16. Mai 2022

Zwangsevakuierungen der Siebenbürger Sachsen im Burzenland vor 70 Jahren

Anfang Mai 1952 fanden vorwiegend in Kronstadt und in den Burzenländer Gemeinden Zwangsevakuierungen der Siebenbürger Sachsen statt. Ganze Familien wurden aufgefordert, innerhalb von drei Tagen, manchmal sogar in 48 Stunden, ihre Wohnungen zu räumen und Zwangsaufenthalt in vorgegebenen Orten zu nehmen. Die repressiven Maßnahmen des kommunistischen Regimes waren im Dekret Nr. 239/1952 vorgesehen. Die örtliche Verwaltung erstellte Listen, nach denen die Kommissionen die Familien aufsuchten und ihnen den Evakuierungsbefehl übermittelten.
Zwangsevakuierte aus Heldsdorf: Hans Otto Tittes ...
Zwangsevakuierte aus Heldsdorf: Hans Otto Tittes und Walter Depner als Schüler beim Transport von Lehm zur Ziegelherstellung. Fotoarchiv: H. O. Tittes
Beim Räumen, Packen und Verladen halfen Verwandte, Freunde und Nachbarn. Bei ihnen wurden auch Sachen untergebracht, die man nicht mitnehmen konnte. Auf den Dörfern trat die Nachbarschaft in Aktion, in Kronstadt halfen viele Schüler. Franz v. Killyen, Rektor der Honterusschule, gab seinen Schülern zwecks Hilfsaktionen schulfrei, obwohl der Bevölkerung verboten wurde, den Evakuierten zu helfen. Er verlor nicht nur seinen Posten, sondern musste zur Strafe ein Jahr lang in einer Fabrik arbeiten und bleibende gesundheitlichen Schäden in Kauf nehmen.

Am Abend vor der Zwangsevakuierung hielt Pfarrer Georg Schuller in Heldsdorf einen Abschiedsgottesdienst mit Abendmahl, der einzige dieser Art im Burzenland. Er war auch außergewöhnlich, da er im Kirchenjahr nicht vorgesehen war und versuchte, einen Willkürakt des Regimes seelsorgerisch abzumildern. In vielen Fällen mussten die Evakuierten sich die Wohnung am Ort des Zwangsaufenthaltes selber suchen. Die Ortschaften, in denen sie Zwangsaufenthalt erhielten, waren Elisabethstadt, Racoşul de Jos, Covasna, Târgu Secuiesc, Sankt Georgen (Sfântu Gheorghe), Cadiseni, Câmpulung-Muscel, Reps, Thorenburg (Turda), Lugosch und Gheorgheni.

Die Mehrzahl der Heldsdorfer entschied sich für Elisabethstadt. Hier lebten überhaupt die meisten Evakuierten. Von der geschätzten Gesamtzahl der 1500 bis 2000 evakuierten Siebenbürger Sachsen im Burzenland wohnten 700, also knapp die Hälfte, in Elisabethstadt, das damals knapp 5000 Einwohner hatte und damit einen Bevölkerungszuwachs von 14% erfuhr. Das merkte man in der kleinen Stadt. In manchen Gassen waren fast in jedem zweiten Haus Evakuierte einquartiert. Christof Hannak geht neuerdings von 9000 Zwangsevakuierten aus, eine Zahl, die ihm vom Rumänischen Nachrichtendienst (SRI) genannt wurde.

Die Landesbehörde zur Verwaltung der Securitate-Akten in Bukarest (CNSAS) veröffentlichte auf ihrer Webseite www.cnsas.ro eine Liste mit 56 468 Personalakten von Zwangsevakuierten. Die Betroffenen sind alphabetisch nach Familiennamen geordnet, doch ist es schwierig, jene aus Kronstadt und dem Burzenland herauszuschreiben, um ihre Zahl genauer zu erfassen.

Laut Dekret sollten „aus dem Wirtschaftsleben ausgeschaltete Angehörige der Bourgeoisie“ zwangsumsiedelt werden. Bei der Anwendung des Gesetzes herrschte jedoch absolute Willkür. Die Opfer waren nicht nur Sachsen, sondern auch Ungarn, Juden, Türken und sogar Rumänen. Es wurden auch Personen einbezogen, die irgendwie lästig waren oder größeren Einfluss auf ihre Mitmenschen hatten. Der Begriff „Klassenfeind“ war äußerst dehnbar. Aus Heldsdorf wurde der Sänger (cantor) der orthodoxen Kirche nach Racoş evakuiert. Zur gleichen Zeit tauchte in Heldsdorf ein rumänischer Volksstamm besonderer Art auf – die Mazedonier oder Aromunen aus der Dobrudscha. Sie kamen zum Teil in den Wohnungen der evakuierten Sachsen unter. So richtete der mazedonische Fotograf Ceahlera sein Atelier in der Wohnung der evakuierten Familie Karl Wagner ein.

Am Ort des Zwangsaufenthalts erhielten die Leute einen Vermerk in den Personalausweis: „DO“ (domiciliu obligatoriu = Zwangsaufenthalt) und mussten sich regelmäßig bei der Miliz (Polizei) melden. Sie durften sich nur in einem Umfeld von fünf Kilometern bewegen. Die Meldepflicht bei der Miliz in Elisabethstadt war anfangs täglich, dann alle zwei Wochen, später monatlich und zuletzt fiel sie weg. In Sankt Georgen mussten sich die Evakuierten wöchentlich und an allen kirchlichen Feiertagen melden; in Ortschaften mit wenigen Evakuierten (Câmpulung-Muscel, Sächsisch-Regen, Lugosch) gab es keine Meldepflicht. Wer den Radius von fünf Kilometern überschritt, wurde drastisch bestraft. Die Frau eines jüdischen Uhrmachers fuhr ohne Erlaubnis nach Kronstadt, wurde erwischt, in der Nähe des nächsten Bahnhofs aus dem noch rollenden Zug gestoßen und ein paar Tage lang in Haft gehalten. Die schwangere Frau S. W. nutzte ihren Personalausweis, in der sie noch mit dem Mädchennamen aufgeführt war, um ihren nichtevakuierten Mann in Kronstadt zu besuchen. Sie wurde verhaftet und gebar ihr Kind im Gefängnis.

Als achtjähriger Junge kann ich mich noch gut erinnern, wie die Aktion in Heldsdorf verlief. Am 4. Mai ging eine Kommission durch die Straßen und verteilte die Evakuierungsbefehle. Einziges uniformiertes Mitglied der Kommission war Teofil Popescu, Milizchef von Heldsdorf. Voller Erregung beobachteten die Sachsen auf der Straße, wohin die Kommission hineingeht. Sobald jemand den Evakuierungsbefehl erhalten hatte, verbreitete sich die Nachricht im ganzen Dorf und die Verwandten, Freunde und Nachbarn kamen, um beim Packen zu helfen. Eine Begebenheit hat sich mir besonders eingeprägt. Zwei LKW fuhren aus einem Haus in der Türkgasse heraus. Unter den Planen konnte man Kleiderschränke u.a. Möbel erkennen. Martin Horwath-Szocsory schloss das Tor, drehte sich nochmal um, bestieg mit Tränen in den Augen den zweiten LKW. Dann fuhren sie langsam davon.

1992, zum 40. Jahrestag der Evakuierungen, starte Christof Hannak (selbst ein Evakuierter) eine Umfrage unter den Betroffenen, um ein möglichst umfassendes und objektives Bild der Geschehnisse zu erhalten. Die meisten Zuschriften auf seinen Aufruf erhielt er neben Kronstadt aus Heldsdorf. Mit ihren Berichten trugen die Zeitzeugen zu einer bemerkenswerten Dokumentation bei (Wir Heldsdörfer Nr. 67, S. 31 ff). Es waren z. T. erschütternde Berichte, Schilderungen von schicksalsschweren Leidenswegen, aus denen hier einige zitiert werden.

Frau A. Z. schreibt: „Wir hatten eine Bauernwirtschaft in Heldsdorf. Von unseren sechs Kindern waren noch vier in der Schule. Mein Mann wurde 1945 zur Zwangsarbeit nach Russland deportiert. 1945-46 hatte man uns den Grund enteignet, auch das Vieh und alle Geräte genommen. Wir mussten uns als Tagelöhner das tägliche Brot verdienen. Auf unserem Hof und in die Ställe war die Staatsfarm eingezogen. 1948 erhielt ich durch einen Freund die Nachricht, dass mein Mann in Russland gestorben war. Das war ein harter Schlag.“

Die Hauptwelle der Massenumsiedlungen fand Anfang Mai 1952 statt. Es gab aber auch noch Ende Mai und sogar noch im September 1952 vereinzelte Fälle von Evakuierungen unter den Sachsen. Betroffen waren alle sächsischen Gemeinden des Burzenlandes und vor allem Kronstadt, von wo – genaue Zahlen kennt man nicht – etwa tausend Personen zwangsevakuiert wurden. Vereinzelt wurden auch Familien aus Törzburg, den Siebendörfern, Broos, Mühlbach und dem Banat zwangsumgesiedelt.

Die Reise ins Ungewisse dauerte bei manchen drei Tage und drei Nächte lang, auch wenn es bis zum Ort des Zwangsaufenthalts nur 60 km waren. Man stand halbe Tage lang auf irgendwelchen Bahnhöfen und wartete. Frau A. Z. aus Heldsdorf schreibt: „Wir taten uns mit allen Leidensgenossen zusammen und nahmen für jede Familie einen Waggon. Dorthin luden wir Möbel, (Brenn-)Holz und Lebensmittel – was wir hatten – ein. Viele gute Freunde und Nachbarn halfen uns. Am Abend des dritten Tages gingen wir noch einmal in die Kirche zum Abendmahl. Dann ging die Fahrt hinaus in die Nacht. Es war eine kalte Nacht. Wir drückten uns zwischen Möbeln und Holz herum, konnten aber nicht schlafen. Am nächsten Morgen kamen wir in Schäßburg an. Da nahm man uns nicht an; es war kein Platz mehr. Wir mussten weiter nach Mediasch. Dort standen wir einen halben Tag lang bei der Miliz und warteten auf einen Bescheid. Ach dort war kein Platz. Wir mussten am nächsten Tag zurück nach Elisabethstadt. Dort angekommen, ging ich wieder zur Miliz. Müde und hungrig wartete ich dort bis gegen Abend, bis sie uns ein Quartier anwiesen ... Was für ein Quartier? Wir mussten zuerst die Hühner ausquartieren und dann den ärgsten Schmutz putzen. Am nächsten Tag strichen wir die Wände mit Kalk und pferchten dann die Sachen hinein. Zuerst kauften wir Mausefallen, denn Mäuse und Ratten und Nacktschnecken waren dort in Massen.“

Frau H. L. aus Wolkendorf, damals noch Schülerin, berichtet: „Als ich an diesem Samstagnachmittag (3. Mai 1952) aus der Schule kam, standen vor unserem Haus Polizisten. Im Hof sah ich mehrere Männer in Ledermänteln. Mein Großvater musste ihnen die Personalausweise vorlegen. Meine Großmutter schüttelte ein Weinkrampf. Ich habe sie nie mehr so verzweifelt gesehen. In dem großen Durcheinander konnte ich nur so viel verstehen, dass am Montag, den 5. Mai, um 12 Uhr Haus und Hof geräumt sein müssten.“

Frau T. Z. aus Kronstadt erinnert sich: „Ich sollte unterschreiben, dass ich freiwillig räume. Ich habe mich geweigert und wurde dann auf der Miliz in der Blumenau in den Keller gesperrt und handgreiflich bedroht. Weil meine beiden Kinder allein in der Wohnung geblieben waren, habe ich dann unterschrieben.“

Die beiden Brüder Christof Hannaks studierten damals in Temeschburg, waren aber nicht im Hausbuch eingetragen und somit auch nicht auf der Liste. Sie brachen sofort den Briefwechsel ab, entkamen und konnten fertig studieren.

Ein rumänisches Ehepaar aus Kronstadt wurde auch evakuiert. Es war so arm, dass es sein ganzes Hab und Gut auf einen Handwagen packte und die 60 km nach Târgu Secuiesc zu Fuß auf der Landstraße ging. Dort stellte sich heraus, dass es eine Verwechslung oder ein Irrtum war. Überglücklich zog das Paar seinen Wagen die 60 km wieder nach Kronstadt zurück.

Zu den einschränkenden und „erzieherischen“ Maßnahmen zählten auch die Arbeits-, die Wohnbedingungen und der begrenzte Schulbesuch. Der „Klassenfeind“ sollte umerzogen werden. Man schürte direkt den Hass nicht nur gegen die Evakuierten, sondern oft auch gegen ihre Quartiergeber.

Da die Evakuierungen im Mai erfolgt waren, konnten die Kinder das Schuljahr nicht beenden. Manche taten das schwarz oder mit Sondererlaubnis. G. E. aus Târgu Secuiesc fuhr mit einem Traktor 60 km nach Kronstadt, um die Jahresendprüfungen abzulegen. Die sächsischen Lehrer waren sehr entgegenkommend; die Onkels und die Großmutter fürchteten sich aber, ihn zu beherbergen. Fünf Jugendliche legten mit Sondergenehmigungen die Abschlussprüfungen an der Kronstädter Handelsschule ab. Ihnen wurde aber kein Arbeitsplatz zugeteilt und die Empfehlung für den Hochschulbesuch verweigert.

Ein Junge, der seine Abschlussprüfung schwarz in Schäßburg ablegte, wurde auf der Rückfahrt im Zug ertappt und für eine Nacht verhaftet.

Marianne Groß aus Heldsdorf berichtet ausführlich in Wir Heldsdörfer, Nr. 69, Weihnachten 1993, S. 26 ff.:

„Die Stimmung im Dorf war seit Tagen sehr bedrückend. Fremde Polizisten waren ständig in den Straßen unterwegs und aus Kronstadt sickerte die Nachricht durch, dass viele Familien (aller Nationalitäten) bereits evakuiert, d.h. von ihrem Haus und Hof vertrieben wurden. In Heldsdorf ging es am 4. Mai in der Früh los und zwar fast bei allen Betroffenen zur gleichen Zeit. Es waren eine Menge Menschen in dieser Sache tätig. Allein bei uns waren es sechs Polizisten, zwei bei meiner Mutter daheim, zwei bei meinem Vater am Arbeitsplatz und zwei bei mir. In aller kürzesten Zeit mussten wir unter Bewachung unsere Arbeitsplätze räumen, Kasse und Material schnellstens übergeben, um anschließend nach Hause geleitet zu werden. Sofort mussten wir alle drei unsere Ausweise abgeben und man teilte uns mit, dass wir binnen drei Tagen Heldsdorf, d.h. den Kreis Kronstadt verlassen müssten. ,Ihr könnt fahren, wohin Ihr wollt, das Land ist groß und Ihr könnt mitnehmen was Ihr wollt.‘ Im Laufe des Vormittages sollten wir bei der Polizei melden, wohin wir zu reisen gedächten!

Was damals in uns vorgegangen ist, lässt sich nicht beschreiben, aber wir bemühten uns alle drei eisern, den Kopf nicht zu verlieren und klare Gedanken zu fassen. Verwandte und Freunde kamen, um mit Rat und Tat Hilfe zu leisten. Wir beschlossen, auf keinen Fall in einen Zug zu steigen, da uns bekannt war, was ein Jahr vorher mit den Leuten aus dem Banat geschehen war! (Verschleppung in die Bărăgan-Steppe, wo sie in selbstgegrabenen Erdlöchern hausen mussten.)

Als wir uns dann bei der Polizei meldeten, hatten wir plötzlich keine Wahl mehr in dem großen weiten Land, denn die meisten Gebiete waren ,Für Leute wie Ihr seid!‘ gesperrt, hieß es. Was empfindet ein Mensch, wenn er plötzlich wie ein Schwerverbrecher behandelt wird? ,Für Leute wie Ihr seid‘, an dem Satz habe ich lange geschluckt.

Wir entschlossen uns für den Kreis Racoş, weil das auch nicht so weit war. Unsere Verwandten besorgten uns zwei Fuhrwerke und wir suchten zusammen, was man am dringendsten braucht. Alles andere aus Haus und Hof wurde irgendwo untergestellt oder aufgeteilt. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass uns sehr große Hilfe von Verwandten und Nachbarn geboten wurde, sowohl in diesen Tagen als auch in den folgenden schweren Jahren, und dass wir sehr dankbar dafür waren.

Als wir am dritten Tag mit unserer geschrumpften Habe zum Hoftor hinausfuhren, fing es fürchterlich an zu regnen und wir saßen zwischen Möbeln und Kisten unter Zeltplanen und fuhren in Richtung Geisterwald. Auf halber Strecke hatten wir am Autowagen eine Reifenpanne, ein Reserverad fehlte. Die erste Nacht verbrachten wir also bei strömendem Regen mitten auf der Landstraße und waren glücklich, als am nächsten Tag der Schaden behoben wurde und wir weiterfahren konnten. Wir sahen viele Menschen an den Straßen, die weinten, obwohl sie uns gar nicht kannten! Eigentlich wollten wir nach Reps oder Umgebung, aber aus Racoş durften wir nicht weiter. Racoş war damals Kreisstadt. Kaum dort angekommen, trafen wir auf der Straße gleich Bekannte aus Kronstadt und unsere Heldsdorfer waren auch schon dort. Familie Depner Andreas (Drusch), Familie Priester Erwin (Spergel), Familie Wagner Martha (Fluza).

Zwei Tage vor unserer Ankunft hatte man im Dorf bekanntgegeben, dass jeder, der einem Evakuierten hilft, selber evakuiert wird! Und dort sollte man nun eine Unterkunft finden? Welch ein Hohn, als man uns im Rathaus sagte: ,In der Volksrepublik Rumänien hat jeder Mensch Anspruch auf eine Wohnung, Ihr müsst nur suchen!‘

Aber die Ungarn hatten Herz und bewiesen Mut! Wir kamen nach langem Suchen in einer Scheune unter, Familie Drusch in einem Keller usw. Bekannte aus Kronstadt wohnten in einem Stall. Der Mann schlief in der Krippe – wie einst das Jesuskind! […]

Am Anfang waren die Behörden ziemlich gemein zu uns, aber mit der Zeit besserte sich das auch. Nach vielen Wochen erhielten wir unsere Ausweise zurück und es prangte ein dicker fetter Stempel darin. Wir hatten Zwangsaufenthalt und durften den Ort nicht verlassen. Die Aussichten auf Arbeit waren gering, es gab nur die Wahl zwischen Steinbruch und Ziegelfabrik. Ich bekam gleich in den ersten Tagen Arbeit in einem Lebensmittelgeschäft als Kassiererin. Viele beneideten mich, aber schon nach zwei Tagen wusste ich, dass es schlimm werden würde. Nach einigen Wochen – der Laden war gerammelt voll – wurde ich vor allen Kunden aus der Kasse gezerrt, beschimpft und mit viel Trara hinausgeworfen.

Eigentlich war ich erleichtert, das Kapitel war zu Ende. Ich fand Arbeit in der Ziegelfabrik und hoffte nun sehr, endlich in Ruhe gelassen zu werden! Viele ungarische Männer aus dem Dorf und einige Leidensgenossen aus Kronstadt waren dort beschäftigt. Bei den Frauen gab es nur Zigeunerinnen und mich. Für eine Ungarin war es einfach unter ihrer Würde, dort zu arbeiten und unsere ungarische Hausfrau war hell entsetzt, als sie hörte, dass ich dort arbeiten soll. Inzwischen waren wir aus der Scheune ausgezogen und bewohnten nun einen früheren Lagerraum mit Lehmfußboden. Anfangs waren meine Mitarbeiterinnen voller Misstrauen. Aber ich ließ mich diplomatisch von ihnen in die Kunst der Ziegelfabrikation einweisen und als sie merkten, dass ich das sogar kapierte, waren sie plötzlich wie verwandelt. Ich war ja aber gewiss eine sehr gelehrige Schülerin. […]

Wir Heldsdörfer waren viel zusammen, ab und zu kam auch Besuch aus Heldsdorf und das waren Festtage. So ging es auf und ab, jeder tat sein Bestes und ich habe meine Eltern bewundert, wie gelassen sie so manches hinnahmen und wie fröhlich wir oft miteinander sein konnten. Wenn ich zum Beispiel an Familie Priester denke. Vier kleine Kinder und diese Verhältnisse – und doch waren sie immer guter Dinge. Der Erwin heiterte jeden auf, wenn einer mal den Mut verlor. Wenn Geheimpolizei auftauchte, war es immer schlimm, meistens nahmen sie jemanden mit und viele sind nie wieder zurückgekommen. Es gab tragische Schicksale und viele Menschen, die sehr tapfer ihr Schicksal trugen.

Für mich waren es sehr lehrreiche Jahre, es war ein Gewinn, so viele bewundernswerte Menschen kennenzulernen und man gewann Freunde fürs ganze Leben. – Aber man verlor auch Freunde! Wir waren gestempelt und es gab plötzlich Menschen, die sich scheuten, mit uns befreundet zu sein, man hätte Schaden nehmen können – also wurden wir gemieden! Diese Dinge zu erkennen und zu schlucken, war manchmal schon sehr hart. […]

Wieder in Heldsdorf, hatten wir Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. Man behandelte uns weiter als Gestempelte! Doch zum Schluss kamen fast alle, die evakuiert gewesen waren, auf der Staatsfarm unter und das hatten wir allein dem damaligen Direktor Samara zu danken. Nun waren wir wieder daheim, angeblich frei, und im eigenen Haus – aber die Wurzeln waren abgerissen!“

Die Evakuierung bedeutete ein tiefer Einschnitt im Leben der Betroffenen. Der Terrorakt des kommunistischen Regimes verursachte erhebliches Leid. Zwangsevakuierte wurden, ebenso wie Russlanddeportierte, vom rumänischen Staat durch das Gesetz (DL) 118/1990 als politisch Verfolgte rehabiliert. Sie erhalten auf Antrag Entschädigungszahlungen, die durch das Gesetz 211/2013 auf Betroffene im Ausland und durch die Gesetze 130/2020 und 232/2020 auch auf Kinder der Betroffenen ausgeweitet wurden.

Karl-Heinz Brenndörfer

Schlagwörter: Geschichte, Burzenland, Zeitzeugenberichte, Evakuierung, Zwangsevakuierte

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