13. Oktober 2024
Hegt wird gesangen!: „Sälwerfäddem“
Liebe Leserinnen und Leser, heute stelle ich Ihnen wieder ein Lied vor, das in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiert: „Sälwerfäddem“ (Wä iest mät menjem Medchen ich) von Grete Lienert-Zultner (1906–1989). Wie die meisten ihrer Lieder ist auch dieses Liebeslied tiefsinnig und feinfühlig sowie anschaulich und in der Vertonung von Hans Mild äußerst ansprechend.

Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass in diesem Lied nur die unbetonte Form „ich“ des persönlichen Fürworts vorkommt. Sicher nicht, weil es zum Reim besser passt, sondern weil es so richtig ist. Viele Landsleute meinen heute, dass nur „ech“ sächsisch sei, „ich“ jedoch hochdeutsch. Das stimmt nicht. Im Gegensatz zur Hochsprache verfügt unsere Mundart über Doppelformen des persönlichen Fürworts, eine betonte und eine unbetonte Form: ech/ich, ta/te, hie/e, sä/se, ät/et, mir/mer, ir/er, sä/se oder die gebeugten Formenpaare im Dativ mir/mer, dir/der, äm/em, är/er, as/es, ech/ich, än/en und Akkusativ mech/mich, dech/dich, än/en, ät/et, as/es usw. (siehe auch die Bemerkungen von Hanni Markel, Siebenbürgische Zeitung vom 20. Februar 2006, S. 11).
In geläufigem Sprechen gebraucht man die unbetonten Formen (Ich gohn hiemen. Ich gohn af de Bräck. Ich bän sått.), die betonten Formen dienen zu Hervorhebungen und bei Gegensatzstrukturen (Ech gohn hiemen und ta gihst än de Årbet. Ech bän denj und ta bäst menj.). Ich muntere Sie hiermit auf, „ich“, „mich“, „dich“ … zu singen, wenn Sie diese Formen in einem Liedtext begegnen.
Das Gedicht „Sälwerfäddem“ schrieb Grete Lienert-Zultner 1924 noch während ihrer Zeit am Schäßburger Lehrer- und Lehrerinnenseminar. 1949 hat sie es überarbeitet, vermutlich im Zusammenhang mit der Vertonung von Hans Mild. Im Seminargarten erklangen bereits die Lieder „Da norr hiesch denj Kuckcher za“, „Der Kuckuck kreischt äm gräne Bäsch“, „Do derhiem blähn de Vålcher“, „Do fär, wo hängderm gräne Bäsch“. Ihre Kollegen und Kolleginnen waren sicher dankbare, jedoch auch kritische Zuhörer. Gefördert und ermuntert durch ihre Lehrer Hans Schlüter-Ungar und Dr. Heinz Brandsch, vertonte sie ihre Gedichte auch selber.
1925, in ihrem letzten Seminarjahr, erlebte sie stolz, wie vier ihrer Lieder vom großen Chor des Schäßburger Musikvereins uraufgeführt wurden und unter dem Titel „Sechs siebenbürgische Volkslieder“ für gemischten Chor in Druckform erschienen. Angespornt durch die positiven Erfahrungen während ihrer Seminarzeit in Schäßburg, blieb sie ihrem volkstümlichen Stil treu. Mit viel Intuition, Beobachtungsgabe, Feingefühl und Sachverstand schuf sie ein bedeutendes Lebenswerk mit über 100 Gedichten und Liedern, Singspielen und Theaterstücken. In die Liedersammlung „E Liedchen hälft ängden – Alte und neue Lieder aus Siebenbürgen“ (www.angelika-meltzer.de) konnten wir 55 ihrer Kunstlieder, die zum Teil schon Volksgut geworden sind, aufnehmen und für die Nachwelt erhalten. Im neuen Onlineportal www.siebenbuerger.de/go/2L wurden bereits 26 Tonaufnahmen mit Liedern von Grete Lienert-Zultner hochgeladen, gesungen von verschiedenen Interpreten, Singgruppen oder Chören. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Lieder der Grete Lienert-Zultner in dieser Rubrik vermehrt erscheinen werden.
Grete Lienert-Zultners klangvolle und metrisch genau aufgebaute Gedichte regten auch viele ihrer Zeitgenossen an, ihre Texte zu vertonen, wie Heinrich Bretz (1862-1947), Martin Kutschis (1895-1981), Hans Mild (1883-1958), Carl Reich (1872-1953), Karl Fisi (1926-1990) u.a. So haben manche ihrer Texte zwei oder sogar drei Vertonungen erfahren. Dazu schrieb die Autorin in ihrem Nachwort zu der 1987 im Selbstverlag veröffentlichten Sammlung von Gedichten: „Wat u memjem Wiëj gebläht“: „Das Ergebnis zeigt jedenfalls eine Gemeinschaftsleistung auf, wie es bei uns Siebenbürgern in so manchen Belangen üblich war. Mich freut natürlich am meisten, dass einige meiner Lieder vom Volk aus als ,alte Volkslieder‘ empfunden und gesungen werden.“
Einige biographische Daten zu Grete Lienert-Zultner finden Sie in der Siebenbürgischen Zeitung, Folge 4 vom 11. März 2024, Seite 6, oder online unter www.siebenbuerger.de/go/24772A.
Angelika Meltzer

Schlagwörter: Hegt wird gesangen, Lieder, Mundart
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- 13.10.2024, 14:53 Uhr von ingenius mobile: Nun bin ich schon beinahe ein alter Mann geworden, aber damals zu Studienzeiten hatte ich das Glück ... [weiter]
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