Die Anfänge des Christentums in Rumänien: Internationale Tagung in Bukarest
Am 16./17. September fand in Bukarest in sechs Sektionen die internationale Konferenz zum Thema „Die Anfänge des Christentums in Rumänien“ statt. Viele Kooperationspartner, darunter der Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL) Hermannstadt, veranstalteten eine Forschungstagung zur christlichen Spätantike auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens. Konferenzort war der durch die Papstempfänge prominente Conventus-Saal im Patriarchat der Rumänisch Orthodoxen Kirche in Bukarest. Patriarch Dr. Daniel Ciobotea empfing die Teilnehmer am 17. September. Über die Tagung berichteten sowohl das Fernsehen als auch die Tagespresse.
Erstmals nach mehr als drei Jahrzehnten hat der AKSL Hermannstadt wieder die Antike in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses gerückt. Auf dessen Anregung sowie in Kooperation mit den Universitäten Kiel, Erfurt, Kaiserslautern-Landau, München und Bukarest sowie gefördert durch die Fritz-Thyssen-Stiftung fand vom 16. bis 19. September im Conventus-Saal des rumänischen Patriarchalpalastes (dem restaurierten ehemaligen Parlamentsgebäude) in Bukarest zunächst die vorwiegend deutschsprachige internationale Forschungstagung und anschließend eine zweitägige Exkursion zu bedeutenden Ausgrabungsstätten der byzantinischen Geschichte auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens, speziell in der Dobrudscha statt.
Vortragende der internationalen Konferenz zur Spätantike in Bukarest mit dem Rumänisch-Orthodoxen Patriarchen in dessen Residenz am 17. September (von links):
Prof. Dr. Constantin Pătuleanu, Dr. Radu Petcu, Dekan Prof. Dr. Cosmin Pricop, Prof. Dr. Ulrich A. Wien, Prof. Dr. Daniel Benga, Patriarch Daniel Ciobotea, Prof. Dr. Andreas Müller, Dr. Irina Achim, Prof. Dr. Ioan Moga, Prof. Dr. Mihail Sașașujan, Teodor Tabuș.
Die wissenschaftlichen Beiträge aus der Archäologie von Dr. Irina Achim und Dr. Radu Petcu haben die neuesten Forschungsergebnisse in faszinierender Weise vermittelt. Darüber hinaus bestand auf der Exkursion die Möglichkeit, unter außergewöhnlich fachkundiger Führung durch den Experten Petcu die auch jüngst erfolgten Ausgrabungen in Ibida, Niculiţel, Tomis/Constanţa und Histria eingehend kennen zu lernen und die Ergebnisse unmittelbar zu diskutieren. Nicht zuletzt hat das archäologische Museum in Tulcea aufgrund seiner herausragenden Exponate und exzellenten Präsentation durch den Direktor Dr. Micu beeindruckt und weitere wissenschaftliche Impulse vermitteln können.
Die seit langem geplante, pandemiebedingt mehrfach verschobene Konferenz selbst wurde von den Kooperationspartnern gemeinsam eröffnet. Dabei betonte der Dekan der Bukarester Theologischen Fakultät, Prof. Dr. Cosmin Pricop, den Willen, stärker als bisher den internationalen wissenschaftlichen Austausch zu fördern und voranzutreiben. Die positiven Rahmenbedingungen sowie die produktive und von gegenseitiger Wertschätzung geprägte Arbeitsatmosphäre erlaubte einen überaus konstruktiven, vielseitig anregenden und für innovative Fragestellungen offenen Diskurs.
Programmgemäß eröffnete Professor Dr. Andreas Müller (Kiel) mit einem Forschungsüberblick und impulsgebenden Fragehorizonten. Aufgrund verschiedener Hinweise stellte er Überlegungen an, ob das theologisch-religiöse Profil in der religiös pluralen spätantiken Gegend an der unteren Donau vermutlich homöisch ausgerichtet war, also wohl der in Konstantinopel vertretenen Position widersprach. Digital zugeschaltet präsentierte Professor Dr. Paul Brusanowski (Hermannstadt) eine überaus erhellende, systematisierende Analyse und Kategorisierung bisheriger Forschungsrichtungen zur christlichen Spätantike bei rumänischen (orthodoxen) Historikern.
Zwei Sektionen widmeten sich der Relevanz der archäologischen Erkenntnisse.
Dr. Irina Achim (Bukarest) präsentierte in ihrem englischsprachigen Vortrag und Diskussionsbeiträgen die jüngsten Forschungsergebnisse zur christlichen Spätantike und bot, auch mit Blick auf die neu ausgegrabenen Kirchenräume und Bestattungen, einen wesentlichen Erkenntnisgewinn.
Dr. Robert Born (Oldenburg) stellte seine Forschungen und die aktuellen Diskussionen zur spätantiken Christianisierung in der Scythia minor vor. Professor Dr. Daniel Benga (München) analysierte präzise anhand der Funde in Halmyris und Niculiţel die Relation zwischen archäologischen Befunden und kirchlichen Märtyrerberichten und diskutierte diese auch im Kontext der Hypothese von A. Müller.
Der Archäologe Radu Petcu (Lille/Constanţa) bot auf Englisch einen Überblick über die archäologischen Befunde einer zum Teil christianisierten Bevölkerung. Sowohl lateinische als auch griechische Inschriften zeigen parallel wirkende Einflüsse sowohl aus Rom als auch aus Byzanz. Archäologisch lässt sich im siebten Jahrhundert ein Abbruch feststellen: Die bisherigen Städte und Siedlungen wurden während der „Völkerwanderung“ zerstört, und die eigenen Begräbnispraktiken der Slawen zeigen keinerlei christlichen Charakter.
Die Scythia Minor-Region wurde in den Sektionen zur Hagiographie (Heiligenleben) und zur Ereignisgeschichte durch den Bukarester Neutestamentler Prof. Dr. Cosmin Pricop und seine Fakultätskollegen, die Kirchenhistoriker Prof. Dr. Constantin Pătuleanu und Prof. Dr. Mihail Săsăujan behandelt. Pricop gelang es überzeugend, die auf die Martyrien bezogenen historisch gewachsenen Texte in ihren Entstehungskontexten zu verorten und differenziert zu analysieren und einzuordnen. Pătuleanu hat in einer breit angelegten, wissenschaftlich sorgfältigen Analyse die geographisch umstrittene Herkunft von Johannes Cassian anhand der in der internationalen Forschung diskutierten und kontrovers gedeuteten Argumente umfassend behandelt und zog daraus den Schluss, der zweisprachige antike Theologe stamme aus Skythien. Săsăujan reflektierte die historiographischen Publikationen zur Christentumsgeschichte in Rumänien von Emilian Popescu, die dieser in den 1960-2000er Jahren vorgelegt und die dako-rumänische Kontinuitätstheorie vertreten hatte. Ergänzend berichtete der Doktorand Teodor Tabuş (Köln) über die Konfliktgeschichte zwischen Kaiser Justinian und skythischen Mönchen.
Inschrift des Märtyrergrabs aus Niculiţel im Museum in Konstanza. Foto: Ulrich Wien
Prof. Dr. Ioan Moga (Wien) schloss an Brusanowskis Beitrag an und thematisierte mit einem interdisziplinären Fragehorizont äußerst differenziert die in den jeweiligen Publikationskontexten luzide analysierte „Christliche Ethnogenese als Leitmotiv des rumänisch-orthodoxen Identitätsdiskurses in der Moderne“ am Beispiel des bedeutenden Dumitru Staniloae.
Apl. Prof. Dr. Ulrich A. Wien, der Vorsitzende des AKSL Hermannstadt, beteiligte sich mit dem Vortrag zur sehr überschaubaren Darstellung der Anfänge des Christentums in der siebenbürgisch-sächsischen Kirchengeschichtsschreibung mit einem Schwerpunkt auf Friedrich Teutsch und Friedrich Müller-Langenthal. Zuvor hatte er anstelle des verhinderten PD Dr. Tobias Weger (München) dessen ideologiekritischen Vortrag zu „Kontinuitätskonstruktionen in der rumänischen National- und Kirchengeschichte“ vorgetragen.
Am zweiten Konferenztag empfing der wissenschaftlich wohl informierte Patriarch Dr. Daniel Ciobotea die Konferenzteilnehmer zu einer halbstündigen Audienz. In dieser unterstrich er nicht nur sein Interesse an der internationalen wissenschaftlichen Arbeit, sondern ließ sich auch knapp über die Tagung berichten. Anschließend überreichte er als die Konferenz beherbergender Gastgeber jeweils zwei Prachtbände zur Geschichte des jetzigen Patriarchatspalastes und der Arbeit der Rumänisch-Orthodoxen Kirche in den vergangenen 15 Jahren. In seiner Antwort vermittelte Professor Müller ihm den Dank für die erwiesene Ehre und Gastfreundschaft.
Die Ergebnisse der Forschungstagung sollen im kommenden Jahr publiziert werden.
Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist
nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.