24. Juli 2022

„Mythologie und Historie – Illustrationen von Sieglinde Bottesch“ in Nürnberg

„Liebe Frau Bottesch, Hexen und Siebenbürgen, funktioniert das?“ – „Ja, ich würde fast sagen natürlich, weil erstens einmal in den Sagen, die ich jahrelang illustriert habe, die Hexen einen sehr wichtigen Platz einnehmen und immer wieder vorkommen, aber in einer Form dargestellt, wo man eher so in Richtung Humor gehen möchte, also es ist nicht erschreckend, wenn da geschrieben wird, dass sie durch den Schornstein hoch fuhren mit dem Leintuch um die Schultern, mit geöffneten Haaren, dann losflogen zu dem Tanzplatz, wo der Sabbattanz stattfand. Und das war eigentlich, wenn ich das illustriert habe, eher belustigend. Aber der Impetus für den Hexenzyklus war ein Text von Ricarda Terschak und im Anhang von Emil Sigerus ein Bericht beziehungsweise eine Chronik, wo mit Daten und Jahreszahlen belegt wurde, wenn Hexen umgebracht wurden, geköpft, verbrannt oder im sogenannten Schneiderteich in Hermannstadt ertränkt, oder auf dem Großen Ring verbrannt wurden …“
Vor dem in der Stadtbibliothek ausgestellten ...
Vor dem in der Stadtbibliothek ausgestellten Hexenzyklus (von links) die an der Vernissage beteiligten Dr. Christine Sauer, Inge Alzner, Doris Hutter, Sieglinde Bottesch, Birgit Fernengel, Kristine Meier-Volland, Eva Piringer mit Künstler Michael Lassel. Foto: Susanne Edelmann
Nach dem Lesen dieser Texte war Sieglinde Bottesch erschrocken und ganz tief erschüttert. „Ich sagte mir, das musst du einmal in Bilder umsetzen. Es hat ja dann Jahre gedauert, bis ich überhaupt die zeitliche Gelegenheit hatte, diesen Zyklus zu beginnen, und das war so tief in mir, dass ich das einfach machen musste.“ Originalton Sieglinde Bottesch bei der Vernissage ihrer Ausstellung in Nürnberg am 7. Juli. Eine denkwürdige, viel beachtete Veranstaltung mit Tiefgang, ein Projekt des Nürnberger Kulturbeirats zugewanderter Deutscher in Kooperation mit der Stadtbibliothek: „Mythologie und Historie – Illustrationen von Sieglinde Bottesch.“ Texte aus ihrer siebenbürgischen Heimat waren also für die Künstlerin der Impuls zu eindrucksvollen Bildern, die eine geheimnisvolle Welt voller Fabel- und Fantasiewesen für die Zuschauer öffnet. Erstmals ist auch der neue, zwischen 2017 und 2021 entstandene Zyklus zu historischen Berichten über Hexenverfolgungen in Siebenbürgen bis zum 10. September zu bestaunen.

Die 1938 in Hermannstadt geborene und in Siebenbürgen bis 1987 wirkende Malerin, Grafikerin und Objektkünstlerin Sieglinde Bottesch lebt und arbeitet in Ingolstadt. Ausgebildet in Bukarest an der Fakultät für Bildende Kunst des Pädagogischen Instituts, ist die Malerin, Grafikerin und Objektkünstlerin Sieglinde Bottesch früh ins internationale Rampenlicht getreten. Ihre umfassende Ausstellungstätigkeit, gediegene Publikationen sowie zahlreiche Preise und Ehrungen – der Siebenbürgisch-Sächsische Kulturpreis 2016 ragt hier besonders hervor – lassen die auch als Kunstpädagogin in Großau, Hermannstadt und Ingolstadt wirkende hochbegabte, auch heute sehr vitale Künstlerin trotz Pandemie und üblichen Widrigkeiten mit Zuversicht nach vorne blicken.

„Lange mussten wir auf diese Ausstellung warten“, äußerte Dr. Christine Sauer, Stellvertretende Bibliotheksleiterin und Kuratorin der Bottesch-Ausstellung. Sie betonte in ihrer Einführung nach der Darstellung der fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem Kulturbeirat zugewanderter Deutscher und dem Haus der Heimat, vertreten durch Projektleiterin Birgit Fernengel und Geschäftsleiterin Doris Hutter, die Eindringlichkeit der „sehr berührenden, dunklen Bilder“, in deren Bann man auch durch die Auseinandersetzung mit dem Thema „unrechtmäßige Folter wahrlich hineingezogen wird“.

Den Monolog einer Hexe präsentierte Eva-Maria Piringer. „Nein, Hex, geh fort, unser Haus bleibt rein … Ich hab’ kein Unrecht getan … ich hab’ solche Angst, solche Angst, lass mich sterben, lass mich sterben, bevor ich ins Feuer muss …“ Eva-Maria Piringer (geboren in Großpold) ist ein Phänomen: Als Schauspielerin gelingt ihr auch diesmal vortrefflich, sich in die Lebenswelt völlig unterschiedlicher Charaktere zu begeben und diese mit großer Expressivität zum Leben zu erwecken. Diesmal auf der Grundlage eines eigenen Textes. Diesmal als angeklagte Hexe, als todgeweihte Frau. Mit ihrer Ausdruckskraft reißt sie mit, zieht die Zuschauer vollkommen in ihren Bann. Das innere Leid, die Verzweiflung, die pure Todesangst, das tiefe Fragen, sich selber zu erklären, wie sie zur Hexe abgestempelt in die Falle geriet, aus der es kein Entrinnen gibt, sie kann all das meisterhaft in den abendlichen Raum mit höchster Wirksamkeit transportieren. „Sie gesteht. Morgen wird die Hex verbrannt!“

Dipl.-Mus. Soloviolonistin Kristine Meier-Volland bestritt auf hohem Niveau die passende musikalische Umrahmung des Abends: Hexenhaft tiefe, surreale, zum Teil gehackte Töne kamen zum Vorschein, als sie Préludes, Opus 34, Nr. 24 von Julian Sitkovetsky, eine Improvisation im Stile von John Cage und einen Auszug aus dem Adagio in g-Moll von Tomaso Albinoni darbot. Exakt passend zur übergreifenden mythischen Thematik des Abends.

„Hexen fliegen durch die Luft“, heißt es im Flyer zur Ausstellung, „oder nehmen Tiergestalt an, Wetter- und Feuerdrachen treiben ihr Unwesen: die Sagen ihrer Heimat Siebenbürgen inspirieren Sieglinde Bottesch. Dabei entstehen eindrückliche Illustrationen zu kraft- und fantasievollen Geschichten.“ (Sauer/Bottesch) Der Hexen-Zyklus, erstmals ausgestellt, fußt auf historisch verbürgtem leidvollem Geschehen in Hermannstadt. Mythen, Sagen, Redensarten, Volksweisheiten auch des Alltagslebens der Siebenbürger Sachsen, künstlerisch wunderbar anschaulich verarbeitet, als Quelle zu sehen, aus der Sieglinde Bottesch unermesslich schöpft, auch das wird in dieser Ausstellung deutlich. „Kunst ist ein Weg der Selbsterfahrung. In ihr erkennen wir, was in uns gelegt ist.“

Wie sehr Sieglinde Bottesch auch damit Recht behält, dokumentiert auch ihre Ausstellung „Mythologie und Historie“ in Nürnberg, deren Eröffnung eine Erfahrung bot, die kaum jemand der zahlreichen Besucherinnen und Besucher missen möchte. Danke, Sieglinde Bottesch, Dr. Christine Sauer, Kristine Meier-Volland, Eva Piringer, Birgit Fernengel, Doris Hutter. Frauenpower pur!

Horst Göbbel

Schlagwörter: Ausstellung, Nürnberg, Bottesch, Illustrationen, Sagen

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