24. August 2022

Neuer Band von Dagmar Dusil bietet lebendige Kurzgeschichten

Wie sollten die Aufmerksamen unter uns mit dem neuen literarischen Produkt von Dagmar Dusil umgehen? Selbstverständlich besteht immer die Möglichkeit, diese gebündelt erschienenen Kurzgeschichten als pointierte Lektüre mit einem keineswegs zu unterschätzendem Unterhaltungswert inhaltlich zunächst tiefgründig zu erfassen und anschließend das Niedergeschriebene rundum zu genießen. Plastisch erkennbar wird dann, dass hier eine eindrucksvolle Fantasie durch extrem konträre Inhalte nicht nur befeuert, sondern zur Hochform aufläuft.
Überraschend dürfte das für die Kundigen natürlich nicht sein, sorgte doch gerade diese Autorin bereits mit ihren bisherigen Veröffentlichungen für wunderbare Vielfalten in Form oftmals pittoresken Ein- und Draufsichten. So bereicherte die schreibende Fleißarbeiterin mit ihrem stets hellwachen Blick unseren buchbeladenen Gabentisch bereits mit der eloquenten Vernetzung von persönlich eingefärbten Erinnerungen mit sorgsam gesammelten Rezepten ihrer Heimat und ließ einige Zeit danach in einem Kinderbuch den Weltraum zur Kulisse für spannende Ausflüge werden. Als fundierte Übersetzerin eines Sachbuches sorgte die auch historisch Bescheidwissende dafür, dass unsere fast verblassten Sichten auf Rumäniens Rolle zu Beginn des Zweiten Weltkrieges geschärft werden konnten. Und als quirlige Dorfschreiberin gelang es ihr vor Jahren erstmals, die Vorzüge des Landlebens für sich selbst zu ergründen. Poesievolle Gedanken in der jüngsten Pandemie wurden auch mit ihrer Hilfe ebenfalls öffentlich und halfen uns allen als gedruckte Mutmacher.

Jetzt legte unsere durchweg vitale Denkerin sanft nach. Dies geschah mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit. Was konnte die recht klug Notierende in kleine Geschichten alles hineinpacken? Richtig viel, wie das vorliegende Druckerzeugnis zeigt. Suchende Irrlichter beschreiben beispielsweise die Kraft und den gleichzeitigen Verfall menschlichen Lebens. Reale Erlebnisse treffen später auf wortakrobatische Gedankenmaler. Geht es doch nun um eine recht bizarre Beziehung eines keineswegs unbekannten Kulturmachenden zu seiner wesentlichen jüngeren Partnerin. Ein freiheitsliebender Hund streunt plötzlich über die Seiten direkt zum Leser und zeigt problemlos, wie wertlos ein Sein ohne Entfaltungsmöglichkeiten ist. Oftmals kommt kurzerhand bislang Vertrautes abhanden. Blumig oder nüchtern aufgeschriebene Geschichten ermöglichen persönliche Kontaktaufnahmen zu Vergangenem. Ja, brachial anmutende biografische Wendungen sorgen zuweilen für Schmerz. Aber es existiert ebenfalls reichlich Frohsinn, Unbeschwertheit, Zukunftshoffnung. Ein geheimnisumwittertes Paket elektrisiert plötzlich gleich die ganze Dorfgemeinschaft. Ein Wettermacher entblättert trotz trister Begleitumstände sein ganzes Leben, um dadurch knallhart an die eigene Düsternis seiner Biografie zu gelangen. Aber auch Träume tragen uns immer irgendwie weiter, zumindestens bis zur nächsten Pointe. Skurrile Dialoge entfachen kaum zu löschendes Seelenfeuer in abgelegenen Bergdörfern. Der letzte Tag des Jahres eignet sich vortrefflich für ungefilterte Blicke auf Erlebtes. Egal, ob diese Erinnerungen nun gut oder schlecht waren.

Scharfzüngig Analysierende landen immer wieder inmitten unerbittlicher Suchaktionen nach eigenen kulturellen Identitäten, nach dem Sich-Zurechtfinden in der Fremde. So macht eine Namensänderung natürlich nicht einen neuen Menschen aus der betreffenden Person. Ursprüngliches, Grundehrliches, Unfertiges, auch Ergebnisloses gewinnt im Buch oft. Dazu verabreicht werden zuweilen hitzige Gefühlswallungen. So trifft eine durch und durch gereifte Frau den durch und durch quirligen Donauschiffer. Endlich die Zeit, um einmal den Augenblick der intimen Zweisamkeit fernab nerviger Dazwischenreder und Moralprediger zu genießen. Einfach herrlich! Ein plötzliches Ende erscheint jetzt fast garstig. Vieles des hier druckreif Gewordenen ist tauglich zum Abspeichern im persönlichen Gedächtnis. Genau deswegen wird das Buch die Palette des diesjährigen Sommerlesestoffes bereichern.

Roland Barwinsky

Dagmar Dusil: „Entblätterte Zeit“. Kurzgeschichten. Pop-Verlag, Ludwigsburg, 2022, 193 Seiten, 16,50 Euro, ISBN 978-3-86356-359-2

Schlagwörter: Rezension, Dagmar Dusil, Kurzgeschichten

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