14. Juli 2022

Tradition und Moderne im deutschen Schulwesen Rumäniens

Am 25. und 26. Juni fand im Haus des Deutschen Ostens (HDO) in München die 20. Jahrestagung der Sektion Schulgeschichte des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL) statt. Die Veranstaltung wurde vom Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen e. V. aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales gefördert, wofür wir danken. Bei der Veranstaltung, die von Dr. Erwin Jikeli, Leiter der Sektion Pädagogik und Schulgeschichte, vorbereitet und moderiert wurde, trugen acht Referenten ihre Arbeiten an zwei Tagen vor.
Gerlinde Schuller referierte auf der Schultagung ...
Gerlinde Schuller referierte auf der Schultagung in München. Foto: Bernd Schuller
Nach der Begrüßung der 26 Teilnehmer und der Einführung in die Problematik durch den Leiter der Sektion präsentierte Dr. Erika Schneider den ersten Vortrag. Zurzeit feiert die Bergschule 500 Jahre seit ihrer ersten urkundlichen Erwähnung im Jahr 1522. In diesem Zusammenhang formulierte die Referentin die These: „Das Schäßburger Gymnasium – die Bergschule – 500 Jahre alt oder mehr?“ Anhand zahlreicher Archivalien und Fotos veranschaulichte sie die wichtigsten Meilensteine in der Entwicklung der Schule. Aus den Matrikeln der Universität aus Krakau geht hervor, dass zwischen 1406-1522 mindestens 116 Siebenbürger in der artistischen Fakultät akademische Grade erwarben, darunter auch vier aus Schäßburg. Noch reger besucht war die Hochschule in Wien, deren Lehrer und Studenten der österreichischen, rheinischen, ungarischen und sächsischen Nation angehörten. Unter den 265 Siebenbürgern in den Matrikeln der Wiener Universität zwischen 1501-1526 finden sich unzweifelhaft 219 Sachsen, darunter zehn Schäßburger. Diese hohe Anzahl von Studenten an den Universitäten von Wien, Krakau und anderen Universitäten lässt vermuten, dass es schon lange vorher in Schäßburg eine höhere Schule gegeben hat, in der die Schüler für das Studium an europäischen Universitäten vorbereitet wurden.

Der Vortrag von Halrun Reinholz hatte zum Thema „Die Lenauschule sind wir – Ein Buchprojekt zum 150. Geburtstag des Temeswarer deutschen Lyzeums“. Zunächst stellte die Referentin den Verein der Freunde der Lenauschule vor, der 2008 gegründet wurde und aktuell 167 Mitglieder umfasst. Die Ziele des Vereins wurden und werden durch konkrete Projekte, wie Unterstützung der Schule mit Lehr- und Lernmitteln, organisatorische und finanzielle Unterstützung bei der Instandhaltung, Förderpreise, Kulturprogramme, Schüleraustausch, Lenautreffen und Publikationen erfolgreich umgesetzt. Im weiteren Verlauf erläuterte Frau Reinholz den ­Inhalt des oben genannten Buchprojekts. Diese umfassende Dokumen­tation zur Lenauschule und ihrer Bedeutung für die deutschsprachige ­Bevölkerung des Banats wird voraussichtlich 550 Seiten beinhalten und soll noch in diesem Jahr erscheinen.

Dr. Ulrich A. Wien untersuchte in seinem Vortrag „Schneller, höher, weiter? Kirche und Sport in Siebenbürgen“ die Beziehung zwischen Kirche und Sport in Siebenbürgen. Die dortigen Initiatoren knüpften an die Wurzeln aus der Antike an sowie an die protestantisch geprägten Philanthropisten des 18./19. Jahrhunderts und an die „vaterländisch“ ausgerichtete Turner-Idee F. L. Jahns. Nach der Rückkehr vom Studium an deutschen Universitäten griffen die angehenden Lehrer und Pfarrer in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf dieses „ganzheitliche“ Erziehungskonzept zurück. Seit 1846/47 begründeten sie Turnvereine und den Schulsport in den Städten und warben im Schul- und Kirchenboten auch für dessen Einführung auf den Dörfern. Um die Jahrhundertwende hatte sich das Turnen durchgesetzt. Sportplätze, Turnhallen, aber auch Schwimmbäder wurden errichtet. Schauturnen bei Vereinstagen oder der Generalkirchenvisitation wurden zu nationalen Weihestunden in der kulturprotestantischen Landeskirche. Je nach politischer Konjunktur wurde auch die vormilitärische Ausbildung akzentuiert, bei den Jugendwehren (vor dem Ersten Weltkrieg), den Schulwandergruppen (1930er Jahre) bis hin zur Stefan-Ludwig-Roth-Erziehungsanstalt in Sächsisch-Regen. Erfreulich waren die durch Schul- und Vereinssport geförderten Erfolge bei nationalen und internationalen Wettkämpfen der Zwischenkriegszeit.

Gerlinde Schuller sprach in ihrem Vortrag, illustriert durch eine Fotomontage, über das „Leben und Wirken eines siebenbürgischen Lehrers in den Jahren 1947-1977 in Hermannstadt“. Als Ehefrau, emotional berührt, äußerte sie, es sei vielleicht ungewöhnlich, einen Vortrag mit dem Tod eines Menschen zu beginnen und zitierte dazu einen Kollegen ihres Mannes: „Die unheimliche Staublawine, die oberhalb des Bulea-Sees am 17. April 1977 dreiundzwanzig Hermannstädter Schüler und Lehrer unter sich begrub, riss auch ihn hinab in die Tiefe: Richard Schuller, einen der profiliertesten siebenbürgisch-sächsischen Pädagogen der Nachkriegszeit.“ Richard Schuller, von Schülern, Kollegen und Freunden liebevoll „Schucki" genannt, wirkte nach seinem Biologiestudium in Klausenburg als Lehrer, stellvertretender Direktor und Direktor an mehreren Schulen in Hermannstadt. Unter seiner Veranwortlichkeit als Direktor und Lehrer wurden in der Brukenthalschule umfangreiche Renovierungen und Modernisierungen durchgeführt sowie wertvolle Anschaffungen von Lehr- und Lernmitteln getätigt. Ausgezeichnet hat sich „Schucki“ vor allem durch beispielhaftes Engagement für außerschulische Unternehmungen und eine rege kulturelle Tätigkeit. Er veranstaltete Vortragsabende für die Elternschaft, Theateraufführungen, Blasmusikkonzerte, Turnfeste und Trachtenschauen. Die mannigfaltigen Schulfeiern, die stimmungsvollen Hüttenabende und die vielen Ausflüge hinterließen bei Schülern, Eltern und Kollegen einen bleibenden Eindruck.

Der Beitrag „,România Educată‘, ,Gender-Eklat‘ und Corona-Krise. Aktuelle Entwicklungen und Debatten in der rumänischen Schul- und Bildungspolitik“ mit gründlich und vielfältig dokumentierten Fakten zur Lage des Schulwesens im heutigen Rumänien, zusammengestellt und vorgetragen von dem Hermannstädter Hochschullehrer Dr. Robert Pfützner, entsprach voll und ganz den Zielsetzungen unserer Veranstaltung und das sowohl durch seine Gegenwartsbezogenheit als auch durch die gründliche Betrachtungsweise. Eingangs informierte der Referent über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Bildungsniveau in Rumänien. Aufgrund von Schulschließungen und des geringen Zugangs zu Lehrmaterialien hätten sich in diesem Jahr 40 000 Absolventen und Absolventinnen (26%) nicht zum Bakkalaureat angemeldet. Zu befürchten sei, dass viele Studienplätze frei bleiben, was eine Senkung des Bildungsniveaus zur Folge habe. Als „Gender-Eklat“ bezeichnete Pfützner das Tauziehen in Rumänien um die Gleichstellung der Geschlechter und die Neufassung des Bildungsgesetzes. Rumänien liegt in der Europäischen Union beim Anteil der minderjährigen Mütter an erster Stelle. Nun trat eine Regelung in Kraft, die das Problem verschärfen könnte: In Rumäniens Schulen darf Sexualerziehung künftig erst mit Beginn der 8. Schulklasse und nur mit dem Einverständnis der Eltern stattfinden. „România Educată“ (Gebildetes Rumänien) ist ein weitläufiges Bildungsprojekt, das 2016 von Staatspräsident Klaus Johannis ins Leben gerufen wurde. Abschließend bezog sich der Referent auf die Maßnahmen der Regierung zur Integration der ukrainischen Flüchtlingskinder in das schon bestehende Schulwesen der ukrainischen Minderheit.

Den zweiten Teil der Tagung eröffnete Dr. Erwin Jikeli mit dem Vortrag „Zur Frage der Internate – eine pädagogische Erörterung im Siebenbürgisch-Deutschen Wochenblatt (1868–1873)“. Ausgelöst wurde die Debatte durch räumliche Unzulänglichkeiten am Kronstädter Seminar. Der Beschluss der Lehrerkonferenz, in dem die Aufhebung des Internats gefordert wurde, löste eine Polemik aus, die immer weitere Kreise zog und schließlich von der Öffentlichkeit nicht mehr als lokales, sondern als generelles Problem aller evangelisch-sächsischen Mittelschulen betrachtet wurde. Die heftige öffentliche Auseinandersetzung hatte jedoch nur geringfügige Verbesserungen am Kronstädter Internat zur Folge, das weiterhin auf der Grundlage der alten Hausordnung funktionierte. Das Engagement, mit dem die Debatte geführt wurde, schadete mehr, als zur Lösung der Frage beizutragen.

Die Tagung der Sektion Schulgeschichte wurde mit dem Vortrag von Heinz Bretz und Beate Kleifgen mit dem Thema „2019/2020: Ein Schuljahr als Deutschlehrer am Pädagogischen Lyzeum in Hermannstadt“ abgeschlossen. Heinz Bretz war nach seiner Pensionierung ein Schuljahr als Ortslehrer am Colegiul Naţional Pedagogic „Andrei Șaguna“ (Päda) in Hermannstadt tätig. Das Päda ist aus dem altehrwürdigen Gebäude neben der Ursulinenkirche vor Jahren in ein Schulgebäude auf dem Hipodrom umgezogen. Bretz unterrichtete Deutsche Literatur, Deutsche Grammatik und Deutsch als Fremdsprache. Der Unterricht dort findet auf einem sehr hohen Niveau statt, so dass die Schüler und Schülerinnen beim Bakkalaureat hervorragend deutsch sprechen und für ihre berufliche Zukunft bestens vorbereitet sind. Bretz referierte auch über die Fortbildungsmöglichkeiten der Lehrer. Sehr erfreulich für ihn war die Teilnahme vor Beginn des Schuljahres an einem dreitägigen Einführungsseminar für Deutschlehrer aus ganz Rumänien in Jassy, organsisiert von der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen und dem Zentrum für Lehrerfortbildung in deutscher Sprache aus Mediasch. Seine Ehefrau Beate Kleifgen hospitierte in ihren Herbstferien zwei Wochen am Päda. Sie nahm am Deutschunterricht (Das Nibelungenlied) und an der Ausbildung im Lehrkindergarten teil. Sie hob besonders die sehr guten Deutschkenntnisse der Schülerinnen und Schüler sowie die ansprechende Gestaltung der Schulflure mit Schülerarbeiten aus dem Kunstunterricht hervor.

Im Rückblick: Eine gut besuchte Tagung mit interessanten Vorträgen und lebendigen, zum Teil kontrovers geführten Diskussionen. Um die Dokumentationsarbeit erfolgreich fortführen zu können, bitten wir alle, die sich mit diesem Thema befassen möchten, Kontakt mit Dr. Erwin Jikeli, Lindemanshof 6, 47179 Duisburg, Telefon: (0177) 8088321, E-Mail: erwinjikeli[ät]gmx.de, aufzunehmen, damit auch für die zukünftigen Tagungen eine ausreichende Zahl an Referenten und Teilnehmern zur Verfügung steht.

Dr. Erwin Jikeli

Schlagwörter: AKSL, Tagung, München, Schulgeschichte, Pädagogik

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