3. September 2024

Kriegswende in Bukarest vor 80 Jahren: Der königliche Staatsstreich vom 23. August 1944

„Was habt ihr da unten am Balkan angestellt?“ Zu spät brüllte Heinrich Himmler Ende August 1944 diesen Satz ins Telefon. Er galt einem Kurier aus Bukarest, der in Wien im Hotelzimmer saß und seit Tagen die deutsche Heeresführung vergebens warnte, Rumänien werde in Kürze die Fronten wechseln. Man war sich in Berlin zu sicher, glaubte, die Waffenbrüderschaft mit Rumänien habe Bestand, was auch vom herbeizitierten rumänischen Staatschef Marschall Antonescu vor Hitler und Ribbentrop noch einmal beteuert wurde.
König Michael I. in der Klosterkirche von Sâmbata ...
König Michael I. in der Klosterkirche von Sâmbata de Sus. Das als Stifterbild gestaltete Wandbild wurde 1946 aus Anlass der mit Unterstützung des rumänischen Könighauses wiederaufgebauten Brâncoveanu-Kirche gemalt und musste nach der Abdankung des Königs und der Ausrufung der Volksrepublik bereits 1948 wieder übertüncht werden. Erst 1993 wurde es wieder freigelegt. Foto: Konrad Klein
Auch Hitler blieb nur das Brüllen übrig, die Verräterclique, die Königskamarilla in Bukarest solle sofort verhaftet und erschossen werden. In Bukarest erschoss sich jedoch der deutsche Gesandte Manfred von Killinger, der frohgemut von einer Hirschjagd in seine Residenz in der Calea Victoriei heimgekehrt war und mit Entsetzen den Seitenwechsel der Rumänen zur Kenntnis nahm. Er stürzte noch in den Königspalast und versuchte, Mihail I., den Kopf der „Königskamarilla“, mit Drohen und Versprechungen umzustimmen. Aber die Würfel waren an jenem 23. August 1944 gefallen.

Filmreif sollte über die Bühne gehen, was niemand dem jungen König zugetraut hätte. Mihai I. lockte den Marschall in seine Amtsräume und forderte ihn auf, den Krieg zu beenden. Der Marschall lehnte ab und lobte die Karpatenfestung. Der König warnte. Antonescu bockte. Der König drohte mit Entlassung. Der Diktator höhnte, denken Sie, ich werde das Land in Ihre Hände legen – in die eines Kindes? Der König ließ Antonescu von zwei versteckten Offizieren gefangen nehmen. Auch der konnte nur brüllen, „Verräter, Verräter, das werdet ihr büßen!“ Die Offiziere suchten einen sicheren Ort für den Tobenden. Am besten ließ sich das Briefmarkenkabinett im Königspalast abschließen. Von hier kam der Marschall ins Gefängnis und vor Gericht. Am 1. Juni 1946 wurde er standrechtlich erschossen. Doch vorerst änderte sich der Kreuzzug gegen den Bolschewismus in einen Befreiungskampf gegen den Faschismus. Den Waffenstillstandsvertrag, der am 12. September 1944 zwischen der Sowjetunion und dem rumänischen Königreich unterzeichnet wurde, nutzten die Sowjets auch, um sich in Rumänien breit zu machen. Bis zur Wende 1989 war der 23. August im Rumänien Ceauşescus der wichtigste Staatsfeiertag, verlogen wie die gesamte Gegenwart, denn offiziell durften es nur die Kommunisten gewesen sein, welche der Faschistendiktatur den Garaus bereitet hatten.

Marschall Antonescu, der sich natürlich conducător, „Führer“, nannte, hatte am 4. September 1940 die Macht an sich gerissen und mit der erzreaktionären Eisernen Garde, einer faschistisch-mystischen Bewegung, die Regierung eines „nationallegionären Staates“ gebildet. Eben diese antisemitischen Nationalisten, in deren Namen Attentate und Pogrome verübt wurden, hatte Mihais Vater, König Carol II., im April 1938 verbieten lassen. Dies alles in direkter Konfrontation mit Hitlers ausdrücklicher Unterstützung der Eisernen Garde. Auch deren neue Führung unter Horia Sima zwang der König, das Land zu verlassen. Sie wurden in Deutschland gnädig aufgenommen und zuletzt als Schutzhäftlinge mit bevorzugter Verpflegung in Buchenwald untergebracht. 1940 musste König Carol II. nun selbst Rumänien verlassen, Frau Elena und Sohn Mihai sitzen lassen, um mit seiner Geliebten auf strapaziöse Weise das Weite zu suchen.

Ab Oktober 1940 kamen sogenannte deutsche „Lehrtruppen“ ins Land. Zuletzt waren es über 500.000 deutsche Soldaten, die Rumänien „als Freunde besuchten“. Am 23. November 1940 trat Rumänien an deutscher Seite in den Krieg ein. In der Bukarester Gesandtschaft machte sich der SS-Hauptsturmführer Dr. Gustav Richter breit, um als Berater für Judenfragen zu agieren. „Rumänien wird judenfrei“, titelte er im Bukarester Tageblatt vom 8. August 1942. Er sollte glücklicherweise nicht Recht behalten, obwohl Marschall Antonescu das Seine tat, um die Judenverfolgung auch ohne „Endlösung“ voranzutreiben. „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“, schrieb Paul Celan später in Bukarest, aber Eichmann, der Meister, wütete in Budapest, bis Bukarest musste er nicht kommen.

Der neunzehnjährige Sohn, als Mihai I. nun König von Rumänien, musste 1940 in Berlin ein Mittagessen mit Hitler hinnehmen, an welchem Tag, hat er vergessen, aber dass der Diktator zwischen Löffel und Gabel mehr schrie als aß, blieb eine abstoßende Erinnerung. Nachher bei Mussolini war der Tisch üppiger gedeckt, der Hausherr gab sich als warmherziger Italiener, langte kräftig zu und antwortete auf die Frage, wie sein Volk den Krieg ertrage, es müsse eben den Riemen enger schnallen. Die Rumänen kannten ihren jungen König nur als Autonarr und Hobbyflieger, doch er hatte neben sich die beste Beraterin, seine Mutter Königin Elena, eine gebürtige griechische Prinzessin. Nach 1942 änderte sich die Stimmung im Lande. Die Alliierten verschoben mehr und mehr das Kräfteverhältnis. Man zeigte in Bukarest wieder offen seine Sympathien für Frankreich. Sei Mensch und nicht Deutscher, verrät ein rumänisches Sprichwort, auch wenn unter Mensch ein sympathisch-nachlässiges, wenn auch unpünktliches Wesen zu verstehen ist.

„Wir gratulieren Ihnen zum 23. August, dem Tag ...
„Wir gratulieren Ihnen zum 23. August, dem Tag der Befreiung unseres Vaterlandes!“ Glückwunschkarte aus der Zeit, als in Rumänien der 23. August noch höchster Staatsfeiertag war (um 1960): Postkarte (Ganzsache) mit dem Denkmal eines vorwärtsstürmenden Sowjetsoldaten. Enthüllt wurde es 1946 in Anwesenheit von König Michael, Ministerpräsident Petru Groza und des sowjetischen Generals Susaikow in Bukarest auf der Piaţa Victoriei. Nach 1990 wurde das Denkmal auf den sowjetischen Soldatenfriedhof gebracht, doch selbst von hier fordern mittlerweile Stimmen seine endgültige Entfernung. Ein identisches Denkmal wird auch im Budapester Skulpturenpark „Szoborpark Múzeum“ gezeigt. Samml. Konrad Klein
Wenn in Schillers Theaterstück der junge Don Carlos aufbegehrt, 23 Jahre alt und nichts für die Unsterblichkeit getan, so hatte in diesem Alter der rumänische König Mihai I. Tausenden deutschen, rumänischen und russischen Soldaten das Leben gerettet, als er mit seinem königlichen Staatsstreich vom 23. August 1944 Hitler die Stirn bot, das Waffenbündnis mit der Wehrmacht aufkündigte und die Rote Armee ohne Krieg durch Rumänien marschieren ließ. Das ungehinderte Vorrücken der sowjetischen Armee nach Westen führte zum Zusammenbruch der deutschen Balkanfront. Um nicht abgeschnitten zu werden, musste die Wehrmacht innerhalb kürzester Zeit Albanien, Griechenland und Teile Jugoslawiens überstürzt räumen – und der Zweite Weltkrieg fand um Wochen früher ein Ende. Für die deutsche Minderheit in Rumänien, vor allem Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, gab es ein jähes böses Erwachen. Während ihre Söhne und Väter mehr oder weniger freiwillig noch in der Waffen-SS an Grausamkeiten dieses Krieges beteiligt waren, wurden Unzählige ihrer Angehörigen im Januar 1945 in den Donbass zur Zwangsarbeit verschleppt. Einmal rollten die Viehwaggons mit Deutschen Richtung Osten in eine eisige Ungewissheit.

Der königliche Staatsstreich bedeutete vor allem das Ende der grausamen Judenverfolgung in Rumänien. Im August 1941 trat Hitler das ukrainische Gebiet zwischen den Flüssen Dnjestr, Bug und dem Schwarzen Meer als Kriegsbeute an den verbündeten rumänischen Militärdiktator Ion Antonescu ab. Dieser erklärte die gewonnene Steppenlandschaft zum Massengrab für die dorthin verschleppte jüdische Bevölkerung Rumäniens sowie aufgegriffene Roma. Noch vor den Beschlüssen der Wannseekonferenz in Deutschland machten die Faschisten in Rumänien eine gnadenlose Jagd auf die Juden. Die Königsmutter Elena versuchte ihre schützende Hand über die Geächteten zu halten, wofür sie später von Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern geehrt werden sollte. Pogrome (Jassy), Massenexekutionen (Odessa), Hunger, Kälte und Typhusepidemien (Bogdanovka) verwandelten Transnistrien für Hunderttausende in eine Sterbenslandschaft. Transnistrien – bis heute der fast vergessener Ort eines Holocaust.

Vorerst aber ließ Stalin von sich hören. Zwei Marschälle und nicht weniger als 50 sowjetische Generäle in Galauniform traten zu der Zeremonie im Frühjahr 1945 an und standen vor dem rumänischen König Mihai I. stramm, als ihm die wichtigste sowjetische Auszeichnung, der Siegesorden, verliehen wurde. Er war der vierte Spross aus dem rumänischen Königshaus, das die Rumänen1866 aus dem Geschlecht der Hohenzollern-Sigmaringen begeistert in ihre Walachei importierten. Als Zugabe schickte Stalin dem kundigen Piloten Mihai noch ein Sportflugzeug. Den Siegesorden erhielten noch Dwight Eisenhower, Bernard Montgomery und Josip Broz Tito. Auch der amerikanische Präsident Harry Truman gratulierte und veranlasste die Überreichung des Ordens Legion of Merit mit weniger Pomp an den König. Mihai I. blieb nach Kriegsende auch weiterhin als einziges königliche Staatsoberhaupt in den von den Sowjets besetzten Ländern, wenn auch nicht an der Macht, so doch in seinem Amt. Aus Moskau wurden ihm immer wieder neue Kommunisten vor die Nase gesetzt, eine Regierungsmeute zerfledderte die andere, und nur in einem waren sich alle einig: Der König müsse so bald als möglich weg. Als das Gezänk zwischen Alt- und Neukommunisten nicht enden wollte, tat Mihai etwas, was nicht zum Repertoire von Majestäten gehört: Er trat in den Streik. Fünf Monate lang verweigerte er jeden Kontakt mit der Regierung, unterzeichnete kein Dekret, kein Gesetz. Endlich machte sich der blonde Jungkönig auf einen Flug nach London. Den sind wir nun los, feierte die Kommunistenriege. Doch er kam zurück nach Bukarest, dazu verlobt mit einer Prinzessin von Parma. Das war im November 1947 anlässlich der Hochzeit der späteren Königin Elisabeth II. Churchill gratulierte ihm nicht nur für seinen Mut Hitler gegenüber. Er war auch beeindruckt, weil er sich zurück ins kommunistische Rumänien wagte. Gab ihm jedoch die Worte mit, es gebe eben nichts Wichtigeres für einen Monarchen als die Courage. Zurück in Bukarest wurde er von seinem Volk begeistert gefeiert, weniger vom gerissenen Ministerpräsidenten Petru Groza, der Mihai zur Abdankung nötigte. Der König verlangte, dem Volk die Entscheidung zu überlassen. Da sprach der Ministerpräsident Klartext: Wenn der König nicht innerhalb weniger Tage das Land verlasse, würden tausend verhaftete königstreue Studenten erschossen. Am 30. Dezember 1947 verließ Mihai I. das kommunistische Rumänien.

43 Jahre später kam der alternde König zum ersten Mal wieder in sein Heimatland und übereinstimmend fungierte er bald als das Gewissen Rumäniens. Seinem Volk zuliebe verzichtete er für immer auf den dynastischen Namensanhang Hohenzollern-Sigmaringen. König Mihai I. starb 2017 als letzte Vertreter der Staatsoberhäupter, die den Zweiten Weltkrieg mitbestimmten, der mit Diktatoren wie Hitler, Mussolini und Stalin in direkte Berührung kam, dem Churchill die Hand drückte, und er war der letzte lebende Träger des sowjetischen Siegesordens. Auf die Frage, ob er, der schon alte König, nicht gerne Staatspräsident des demokratischen Rumäniens geworden wäre, antwortete er, dem Ruf des Landes hätte es nicht geschadet, einen Präsidenten zu haben, der mit der englischen Königin per Du ist.

Frieder Schuller

Schlagwörter: Politik, Geschichte, König

Bewerten:

30 Bewertungen: ++

Neueste Kommentare

  • 03.09.2024, 20:46 Uhr von Kantor Schuller: Liest sich wie ein Krimi.Bitte mehr solcher lesenswerter Beiträge aus der rumänischen ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.