen Banater Autor, der unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen ist. Doch die Figuren werden nur paraphrasiert und sind sonst namenlos beziehungsweise universal.

Die Ich-Figur wird als Staatsfeindin abgestempelt und fühlt sich außerstande, ihre politische Verfolgung, ihr Leben, letztendlich eine echte Biografie, in die engstirnigen Rubriken aus den Formularen einzutragen. Sie lässt sich auf Streitgespräche mit dem Beamten ein, über die Heimat, die politische Verfolgung, wobei sie die Absurdität der bürokratischen Zwänge hervorkehrt, in aller Knappheit und manchmal auch nur in einem verkürzten Satz: „Der Beamte sagte / beachten sie die beiden / vorgegebenen Zeitebenen / in der letzten Rubrik / ich schwieg“ (Seite 144). Das Wichtigste kann man aber nicht bürokratisch erfassen, es bleibt ungesagt: „ich / starrte auf diese aprikosengroße / goldene Kugel an der Tür / in ihr glitzerte das Nie-Gesagte“ (S. 125). Oft wird „der Beamte“ vermenschlicht mit Beschreibungen seiner Kreatürlichkeit oder sonstigen Kleinigkeiten, wie er Bonbons lutscht oder irr lacht oder seine Arme wie ein großer Vogel hebt. Doch der Beamte definiert sich an anderer Stelle als kollektives Wir und sagt: „wir erklären / jede Biografie anhand der / geometrischen Schleifentheorie“ (S. 125). Somit steht er in seiner ablehnenden Haltung für eine Verkörperung der Staatsmacht und gilt stellvertretend für „den Beamten an sich“ aus jedem x-beliebigen Land, für die Bürokratie an sich, die außerstande ist, ein echtes Individuum zu erfassen.

Liegt es vielleicht daran, dass der Beamte und die Ich-Figur verschiedene Sprachen sprechen? Abgesehen von dieser unauflösbaren Dichotomie sind die Collagen durchzogen von den Topoi, die die Ich-Figur umtreiben, die Frage nach der Heimat, dem Heimweh, nach der Angst und nach der Schuld und nicht zuletzt nach dem Tod. Poetische Bilder wie der Vogel mit dem Silberkragen oder auch der Schnee, der Schutzengel oder das Zebra leuchten dabei auf, wobei die Erzählung im Spannungsbogen zwischen dem „anderen Land“ und „diesem Land“ pulsiert. Herta Müller kreiert in diesen lyrischen Kleinoden ihre eigene codierte Metaphernwelt, damit schlägt sie eine Brücke zu der Zeit und dem Land, in der und in dem man chiffriert dichten musste. Bezeichnend dafür ist das Ende des Buchs, dort spricht die Ich-Figur, deren Schutzengel das Zebra ist, schon mal „mit dem kalten Schmuck des Lebens […] Algebra“.

Das Kunstvolle an dieser Art, Literatur zu schreiben, ist die Einschränkung auf den knappen Raum, auf diese kleinen Tafeln, und natürlich auf die Worte, die als Zeitungsschnipsel vorrätig sein müssen, wobei manchmal einige davon handschriftlich aufgemalt wurden. Der Lesefluss stockt dabei ständig und man hält mit jeder abgeschlossenen Collage dankenswerterweise inne. Humorvoll wirkt allein schon die Form mit dem hängenden Reim, meist im letzten Halbsatz, der nicht selten das Absurde hervorkehrt: „der Vogel mit dem / Silberkragen zirpte übermütig / ich hatte ihn schon 3 mal / gesehen diesmal sang er / auch mit den Zehen“.

Auch ganze Tragödien passen auf diesen kleinsten Raum, wie die Nachricht über den Tod des engsten Freundes (S. 85) oder über die Frau, die Zucker streut (S. 115), und werden auf das Wesentliche eingegrenzt.

Das ist neben der Lakonie eine meisterhafte Art, Literatur zu inszenieren. Es sind poetische, lapidare, ja fast aphoristische, zuweilen komische, aber immer wieder berührende und tiefgründige Collagen, die sich auch prosaisch zu einem Ganzen zusammenfügen, und so pendelt Herta Müller zwischen den Gattungen, tänzelt aber kunstvoll auf dem ureigenen Gebiet der Literatur.

Edith Ottschofski



Herta Müller: „Der Beamte sagte“. Erzählung. Carl Hanser Verlag, München, 2021, 162 Seiten, 24,00 Euro, ISBN 978-3-446-27082-4.

Schlagwörter: Herta Müller, Buchbesprechung, Collagen, Rumänien, Literatur

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